Rede von Filiz Polat Freizügigkeit in der EU

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10.09.2020

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Parlamentarischer Staatssekretär Mayer, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf packt die Bundesregierung endlich ein Problem an, dem sie sich mehr als 15 Jahre verweigert hat.

Es geht um nicht weniger als um das Familienleben von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern; das haben meine Kolleginnen sehr schön erläutert. Nach der Unionsbürgerrichtlinie haben alle EU-Bürgerinnen und ‑bürger, die freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen das Recht, in einem anderen Mitgliedstaat zu leben, zu arbeiten und zu wohnen. Die Richtlinie ermöglicht die Familieneinheit auch dann, wenn Familienmitglieder selbst keine Unionsbürgerinnen und ‑bürger sind. Das gilt unter bestimmten Voraussetzungen zum Beispiel für Pflegekinder, Lebenspartnerinnen und Lebenspartner, Geschwister – das hat die Kollegin Jelpke gesagt –, Tanten und Onkel. Das wird unter dem kühlen, unscheinbaren Begriff „nahestehende Personen“ subsumiert. Aus unserer Sicht ist das ganz zweifellos „Familie“.

Da die Bundesregierung die Unionsbürgerrichtlinie jedoch nie umgesetzt hat, konnten diese nahestehenden Familienmitglieder über Jahre hinweg ihre Rechte nicht in Anspruch nehmen. Trotz mehrfacher Rügen – das hat der Parlamentarische Staatssekretär wohl irgendwie vergessen zu sagen – durch die Europäische Kommission, trotz eines Vertragsverletzungsverfahrens und einer eindeutigen Rechtsprechung des EuGH ist nichts passiert.

Das ist ein Armutszeugnis für den starken Rechtsstaat, aber vor allem ist es eine Tragödie für all die Familien, deren gemeinsames Leben in Deutschland zu Unrecht verkompliziert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht wurde. Mit der Neuregelung werden nun zwar endlich die zu Unrecht bestehenden Barrieren für die Familien abgebaut; leider bleibt die Ausgestaltung aber viel zu restriktiv. Das ist bereits erläutert worden.

Wir sollten im Ausschuss in Ruhe darüber beraten und entsprechend nachbessern. Ich habe Sie, Frau Lehmann, so verstanden, dass Sie da durchaus offen sind. Ein wichtiger Punkt ist die fortschreitende Beschneidung der Leistungsrechte. Wer sind diese Menschen, die nicht mehr Teil unserer Fürsorgegemeinschaft sein sollen? Frau Jelpke hat es bereits aufgezählt.

Wen trifft das vor allem? Das trifft ausschließlich Frauen in bestimmten Konstellationen: Frauen mit Kindern. Die Sozialrechtsprechung wurde bereits erwähnt. Es trifft die nichterwerbstätige Frau während des Mutterschutzes. Es trifft die Pflegekinder einer alleinstehenden Arbeitnehmerin. Oder es trifft auch die Mutter eines deutschen Kindes, die bislang keine Aufenthaltserlaubnis von der Ausländerbehörde erhalten hat.

Ich möchte Sie alle noch mal auffordern, die heute eingegangene Stellungnahme vom Bundesweiten Koordinierungskreis gegen Menschenhandel zu lesen. Darin steht, dass von dieser unscheinbaren Regelung vor allem die von Menschenhandel betroffenen Frauen aus anderen EU-Mitgliedstaaten betroffen sind. Deshalb fordern wir, die Leistungsausschlüsse von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern endlich zu beseitigen und die soziale Entrechtung unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger zu beenden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)