Rede von Luise Amtsberg Geflüchtete an europäischen Außengrenzen

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24.03.2021

Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Recht blicken viele Menschen in unserem Land mit einer gewissen Fassungslosigkeit auf die Lage auf den griechischen Inseln und an der bosnisch-kroatischen Grenze. Und zu Recht stellen viele die Frage danach, welchen Stellenwert die universellen Werte der Europäischen Union heute noch im Konkreten tatsächlich haben: die Würde des Menschen, Freiheit, Gleichheit, Solidarität. In Bezug auf die Flüchtlingspolitik der letzten Jahre müssen wir feststellen, dass die europäischen Regierungen – und da ist die Bundesregierung keine Ausnahme – diese Werte leider zunehmend aus dem Blick verlieren.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE])

Menschen müssen an unseren Außengrenzen für Essen, den Toilettengang, Duschen stundenlang Schlange stehen und haben buchstäblich keinen festen Boden unter den Füßen. Das ist nicht würdevoll.

Menschen werden an unseren Außengrenzen inhaftiert – unter dem Vorwand, Rückführungen zu erleichtern, die faktisch nicht stattfinden. Das ist keine Freiheit, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Menschen können sich an unseren Außengrenzen nicht ausreichend vor dem Coronavirus schützen, von Testungen oder Impfstrategien gar nicht zu reden. Das ist keine Gleichheit.

Und Menschen leben an unseren Außengrenzen im Winter unter Planen, Kinder sind den Witterungsbedingungen schutzlos ausgeliefert. Aber die Bundesregierung will nicht mehr tun, weil andere gar nichts tun. Das, meine Damen und Herren, ist keine Solidarität.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Wahrheit ist doch, dass wir seit 2015 keinen Schritt vorangekommen sind. Und auch derzeit zeichnet sich keine Einigung für ein gemeinsames europäisches Asylsystem ab. Diesen Umstand sitzt die Bundesregierung aus, während Menschen an unseren Außengrenzen aber konkret Hilfe brauchen. Wieso hören wir nichts von Herrn Seehofer zum Eingeständnis von Frontex, dass die Agentur keine Kontrolle mehr über ihre eigenen Einsätze hat, wenn sie die jemals hatte, und dass Pushbacks von Schutzsuchenden und damit Völkerrechtsbrüche stattfinden? Der Innenminister hat eine Verpflichtung gegenüber unseren Beamtinnen und Beamten, die in diese Einsätze gehen sollen. Herr Seehofer, Sie können es sich nicht leisten, nichts zu sagen und wegzusehen!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Aber auch von Heiko Maas hört man ebenso wenig. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, ich weiß, wir sind in vielen programmatischen Punkten in der Asylpolitik, vor allen Dingen der europäischen, auf einer Linie. Aber wir sehen davon nichts im konkreten Regierungshandeln. In Griechenland und Bosnien müssen die Geflüchteten menschenwürdig untergebracht werden, Organisationen wie UNICEF für ihre Projekte ausreichend finanziell unterstützt und ausgestattet werden und die Gelder vor allen Dingen transparent eingesetzt werden. Hier wünschen wir uns „mehr Heiko Maas“.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE])

Eine Aufnahme weiterer Schutzbedürftiger von den griechischen Inseln schafft Entlastung vor Ort und Perspektiven für die Menschen. Die vielen Kommunen und Bundesländer stehen längst dafür bereit. Sie müssen nur endlich ernst genommen werden. Das geht natürlich an die Adresse unseres Innenministers.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])

Ich würde mir wirklich wünschen, liebe Bundesregierung, aber auch liebe regierungstragende Fraktionen, dass auch denjenigen Gehör geschenkt würde, die tatsächlich jeden Tag an unseren Außengrenzen unsere Werte verteidigen. Hören Sie Ärzte ohne Grenzen zu, die einen besorgniserregenden Anstieg von Suizidgedanken Geflüchteter konstatieren! Hören Sie Mare Liberum zu, die über illegale Pushbacks als neue Norm des europäischen Grenzschutzes berichten! Hören Sie UNICEF zu, dass in den Wäldern Bosniens – ja, auch in Bosnien – Kinder leben, was Sie bis heute bestreiten!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage das deswegen, weil es am Ende tatsächlich eine Haltungsfrage ist. Flüchtlingspolitik ist eine Haltungsfrage und die Frage danach, ob wir uns mit diesen Umständen zufriedengeben wollen oder nicht. Ich sage Nein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wenn geflüchtete Menschen tagtäglich an unseren Außengrenzen ihrer Grund- und Menschenrechte beraubt werden, dann dürfen wir das nicht einfach so hinnehmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin Amtsberg. – Nächster Redner ist der Kollege Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)