Rede von Lamya Kaddor Fortsetzung des Einsatzes zur Stabilisierung des Irak und Bekämpfung des IS

Lamya Kaddor
18.10.2023

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Wehrbeauftragte! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Vor einigen Wochen wäre diese Abstimmung trotz ihrer Bedeutung für die Sicherheit des Iraks und der Region vermutlich in der Flut der Themen und Vorgänge dieses Hohen Hauses untergegangen. Der brutale Terrorangriff der Hamas auf Israel und die Gefahr eines regionalen Flächenbrands rücken dieses Mandat unserer Soldatinnen und Soldaten in den Vordergrund. Die Tragweite dieser Ereignisse wird sich erst noch abzeichnen, doch schon jetzt ist klar: Sie werden die Region massiv verändern.

Der Irak ist ein Kernland dieser Region. Er vereint ihre kulturelle Vielfalt und ihr wachsendes Selbstbewusstsein mit all ihren Problemen und Herausforderungen. Das habe ich auf meiner Reise in das Land vor Kurzem selbst beobachten können. Der Irak wird in der sich gerade verändernden Gemengelage auch künftig eine wichtige Rolle spielen und damit auch dieses Mandat, über das wir heute entscheiden.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich – auch davon konnte ich mich auf meiner Reise überzeugen – für die unglaublich starke Arbeit unserer fast 500 Soldatinnen und Soldaten bedanken. Ihr Einsatz leistet viel für den Irak und die internationale Sicherheit, und dafür gebührt ihnen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn wir auf den Irak der vergangenen 20 Jahre blicken, dann sind Worte wie „Stabilität“ und „Versöhnung“ keine, die wir allzu oft verwendet haben. Der Krieg der US-geführten Koalition, die konfessionelle Gewalt der Folgejahre, der IS-Terror, politische Instabilität, all das hat ein Land und seine Gesellschaft zurückgelassen, das erst wieder im Begriff ist, sich einer besseren Zukunft zuzuwenden. Einige vergleichen es derzeit mit der Entstehungszeit der Weimarer Republik.

Wer jedoch glaubt, die Gefahr sei gebannt, die von politischer Instabilität für das Land ausgeht, von der Einflussnahme fremder Staaten und vor allem vom IS, der ja seine Wurzeln im Irak hat, der irrt. Der IS mag an Sichtbarkeit eingebüßt haben; verschwunden ist er nicht. In den von Kriegen versehrten Gebieten im Irak und in Syrien sind seine Mitglieder nach wie vor präsent, verüben tödliche Anschläge. Unter den elenden Bedingungen der Flüchtlingscamps wächst bereits eine neue Generation von potenziellen Radikalen heran. Auch sein ideologisches Vermächtnis ist nicht aus der Welt.

Auch wir in Europa erleben das gerade wieder. Die fürchterlichen Anschläge in Frankreich und am Montag in Brüssel sollen im Namen des IS verübt worden sein. Denselben teuflischen Geist des IS erkennen wir gerade auch bei der Hamas. Wir wurden Zeuginnen und Zeugen eines ähnlichen Vorgehens, eines ähnlichen Terrors, der vor nichts und vor niemandem Respekt hat: nicht vor Babys, nicht vor Kindern, nicht vor alten Menschen. Vor der Entmenschlichung durch Islamismus ist niemand sicher, schon gar nicht Muslime, die ihm tausendfach zum Opfer gefallen sind.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, der Iran übt schon heute einen massiven Einfluss auf sein Nachbarland aus und treibt die Bildung einer antiwestlichen Achse mit Russland, China, Syrien sowie seinen verbündeten Milizen in der gesamten Region voran, teilweise schon mit Erfolg. Auch hat der Irak Antinormalisierungsgesetze betreffend Israel verabschiedet und den Terror der Hamas begrüßt. Das darf man nicht verschweigen, und darüber werden wir auch sprechen müssen. Wenn wir der antiwestlichen Achse aber etwas entgegensetzen wollen, muss uns die Stabilität des Iraks ein Anliegen sein, genauso wie die des Libanons und anderer Regionen, in denen wir präsent sind. All diese Einsätze, jedes noch so kleine Engagement, unterstützen das Bemühen um Stabilität, Sicherheit und internationale Zusammenarbeit.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich Ihnen zum Schluss von einem Gespräch mit einer jungen Frau in Mosul erzählen, Mosul, die Stadt am Euphrat, die über drei Jahre unter IS-Belagerung stand, die Stadt und eine Gesellschaft, die an der Bewältigung des Terrors durch den IS noch immer stark arbeitet. Noch heute leben die Menschen dort in Angst. Ich konnte mit Amal, einer muslimischen Frau, sprechen. Sie erzählte mir von der Zeit unter Daesh. Sie hatte ihr Abitur gemacht, als Abu Bakr Al-Baghdadi und seine Terrororganisation die Stadt gewaltvoll einnahmen. Sie wollte studieren, sie war Bloggerin, eine junge Frau, die Ziele hatte. Drei Jahre lang konnte sie nur alle sechs Wochen einmal ans Tageslicht, um unverzichtbare Gänge so unauffällig und vollverschleiert wie möglich zu machen, um unsichtbar zu bleiben, immer mit der Angst, angehalten und zwangsverheiratet zu werden. Sie überlebte einen Bombenanschlag in ihrer Nähe, lebte sonst nur zu Hause in ihrem Zimmer. Ihre Eltern mussten sie unter Decken vor IS-Kämpfern verstecken, die junge Frauen zur Ehe zwangen. Sie beschrieb mir unter Tränen, wie der Tag der Befreiung, wie sie ihn nennt, ablief und dass sie bis heute Angst hat, dass sie wiederkommen. Aber es gibt ein Happy End in dieser Geschichte. Ihre Narben sind innerlich und äußerlich zwar sichtbar, aber sie hat ihr Studium nicht nur aufgenommen, sie hat es beendet. Sie bloggt wieder und arbeitet in einer NGO, die den Wiederaufbau von Mosul vorantreibt und psychosoziale Beratung für junge traumatisierte Menschen aus Mosul anbietet.

Es muss uns also auch darum gehen, das kollektive Leid der Jesidinnen und Jesiden aufzuarbeiten und einen Umgang mit zahlreichen Familien ehemaliger IS-Kämpfer zu finden. Auch die Verständigung zwischen den Kurden im Nordirak und der Zentralregierung muss weiter gefördert werden, ebenso die Durchführung demokratischer Wahlen. All das kann und wird die Bundeswehr nicht alleine leisten können. Unser Engagement muss daher auch darüber hinausgehen. Dieses Mandat ist jedoch ein enormer Baustein – nach wie vor und heute mehr denn je.

Ich empfehle daher meiner Fraktion und den Abgeordneten im Hohen Haus ihre Zustimmung zu einer weiteren Verlängerung des Einsatzes der Bundeswehr Counter Daesh/Capacity Building Iraq.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Für die Unionsfraktion hat das Wort Dr. Norbert Röttgen.

(Beifall bei der CDU/CSU)