Rede von Erhard Grundl Generaldebatte

Foto von Erhard Grundl MdB
Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Kaminski
06.09.2023

Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die alte Synagoge an der Reichenbachstraße in München konnte im Juni das Richtfest gefeiert werden. Der Wiederaufbau dieser Synagoge ist bemerkenswert. Die Stadt München, der Freistaat Bayern, die Bundesregierung und ein unglaubliches Engagement aus der Gesellschaft heraus haben diesen Wiederaufbau möglich gemacht. Diese Synagoge ist Zeugin deutscher Geschichte, und Geschichte erledigt sich nicht. Bayerns Ministerpräsident Söder hat kürzlich ein antisemitisches Flugblatt aus dem Schulranzen seines Stellvertreters als besonders eklig bezeichnet. Als ginge es hier um eine Geschmacksfrage! Der Umgang mit menschenverachtenden Machwerken ist keine Geschmacksfrage.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Unsere gemeinsame Erinnerungspolitik ist eine der bedeutendsten Errungenschaften der Bundesrepublik Deutschland. Unsere Erinnerungskultur ist nicht ohne Selbsterkenntnis und die Übernahme von Verantwortung möglich. Wir haben uns bisher gemeinsam dieser Verantwortung gestellt. Zur Erinnerungskultur gehört die schmerzliche Erkenntnis – heute mehr denn je –, dass die deutschen Nationalsozialisten 1933 nicht von irgendwoher kamen oder von einem Raumschiff heruntergebeamt wurden und dass das nationalsozialistische, rassistische und antisemitische Gedankengut 1945 eben nicht für immer besiegt wurde.

Es geht immer um mehr als um den Blick zurück. Aktive Erinnerungskultur richtet sich auf Gegenwart und Zukunft. Sie sucht nach weltanschaulichen Kontinuitäten, sie schließt Wissenslücken, und sie steht derzeit vor großen, neuen Aufgaben. Es geht um Geschichtsvermittlung in unserer Einwanderungsgesellschaft. Es geht darum, bewährte Programme wie „Jugend erinnert“ zu stärken. Es geht um die Restitution von NS-Raubgut aus jüdischem Vorbesitz und die Stärkung der Rechte der Nachkommen. Es geht darum, neue Formate zu finden für die Zeit, in der uns die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen nicht mehr zur Seite stehen. Es geht um die Aufarbeitung deutscher Kolonialverbrechen, um die Restitution von Raubgut aus kolonialem Kontext und die Rückgabe von menschlichen Gebeinen. Umso wichtiger ist es, dass der Kulturhaushalt 2024 auf hohem Niveau stabil ist. Umso wichtiger ist es, die Erinnerungskultur weiter zu stärken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich hoffe darauf, dass dieses Anliegen ohne Abstriche Regierung, Linke und Union im Deutschen Bundestag eint.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)