Rede von Dr. Irene Mihalic Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt

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16.03.2022

Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Alle Terroranschläge, egal mit welchem Hintergrund, haben eines gemeinsam: Jedes Mal sind Menschen sinnlos, willkürlich und auf grausame Art und Weise aus ihrem Leben gerissen worden, und die Hinterbliebenen prägt das für ihr ganzes Leben. Die Politik hat genau diese Menschen jahrelang vernachlässigt. Das muss und das wird sich ändern, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

In einem ersten Schritt haben wir als Ampelkoalition den 11. März zum nationalen Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt erklärt, um die Aufmerksamkeit auf diejenigen zu richten, die wir nicht schützen konnten. Egal ob beim Terror der RAF, des NSU oder islamistischer Zellen: Immer wieder ist nach terroristischen Anschlägen die Opferperspektive aus dem Blick geraten. Wir wollen aber nicht mehr nur einseitig über die Täter sprechen, sondern uns stärker den Opfern und Hinterbliebenen zuwenden. Sie verdienen unsere Empathie, unsere Solidarität und auch die öffentliche Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Der Umgang staatlicher Stellen mit Betroffenen von Terroranschlägen ließ in der Vergangenheit allzu oft die notwendige Sensibilität und Zugewandtheit vermissen. Ich denke hier zum Beispiel an Hanau: Anstatt die Angehörigen in ihrer Trauer aufzufangen und zu unterstützen, hat man sie in Gefährderansprachen davor gewarnt, sich für den Anschlag – an wem auch immer – zu rächen. Oder auch die nächsten Angehörigen der Opfer des NSU: Nach den Morden haben die Sicherheitsbehörden auf der Basis rassistischer Vorurteile ermittelt und die Täter vor allem in den betroffenen Familien gesucht. Dem eigentlich naheliegenden rechtsextremen Tatmotiv wurde jahrelang kaum Beachtung geschenkt. Selbst nachdem endlich klar war, dass es sich um rechtsterroristische Morde handelte, taten sich die Behörden immer noch schwer damit, Fehler einzugestehen, das Leid der Opfer und ihrer Hinterbliebenen wirklich anzuerkennen und zu würdigen.

Auch die Hinterbliebenen und Verletzten des Anschlags vom Breitscheidplatz haben uns sehr persönlich ihre Erfahrungen geschildert, die sie mit staatlichen Stellen gemacht haben. Hier kam neben der fehlenden Sensibilität eine weitere Dimension dazu, nämlich die Bürokratie. Die Betroffenen haben sich im wahrsten Sinne des Wortes die Hacken abgelaufen, wurden von einer Stelle zur anderen geschickt, nur um am Ende doch nicht die Unterstützung zu bekommen, die ihnen eigentlich zusteht.

Neben all dem Leid, das die eigentliche Tat hinterlassen hat – diese Unsicherheit, das ständige Gefühl, bedroht zu sein, die tiefen seelischen und körperlichen Wunden –, wurden die Opfer und Hinterbliebenen ein weiteres Mal traumatisiert. Dabei müssten wir doch, wenn wir die Tat schon nicht verhindern konnten, alles daransetzen, dass den Betroffenen nach Kräften geholfen und kein weiterer Schaden zugefügt wird. Das ist doch das Mindeste, was wir tun können, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Im Untersuchungsausschuss zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz haben wir als Fraktionen der demokratischen Minderheit damals im Abschlussbericht gesagt, dass wir dringend einen würdigeren Umgang mit Opfern terroristischer Gewalt brauchen. Ich bin wirklich sehr froh, dass sich die Ampelkoalition unsere Vorschläge zu eigen gemacht hat. So sollen auch die Opfer und Hinterbliebenen von Terroranschlägen und Katastrophen nationaler Tragweite sich zukünftig an die bereits bestehende Koordinierungsstelle NOAH, Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe, wenden können, die nun als Ombudsstelle weiterentwickelt werden soll. NOAH ist bisher nur zuständig, wenn solche Taten im Ausland begangen werden und Betroffene aus Deutschland Hilfe benötigen. Die Arbeit dort zeichnet sich durch eine hohe Kompetenz aus, und deshalb ist es richtig, diese Fähigkeiten auch im Inland einzusetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Außerdem schließen wir Lücken im Opferentschädigungsrecht und bei der Opferhilfe, damit finanzielle Unterstützung künftig einfacher und auch wesentlich besser funktioniert. Darüber hinaus wollen wir erreichen, dass Empathie und ein würdevoller, sensibler Umgang nicht nur in Beileidsbekundungen zum Ausdruck kommt, sondern bei jedem behördlichen Akt – von der Ermittlungsarbeit bis zum Standesamt – ganz praktisch gelebt wird. Im Umgang mit Opfern terroristischer Gewalt zeigt sich der Reifegrad des demokratischen Rechtsstaats.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Denn wir wissen: In unserer offenen und freien Gesellschaft kann nicht jeder Anschlag verhindert werden. Aber wir müssen die Solidarität im direkten Umgang mit denjenigen üben, die von den Feinden der Freiheit und Pluralität willkürlich angegriffen wurden. Auch daran soll uns der Gedenktag am 11. März stetig erinnern.

Drei Dinge dürfen wir dabei nie aus dem Blick verlieren. Erstens. Anschläge und ihre Hintergründe sind konsequent aufzuklären, und zwar egal, wer gerade regiert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zweitens. Konsequenzen sind laufend zu ziehen, sobald entsprechende Fehler erkannt wurden. Drittens. Opfer und ihre Hinterbliebenen dürfen nicht unmittelbar nach den Anschlägen nur mit warmen Worten bedacht oder sogar für symbolpolitische Initiativen missbraucht werden. Ihre Begleitung und Unterstützung muss uns ein dauerhaftes Anliegen sein, und zwar von dem Moment an, wo das geschehen ist, was nicht hätte geschehen dürfen.

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat die Abgeordnete Beatrix von Storch für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)