Rede von Claudia Roth Haushalt 2022 - Generaldebatte Bundeskanzleramt

Zur Darstellung dieses Videos speichert Youtube Daten in einem Cookie und verarbeitet auch Nutzungsdaten außerhalb der EU. Weitere Infos finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

23.03.2022

Claudia Roth, Staatsministerin beim Bundeskanzler:

Sehr verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Krieg herrscht in Europa. Menschen werden getötet, werden verletzt, Menschen müssen fliehen, Familien werden zerrissen, Existenzen zerstört. Dahinter tritt alles zurück, wirkt alles andere klein und unbedeutend. Doch gerade jetzt in dieser Situation müssen wir uns auf das besinnen, was wir mit unseren Mitteln tun können, um zu helfen, wo wir helfen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und der Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU])

Gerade jetzt geht es darum, unser demokratisches Modell, unsere so wertvolle Kultur der Demokratie zu stärken und zu verteidigen. Deswegen ist Kulturpolitik auch Sicherheitspolitik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie der Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU])

Dieser Krieg zerstört nicht nur das Leben von Millionen von Menschen. Er zerstört auch ukrainische Kulturgüter. Er macht ukrainische Künstlerinnen und Künstler, Journalisten und Journalistinnen, die sich mit großem Einsatz für eine demokratische Entwicklung in der Ukraine starkgemacht haben, zu Verfolgten und zu Vertriebenen. Bedroht sind aber auch viele russische Künstlerinnen, Journalisten und Wissenschaftlerinnen, die für die letzten Freiräume gekämpft haben und nun auf der Flucht vor dem Putin-Regime sind.

Deswegen sage ich: Wenn wir es ernst meinen mit den Werten, die für alle Menschen gelten, wenn wir die Freiheit der Meinung, der Kunst und der Kultur verteidigen wollen, dann unterstützen wir jetzt alle diejenigen, die für diese Werte eintreten,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

dann wehren wir uns gegen eine nationalistische Instrumentalisierung von Kultur, dann widerstehen wir Versuchen von Kulturboykotten und öffnen unser Land für die, die heute auf der Flucht vor Kriegstreibern, vor Autokraten und verbrecherischen Regimen sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie der Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das werden wir nur gemeinsam schaffen: ressortübergreifend, in Zusammenarbeit mit Bund und Ländern, zwischen Innen und Außen und nicht zuletzt zwischen Regierung und Parlament. Kultur- und Medienpolitik sollten wir heute mehr denn je gemeinsam angehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ich darf mich an dieser Stelle ganz besonders bei Annalena Baerbock, aber auch bei allen Landesministerinnen und ‑ministern und Kultureinrichtungen für diese Zusammenarbeit bedanken.

Wir haben in einem ersten Schritt in meinem Haus eine Schnittstelle eingerichtet, eine Taskforce, die Innen und Außen, Zivilgesellschaft und Länder verbindet. Gemeinsam organisieren wir Hilfe und Aufnahmeprogramme für Künstlerinnen und für Journalisten. Wir unterstützen aufnahmebereite Kultureinrichtungen, und wir koordinieren Ad-hoc-Maßnahmen zur Rettung von Kulturgütern.

Ein Thema liegt mir dabei ganz besonders am Herzen – deswegen haben wir als Bundesregierung es auch auf die Agenda der G 7 gesetzt –: Wir müssen das demokratische Gesellschaftsmodell verteidigen und stärken, das heißt, wir müssen uns um die Meinungsfreiheit und die Meinungsvielfalt kümmern, um unabhängige Medien, die seriös und verlässlich informieren,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie der Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU])

bei uns, aber auch in Europa und im globalen Rahmen und ganz besonders im Blick auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt, der Schöpflin Stiftung und der Rudolf Augstein Stiftung, mit Reporter ohne Grenzen und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen wollen wir Arbeits- und Aufnahmemöglichkeiten für bedrohte Journalistinnen und Journalisten schaffen.

Liebe Demokratinnen und Demokraten, ich bin überzeugt: Kultur lebt im öffentlichen Raum, und der öffentliche Raum lebt von ihr. Kultur ist ein Lebenselixier für unsere Demokratie. Deswegen ist Kulturpolitik auch Gesellschaftspolitik, und die müssen wir gerade in und nach der Pandemie stärken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wir müssen gerade jetzt dafür sorgen, dass sie ihre Kräfte entfalten kann. Was für Kräfte sie entfalten kann und wie stark ihre Stimme ist, das haben wir doch erst am letzten Sonntag bei „Sound of Peace“ hier in Berlin am Brandenburger Tor gesehen.

Doch diese Kraft funktioniert nicht, indem wir nur Fördermittel ausreichen und einzelne herausgehobene Institutionen bedenken. Wir wollen die Kultur als einen offenen Raum begreifen, in dem wir Ideen, Projekte, Visionen fördern und unterstützen und in dem wir es ermöglichen, dass Menschen angstfrei ihre Stimme erheben können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Diese Freiheit von Kunst und Kultur, ihre Widerständigkeit und Verschiedenheit – genau das brauchen wir wie die Luft zum Atmen. Deshalb habe ich gesagt, dass ich die Kulturstaatsministerin der Demokratie sein möchte. Weil ich für die Kulturpolitik einer offenen Gesellschaft stehe, sage ich: Eine offene Gesellschaft unterschiedlichster, auch widerstreitender Ideen und Ausdrucksformen gedeiht nur, wenn sie Gegensätze aushalten, Leidenschaften ertragen und Freiheit gewähren kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Dafür brauchen wir Mittel. Deshalb bin ich sehr froh, dass das Bundeskabinett den zweiten Regierungsentwurf für den Haushalt 2022 beschlossen und den Etat für Kultur und Medien auf insgesamt 2,14 Milliarden Euro erhöht hat. Das ist eine Steigerung von 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Ich bin zufrieden, dass wir mit diesem Haushaltsentwurf Impulse setzen können, die wirklich in unserem Sinne wirken werden. Auch daher möchte ich für diesen Entwurf werben.

Diese Mittel sind gut angelegt: für die Kreativität unserer Gesellschaft, indem wir gemeinsam mit Robert Habecks Ministerium das Thema Kreativwirtschaft stärken und ressortübergreifend gemeinsam fördern wollen,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

für die Vielfalt und Demokratie in unserer Gesellschaft, indem wir zusätzliche Mittel gegen Rechtsextremismus und Rassismus bereitstellen, indem wir uns der Aufarbeitung des Kolonialismus energisch widmen und neue Mittel vor allem für die gemeinsame kulturelle Zukunft mit Afrika und den Ländern des Globalen Südens zur Verfügung stellen wollen, und vor allem, indem wir Nachhaltigkeit und Klimapolitik zu einem zentralen Thema machen.

Mit dem Sektorvorhaben „Green Shooting“ für die Filmwirtschaft haben wir begonnen.

(Lachen bei Abgeordneten der AfD)

– Ja, da lachen Sie. Informieren Sie sich erst einmal darüber, was das bedeutet. Alle Produzenten und Filmemacher, öffentliche wie auch private, sind dabei, weil sie auch in der Kulturbranche einen Beitrag gegen die Klimakrise leisten wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir werden jetzt mithilfe einer eigenen Arbeitseinheit „Kultur und Nachhaltigkeit“ dieses Thema über alle Sektoren hinaus verstärken und am Aufbau des Green Culture Desk arbeiten, den wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben.

Freiheit, Vielfalt und Nachhaltigkeit – das sind die Themen, die uns den Weg nach vorn in die Zukunft weisen sollen. Wir werden sie gemeinsam anpacken und die Kulturpolitik für eine Koalition des Aufbruchs gestalten. All das will ich in einem Plenum der Kultur, in enger Zusammenarbeit, in Abstimmung mit allen erreichen, die in der Kultur und die für die Kultur wirken: Künstlerinnen und Künstler, Kultureinrichtungen, Bund, Länder, Kommunen und Zivilgesellschaft. Ich will gemeinsam mit Ihnen die Kräfte von Kunst und Kultur weiter entfesseln. Und ich freue mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ich Sie in großer Mehrheit dabei an meiner Seite weiß.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Während hier vorn alles für den nächsten Redner vorbereitet wird, bitte ich darum, zu überprüfen, ob gegebenenfalls die Mund-Nasen-Bedeckung verrutscht ist, und, wenn das der Fall sein sollte, die entsprechende Ordnung wiederherzustellen.

Das Wort hat der Kollege Otto Fricke für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)