Rede von Stefan Gelbhaar Genehmigungsbeschleunigung im Verkehrsbereich

Foto von Stefan Gelbhaar MdB
22.06.2023

Stefan Gelbhaar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Brauchen wir ein Beschleunigungsgesetz? Der Kollege Schreiner hat es gerade bestätigt: Durch die vier Beschleunigungsgesetze der Großen Koalition ist nichts schneller geworden – im Gegenteil. Von solchen CSU-Schrottgesetzen brauchen wir kein fünftes.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Aber trotzdem sage ich: Ja, wir müssen schneller werden. Das bedeutet aber, dass wir entscheiden müssen; denn das ist neben dem exzellenten Projektmanagement das, was die so häufig genannte Deutschlandgeschwindigkeit ausmacht. Das Ziel heißt also: entscheiden, priorisieren. Denn das weiß doch jeder: Wer ganz viel gleichzeitig beschleunigen will, der beschleunigt am Ende nichts.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Henning Rehbaum [CDU/CSU]: Das ist Quatsch! Das ist totaler Quatsch!)

Daher werden wir auch hier im Gesetz noch einmal priorisieren. Es gilt: nicht verzetteln, sondern nachschärfen.

Ja, wir müssen schneller werden. Dazu müssen alle wissen, was schon jetzt schnell geht. Teilweise erzählen einzelne Staatssekretäre, ja, ganze Fraktionen, dass für eine normale Sanierung eine Planfeststellung notwendig sei. Nein! Wir müssen also überlegen, wie wir unsere Fachkräfte auf ein Wissensniveau heben, dass sie sich nicht ein X für ein U vormachen lassen.

Wir müssen die Projekte beschleunigen, die dem Schutz unserer Lebensgrundlagen – Klima, Umwelt, Natur – dienen. Die Klimaschutzlücke im Verkehr ist enorm. Ich bin stolz auf das 49-Euro-Ticket: 11 Millionen Abos in ein bisschen mehr als einem Monat – das ist top. Ich froh über den Beschluss zum Verbrenner-Aus.

Aber das reicht noch nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Ehrhorn [AfD]: Wenn Sie das ganze Land deindustrialisieren, dann sind Sie glücklich! Vorher nicht!)

Eine Entscheidung dieses Gesetzes ist: Die Schiene, unsere Bahn, gehört nach vorne. Den Klotz am Bein, das marode Erbe der CSU-Verkehrsminister, müssen wir damit abschütteln. Nehmen wir die Elektrifizierung: mehr Tempo! Die Schweiz hat nahezu 100 Prozent ihres Schienennetzes elektrifiziert; wir sind bei 61 Prozent. Als Ampel sagen wir: Da muss Tempo rein.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Herr Kollege, es gibt den Wunsch zu einer Zwischenfrage aus der CDU/CSU-Fraktion. Möchten Sie die zulassen?

Stefan Gelbhaar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Von wem denn?

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Ich weiß jetzt, ehrlich gesagt, nicht, wer. Ich habe es nämlich nicht gesehen. – Wer war es?

(Henning Rehbaum [CDU/CSU]: Kommt es darauf an, wer es ist, oder was? – Gegenruf der Abg. Dr. Paula Piechotta [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, offensichtlich!)

– Nein. Ich hätte es gern Herrn Gelbhaar gesagt; aber ich hatte es nicht gesehen, sondern der Kollege Schriftführer.

(Henning Rehbaum [CDU/CSU]: Ich war es!)

Herr Gelbhaar, wie ist die Lage? Zwischenfrage: Ja, Nein, Enthaltung?

Stefan Gelbhaar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich nutze die Möglichkeit, um etwas zu trinken.

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Bitte schön.

(Henning Rehbaum [CDU/CSU]: Ich habe es nicht gehört! – Gegenruf des Abg. Bernd Reuther [FDP]: Du darfst!)

– Sie sind dran.

Henning Rehbaum (CDU/CSU):

Lieber Kollege Gelbhaar, Sie haben ja gerade dargestellt, dass es eine Klimaschutzlücke in der Verkehrspolitik gibt. Wie können Sie uns denn dann erklären, dass bei diesen ganzen Beschleunigungsvorhaben der komplette Verkehrsträger Wasserstraße nicht berücksichtigt werden soll, der ja bekanntermaßen der klimafreundlichste aller Verkehrsträger ist? Da haben Sie doch eine Klimaschutzlücke, vor allem Sie von den Grünen, die offensichtlich mit der Wasserstraße überhaupt nichts zu tun haben wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Paula Piechotta [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, doch, doch, doch, doch!)

Stefan Gelbhaar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Also, gucken wir uns mal die Klimaschutzlücke an. Da haben Sie natürlich recht: Auch bei der Wasserstraße kann man zum Beispiel dekarbonisieren; auch die Wasserstraße produziert ja nicht tolle Luft. Bis jetzt sind es Dieselschiffe. Aber die Klimaschutzlücke im Verkehr ist ja dadurch zu beschreiben, dass über 90 Prozent der CO2-Emissionen auf Pkw und Lkw zurückgehen. Das heißt, da müssen wir ansetzen; da ist der Hebel.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir die Klimaschutzlücke kleiner machen wollen, dann können wir ganz viel über die Wasserstraße reden, dann können wir über Entlastung reden. Aber der Fokus liegt hier – hier muss der Fokus auch liegen –: weg von der Straße hin zu anderen alternativen Verkehrsträgern und vor allem auch bei den Verkehrsmitteln ansetzen.

(Zuruf des Abg. Dr. Christoph Ploß [CDU/CSU])

Es wird uns nichts helfen, wenn wir die Wasserstraße unendlich ausbauen. Das wird uns nicht weiterbringen. Sie alle kennen die Prognosen, wie der Güterverkehr wächst, wie er ist und dass die Wasserstraße da etwas von abnehmen kann; aber die Klimaschutzlücke kriegen wir damit nicht geschlossen. Sorry!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Manfred Todtenhausen [FDP])

Lesen Sie sich ein! Das sind Grundkenntnisse; das sollten Sie wissen.

(Lachen des Abg. Florian Müller [CDU/CSU])

Aber zurück zu dem Thema des Tages: Es geht um Genehmigungsbeschleunigung. Da gibt es noch was anderes zu verkünden.

(Ulrich Lange [CDU/CSU]: Ist das eine Arroganz!)

– Herr Lange, kommen Sie wieder in den Verkehrsausschuss! Dann reden wir miteinander. Solange Sie da nicht sind, finde ich es manchmal ein bisschen schräg, dass Sie hier die Reden zum Verkehr halten. Aber das müssen Sie in Ihrer Fraktion klären.

(Beifall der Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Sylvia Lehmann [SPD])

Ich will aber noch zu anderen Punkten kommen. Die Klimaschutzlücke wurde gerade angesprochen. Wir müssen die Ladeinfrastruktur für Lkw und Pkw schnell und massiv ausbauen. Wir müssen beim Personentransport, beim ÖPNV viel schneller werden. Der Bau einer Straßenbahnlinie dauert ewig; der Bau einer Busspur dauert ewig. Das muss schneller gehen.

(Zuruf des Abg. Mike Moncsek [AfD])

Wir brauchen mehr gute Radwege. Dazu muss ich mal einen Satz sagen:

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ganz ehrlich, was da gerade in Berlin abgeht! Statt Miteinander und Technologievielfalt wird von der neuen CDU-Verkehrssenatorin – besoffen vom Autowahn – der Rückbau von Radwegen angeordnet,

(Beifall des Abg. Mike Moncsek [AfD] – Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Sehr gut! Sehr gute Politik, die Frau! – Mike Moncsek [AfD]: Sehr gut!)

Beschleunigung zurück dreht und die Verzögerung von Planung angeordnet. Wie schlecht kann man eigentlich regieren!? Das ist irre. Das sollten Sie mal fraktionsintern aufrufen.

(Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Warum seid ihr denn abgewählt worden für eure Politik? – Henning Rehbaum [CDU/CSU]: Es wurden bislang 850 Kilometer Radwege gebaut! Unter CDU-Führung!)

Unser Verkehrsminister hingegen hat zugesagt, für Ladeinfra, für ÖPNV, für Radwege Vorschläge für dieses Gesetz nachzulegen, sodass wir hier schneller vorankommen können. Das begrüße ich.

Ja, wir müssen auch über Straßen reden.

(Lachen des Abg. Florian Müller [CDU/CSU] – Nina Warken [CDU/CSU]: Ach! Schau an!)

Die Länder haben dazu Listen übermittelt, die werden wir uns anschauen; aber auch da gilt: priorisieren, entscheiden, nach vorne stellen und auch weglassen. Und da möchte ich dann noch ein Wort an die Union richten:

(Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Ach, das ist aber nett!)

Klammern Sie sich nicht weiter so an die FDP! Lassen Sie uns endlich Ihr marodes Erbe des Straßennetzes sanieren, statt hier immer neue Neubaufantasien auf den Tisch zu legen!

(Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Das ist unser natürlicher Partner! Nicht eurer!)

Das ist doch völlig irre: hinten zerbröseln lassen, vorne erweitern. Das ist doch von einer anderen Welt. Das funktioniert nicht, und deswegen haben wir einen Dialogprozess beschlossen,

(Zurufe der Abg. Henning Rehbaum [CDU/CSU] und Dr. Dirk Spaniel [AfD])

bei dem es nicht um Monologe, sondern um echte Dialoge geht.

Das ist die Vorgabe; denn wir haben viel zu reden – Stichwort „Klimakrise“, Stichwort „Fachkräftemangel“, Stichwort „Baukostensteigerung“. Darin ist überall Ihr Erbe. Auch da müssen wir wieder dahinkommen: nicht nur reden, sondern auch priorisieren.

Daher: „Weg von dieser klebrigen Betonsucht!“ ist das Motto, Hände lösen vom Asphalt, priorisieren.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie wollen die Menschen einfach nicht entlasten!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Herr Kollege.

Stefan Gelbhaar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Denn ja, wir müssen schneller werden.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Das Wort hat Thomas Lutze für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)