Rede von Andreas Audretsch Generaldebatte

Andreas Audretsch MdB
Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Kaminski
06.09.2023

Andreas Audretsch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Aussprache heute findet unter besonderen Voraussetzungen statt. Die Frage nach dem, was den Kern unserer demokratischen Kultur, unseres demokratischen Konsenses, den Zusammenhalt der Gesellschaft ausmacht, ist in den letzten Tagen heftig diskutiert worden. Ich finde, wir sollten heute nicht darüber hinweggehen; vor allem auch vor dem Hintergrund der Rede, die wir gerade aus den Reihen der AfD gehört haben.

Mich hat in den letzten Tagen sehr beschäftigt, was Björn Mensing gesagt hat. Er ist Pfarrer und Historiker an der Evangelischen Kirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau vor den Toren Münchens. Björn Mensing mahnt vor allem eines an: Wenn man den Holocaust relativiert und abscheulichen Antisemitismus verbreitet hat – und sei es mit 17 Jahren gewesen –, ist es völlig inakzeptabel, sich als 52-jähriger verantwortlicher Politiker selbst zum Opfer zu stilisieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wer das tut und versucht, genau diese Rolle dann auch noch für sich zu vermarkten, hat die Dimension dessen, um was es gerade geht, nicht erfasst. Wer so agiert, stellt in vollem Bewusstsein und gezielt den eigenen Populismus über die Grundfesten der Erinnerungskultur und über die Grundfesten unserer Demokratie, und das dürfen wir niemals akzeptieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ich teile an dieser Stelle die Analyse des früheren CSU-Chefs Erwin Huber. Aiwanger ist nicht Trump, hat Herr Huber gesagt – und ich teile das –, aber die Methoden ähneln sich verblüffend: Man nimmt erst gar nicht zur Kenntnis, dass ein Problem vorliegt. Man leugnet schlicht und ergreifend alles, was passiert ist. Man droht, man macht sich selber zum Opfer. – Das sind die Methoden. All das erinnert eins zu eins an die Methode Trump. Und ich stimme Erwin Huber darin zu, wenn er sagt: Diese Art von Politik darf in Deutschland niemals Schule machen. – Das, was wir in Bayern gerade beobachten, ist brandgefährlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wann immer mit Populismus übergangen wird, was Antisemitisches gesagt wird, wird Menschenverachtung Schritt für Schritt ein Stück weit normalisiert. Es verrutscht unser demokratischer Konsens. Alle Demokratinnen und Demokraten, ob hier im Haus, ob in Bayern, ob in anderen Bundesländern, sollten über die Debatte, die wir in Bayern erleben, nicht einfach hinweggehen: weil es uns alle braucht, weil es uns Grüne braucht, SPD, Linke, FDP und CDU/CSU, weil das, was wir dort beobachten, so nicht weitergehen darf.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir brauchen Anstand, wir brauchen grundsätzliche Tugenden, und wir brauchen ein Bekenntnis zu den Grundfesten unserer Demokratie. An dieser Stelle darf es keinerlei Zweideutigkeit geben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Der Missbrauch von Erinnerung ist weltweit zu einem Einfallstor für rechtsextremes Gedankengut geworden. Auf der Hand liegt, dass sich aus der Erinnerungskultur auch das speist, was heute die Grundfesten unserer Gesellschaft sind. Wenn wir unsere liberale Demokratie aufrechterhalten wollen, wenn wir das bewahren wollen, was den meisten hier im Haus, glaube ich, viel wert ist, dann müssen wir Orte der Erinnerung an das menschenverachtende Naziregime, an die Shoa stärken.

Ich selber war vor einigen Wochen in der KZ-Gedenkstätte in Buchenwald in der Nähe von Weimar. Seit in Thüringen rechtsextremes Gedankengut in einem erschreckenden Maße Raum greift, ist dort die Nachfrage nach Führungen, ist dort die Nachfrage, sich mit dem zu befassen, was damals passiert ist, enorm gestiegen. Das ist das, was uns berichtet wurde. Viele Menschen wollen sich auseinandersetzen mit dem, was passiert ist. Das gilt auch für andere Gedenkstätten. Das gilt auch für die KZ-Gedenkstätte in Dachau. Deswegen ist es richtig, dass wir gerade an einem neuen Gedenkstättenkonzept arbeiten. Natürlich werden wir in den Beratungen des Haushaltes auch die Erinnerungskultur mit der nötigen Aufmerksamkeit bedenken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Eine zweite Sache ist wichtig in dem Kontext; der Kollege Hacker hatte es schon sehr gut auf den Punkt gebracht: Wir brauchen demokratischen Diskurs. Wir brauchen ein Miteinander an allen Orten dieser Gesellschaft, vor allem auf dem Land, in der Stadt, in den kleinen Kreisen, da, wo Menschen zusammenkommen und sich austauschen. Wer Kultur vor Ort erlebt, egal wo im Land, der erlebt auch die Gemeinschaft an diesem Ort.

Die kulturelle Arbeit abseits der großen Häuser ist für den Zusammenhalt der Gesellschaft von enormer Bedeutung. Deswegen ist es richtig, dass wir in dem Etat, der jetzt vorliegt, die Bundeskulturfonds stärken. Deswegen ist es richtig, dass wir einen Amateurmusikfonds aufgelegt haben. Deswegen ist es richtig, dass wir einen Festival-Förderfonds aufgelegt haben, der ganz besonders den ländlichen Raum adressiert, weil es diese Orte dort noch viel stärker braucht. Es ist richtig, dass wir die Orte der Demokratie, von denen wir hier sprechen, stärken; denn wer vor Ort Gemeinschaft in einem Chor erlebt oder in einem Theatertreff, –

Vizepräsidentin Petra Pau:

Herr Kollege, denken Sie an Ihre nachfolgenden Kollegen?

Andreas Audretsch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

– der wird auch ein Stück weit immun gegen das, was Populisten und Demagogen in unserer Gesellschaft wollen.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Für die FDP-Fraktion hat nun Otto Fricke das Wort.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)