Schahina Gambir MdB
Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Kaminski
06.09.2023

Schahina Gambir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Klimaforschung ist ein Kipppunkt ein Moment, an dem eine kritische Grenze erreicht wird und ab dem sich negative Dynamiken beschleunigen. Ich frage mich: Haben wir auch gesellschaftlich einen Kipppunkt erreicht?

Angriffe auf unsere plurale Gesellschaft haben in den letzten Jahren zugenommen. Vorfälle rechter, rassistischer, antisemitischer Gewalt sind auf einem Höchststand. Lehrer/-innen, die rechtsextreme Vorfälle an ihrer Schule melden, werden bedroht, antisemitische Schriften werden verharmlost und bleiben folgenlos. Nöte und Krisen werden gezielt instrumentalisiert, und das häufig auf dem Rücken von marginalisierten Gruppen, ob in der Coronapandemie oder der Energiekrise. Geringverdienende, arbeitslose Menschen und Geflüchtete dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Was bedeutet die Überschreitung dieses Kipppunktes für unsere Demokratie? Die Grenzen des Sagbaren werden immer weiter verschoben. Friedrich Merz wetterte diese Woche, Kreuzberg sei nicht Deutschland. Dieser blanke Populismus negiert nicht nur die Vielfalt in Deutschland, sondern würdigt auch all die Menschen herab, die Deutschland als ihr Zuhause begreifen und Teil dieser Gesellschaft sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Durch solche Diffamierungen werden sie als Fremde markiert, abgewertet und ausgegrenzt.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wenn Sie alles falsch verstehen wollen!)

Rassismus bedroht nicht nur unsere Demokratie insgesamt, sondern diese Menschen ganz konkret. Auch ihre Ängste und Sorgen müssen zählen. Gewalt und Hetze dürfen nicht normalisiert werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Es ist beeindruckend, wie viele Menschen sich in unserer demokratischen Zivilgesellschaft engagieren. Tausende Vereine und Initiativen stellen sich demokratiefeindlichen Tendenzen entgegen. Sie setzen sich für eine vielfältige Gesellschaft und eine starke, wehrhafte Demokratie ein. Denn als Gesellschaft tragen wir die Verantwortung, Hass und Rechtsextremismus den Nährboden zu entziehen: im Alltag, in unseren Institutionen, in unseren Parlamenten, in den Kommunen, in den Ländern, aber auch direkt aus dem Kanzleramt heraus.

Die Schaffung des Amtes der Antirassismusbeauftragten war ein wichtiger Schritt, um Rassismus endlich koordiniert und strukturell bekämpfen zu können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Doch der Haushalt und die Politik müssen eine gemeinsame Sprache sprechen. Die Verantwortung des Bundes für Integration und für die Bekämpfung von Rassismus und Extremismus muss im Etat finanziell unterlegt werden. Es wäre fatal, genau jetzt nicht in diese Maßnahmen zu investieren.

An einem Kipppunkt verfestigen und beschleunigen sich negative Dynamiken. Wir müssen jetzt dagegenhalten, –

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollegin.

Schahina Gambir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

– geschlossen und solidarisch.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat Sepp Müller für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)