Foto von Filiz Polat MdB
16.11.2023

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schon Ende 2018 warnte das Deutsche Institut für Menschenrechte zutreffend, das Konzept sicherer Herkunftsstaaten sei – ich zitiere – „grundsätzlich rechtsstaatlich problematisch, da es einer individuellen und unvoreingenommenen Prüfung des Schutzgesuchs zuwiderläuft“.

(Detlef Seif [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht!)

Bekanntermaßen teilen wir Grüne diese Auffassung. Das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten halten wir für grundsätzlich falsch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Josef Oster [CDU/CSU]: Aha!)

Meine Damen und Herren, die Einstufung eines Staates als sicher hat ihren Ursprung im Asylkompromiss von 1993.

(Josef Oster [CDU/CSU]: Der erfolgreich war!)

Dafür hat der Bundestag das in Artikel 16a des Grundgesetzes verbriefte Grundrecht auf Asyl einschränken müssen. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf nutzt die Bundesregierung nun diese Möglichkeit, Georgien und Moldau zu sicheren Herkunftsstaaten zu bestimmen.

Diese Entscheidung hier hat also für uns grundrechtsrelevanten Charakter. Deshalb ist, Herr Seif, für den Bundestag nicht zu entscheiden, ob mit der Einstufung die Flüchtlingszahlen oder die Asylverfahrensdauer von Personen aus einem sicheren Herkunftsstaat womöglich sinken könnten. Entscheidungsleitend ist allein der Grundrechtsartikel. Wir müssen hier und heute ausschließlich beurteilen, ob die Voraussetzungen zur Einstufung erfüllt sind,

(Josef Oster [CDU/CSU]: Genau! Die liegen seit Jahren vor! Seit Jahren!)

nämlich dass aufgrund der Rechtslage, der Rechtsanwendung, der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet ist, dass in Georgien und Moldau weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, bei den Republiken Georgien und Moldau bestehen in unserer Fraktion insbesondere Zweifel in Bezug auf die Verfolgungssicherheit der Roma in Moldau und LSBTIQ-Personen vor allem in Georgien.

(Detlef Seif [CDU/CSU]: Stimmen Sie denn zu? Da sind wir gespannt! Sie gehören zur Ampel!)

Die zu diesem Gesetzentwurf eingereichten Stellungnahmen des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland und die gemeinsame Stellungnahme des Kommissariats der deutschen Bischöfe und der Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland sind hier beispielhaft erwähnt.

Darüber hinaus ist bei der Entscheidung mitzuberücksichtigen, dass die georgische Regierung keine Kontrolle über die Landesteile Abchasien und Südossetien ausübt bzw. die Republik Moldau keine Kontrolle über die Provinz Transnistrien hat. Diese Gebiete – das wissen Sie – werden von Russland kontrolliert.

Dennoch hat die Bundesregierung, meine Damen und Herren, dem Bundestag die Republiken zur Einstufung als sichere Herkunftsstaaten empfohlen. Warum? Beide Länder befinden sich im Beitrittsprozess der Europäischen Union und haben entsprechend hohe rechtsstaatliche Standards zu erfüllen. Für die Republik Moldau hat die EU-Kommission kürzlich – das wissen Sie – die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen empfohlen, für Georgien die Zuerkennung des Status als Beitrittskandidat. Beide Länder befinden sich in einem von der EU begleiteten Reformprozess, in dem die Rechtsstaatlichkeit, der Schutz von Grundrechten und Maßnahmen gegen Diskriminierung verbessert werden sollen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Darüber hinaus ist die Lage in den Drittstaaten, die als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden, regelmäßig und fortlaufend durch das Auswärtige Amt zu überprüfen; der Staatsminister ist ja auch da. Bei plötzlichen Verschlechterungen der Lage kann die Einstufung eines Staates als sicherer Herkunftsstaat durch Rechtsverordnung der Bundesregierung auch vorübergehend ausgesetzt werden. Dies muss entsprechend sichergestellt und konsequent angewendet werden. Meine Damen und Herren, das gilt im Übrigen auch für die bereits eingestuften Staaten wie Senegal und Ghana.

Durch die visafreie Einreise – das hat der Kollege Lindh gesagt – ist darüber hinaus sichergestellt, Herr Seif, dass Schutzsuchende dennoch kommen können, deren Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren in Deutschland erhalten bleibt – damit müssen Sie leider rechnen –,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Detlef Seif [CDU/CSU]: Das ist so!)

auch wenn mit der Einstufung die Verfahrensrechte eingeschränkt sind.

(Detlef Seif [CDU/CSU]: Nein! Die werden angehört und kriegen ein gutes Verfahren!)

Aus diesem Grund, Herr Seif, empfiehlt meine Fraktion, dem Gesetzentwurf zuzustimmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Detlef Seif [CDU/CSU])

Aber zum Schluss möchte ich mich noch dem Entschließungsantrag der Union widmen – der liegt heute auch vor –

(Alexander Throm [CDU/CSU]: Sehr guter Antrag!)

und mich auch an diejenigen in der SPD und der FDP wenden, die der Überzeugung sind, dass die drei Maghreb-Staaten

(Josef Oster [CDU/CSU]: Genau!)

die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Kriterien zur Einstufung eines Landes als sicher erfüllen.

Meine Damen und Herren, während in Georgien, aber auch in Moldau der Staat lediglich viel zu oft den notwendigen Schutz vor LSBTIQ-feindlicher Gewalt versagt, sind die Staaten Marokko, Algerien, Tunesien selbst Verfolger, so zu Recht der LSVD in seiner Stellungnahme. In Marokko und Algerien wurden und werden zahlreiche queere Menschen vor Gericht gestellt und auf Grundlage von homosexuellfeindlicher Gesetzgebung verurteilt. In Tunesien haben Menschenrechtsorganisationen zahlreiche Fälle schwerer sexueller Übergriffe in Form von zwangsweisen Analuntersuchungen an schwulen und bisexuellen Männern zur angeblichen Feststellung gleichgeschlechtlicher Handlungen durch Staatsbedienstete dokumentiert.

Die alte Bundesregierung unter Federführung der Union hat sogar im Mai 2018 zum Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie gemeinsam mit 31 UN-Mitgliedstaaten, Herr Seif, diese Form der Analuntersuchung als Form der Folter verurteilt.

(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)

All dies findet weiter in diesen drei Staaten statt.

(Detlef Seif [CDU/CSU]: Die Verfolgten bekommen weiter Schutz nach der Einstufung! – Gegenruf der Abg. Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hören Sie gut zu!)

Meine Damen und Herren, die Verfolgung von LSBTIQ-Personen ist nur eines unter mehreren schwerwiegenden Menschenrechtsproblemen in den Maghreb-Staaten. Die Menschenrechtslage hat sich in vielen Bereichen zuletzt deutlich verschärft.

(Josef Oster [CDU/CSU]: Die Möglichkeit des Antrags bleibt doch erhalten!)

Eine Einstufung dieser Länder als sichere Herkunftsstaaten auf Grundlage des Grundrechtsartikels – Sie müssen sich an unser Grundgesetz halten –

(Josef Oster [CDU/CSU]: Da brauchen Sie mal keine Sorge zu haben! Das machen wir! – Gegenruf der Abg. Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)

wäre vor diesem Hintergrund nicht weniger als völlige Realitätsverweigerung und kommt daher unter keinen Umständen für uns infrage. Deshalb werden wir Ihren Entschließungsantrag ablehnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Detlef Seif [CDU/CSU]: Na, dann wissen wir ja Bescheid!)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat der Abgeordnete Stefan Keuter für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)