Rede von Dr. med. Paula Piechotta Haushalt 2023: Gesundheit, Epl. 15

Dr. Paula Piechotta MdB
08.09.2022

Dr. Paula Piechotta (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Lieber Sepp Müller, ich finde es unglaublich gut, dass in dieser Legislatur so viele Menschen gerade aus Sachsen-Anhalt in der Unionsfraktion

Gesundheitspolitik machen können, weil das eins der Bundesländer ist, in dem die Versorgung an vielen Stellen wirklich prekär ist. Sie wissen aus der Lage vor

Ort, wie viel wir im Gesundheitswesen tun müssen, damit die Versorgung besser wird.

Aber Sie rufen jetzt hier nach einem Mach-Minister, und das nur knapp zwölf Monate, nachdem Jens Spahn abgetreten ist, wo wir alle wissen: Dieser

Ansatz von Politik, viel zu machen, hat auch Konsequenzen, dass da einfach unglaublich viel Geld aus dem Fenster rausgeworfen wurde.

Ich will nicht in alle inhaltlichen Punkte einsteigen, weil ich nicht im Fachausschuss sitze. Aber Sie haben zum Beispiel die Neupatientenregelung

angesprochen. Sie tun so, als ob die Streichung unglaubliche Unterschiede in der Versorgung machen würde.

(Sepp Müller [CDU/CSU]: Würde sie auch!)

Sie erwähnen nicht, wie wenig Neupatienten diese Regelung tatsächlich geschaffen hat, wie viele zusätzliche Arzttermine sie tatsächlich geschaffen hat

oder eben nicht. Nach so viel Zeit mit der Union und vor allen Dingen auch mit Jens Spahn im Bundesgesundheitsministerium, der in Zeiten regiert hat, wo er

klotzen konnte und oft nicht aufs Geld geschaut hat, müssen wir das jetzt ausbaden, und das unter unglaublich schwierigen Rahmenbedingungen, weil uns jetzt das

Geld an allen Ecken und Enden fehlt. Hier so zu tun, als ob Karl Lauterbach nicht mit Geld umgehen könnte, wenn man selber die Partei der Maskendeals ist, der

Betrugsfälle in den Coronatestzentren, ist vielleicht ein bisschen unvorsichtig in einer solchen Debatte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Jetzt möchte ich dann doch wieder über das Geld sprechen und noch mal daran erinnern, wie es am Anfang der Pandemie war, als wir alle aus unserem

Alltag rausgeworfen waren und die Gesundheitspolitik in Deutschland gefühlt zum ersten Mal viele Menschen interessiert hat. Das war gerade für Menschen, die

viel Gesundheitspolitik gemacht haben, eine sehr besondere Situation. Da haben viele – auch hier im Bundestag – die Hoffnung gehabt, dass sich nach der Pandemie

unglaublich viel im Gesundheitswesen verbessern würde, gerade auch für Beschäftigte im Gesundheitswesen. Die sehen jetzt: So viel hat sich gar nicht verändert.

Die haben die blöde Vermutung, dass wir aus dieser Pandemie rauskommen könnten mit genau den gleichen Problemen, aber noch weniger Geld im Gesundheitswesen und

damit auch noch schlechteren Arbeitsbedingungen für sie in den Kliniken und Praxen.

(Ates Gürpinar [DIE LINKE]: Das ist eine Tatsache, keine Vermutung!)

Deswegen muss man schon mal darauf hinweisen, dass es doch Lerneffekte aus der Pandemie gibt, auch in diesem Gesundheitsetat. Der Etat des

Gesundheitsministeriums finanziert nicht das komplette Gesundheitswesen. Der ist nur ein Bruchteil dessen, was die Kassen im Gesundheitswesen leisten. Aber auch

an diesem Etat sieht man, wie die Lerneffekte der Coronapandemie jetzt ganz konkret umgesetzt werden.

Der Minister hat es angesprochen: Wir hatten diesen unglaublichen Aufwuchs im Etat von knapp 15 Milliarden Euro vor der Pandemie in weniger als drei

Jahren quasi vervierfacht auf über 60 Milliarden Euro, und jetzt nehmen wir das wieder zurück auf knapp 22 Milliarden Euro im Entwurf. Das zeigt aber auch: Wir

gehen nicht auf das Vorkrisenniveau zurück, sondern wir bleiben mit den 22 Milliarden Euro deutlich über dem vorpandemischen Niveau. Da sind Punkte drin, die

Lerneffekte darstellen aus der Pandemie. Ich möchte auf drei Punkte eingehen, weil ich glaube, dass wir die über alle Fraktionen hinweg gut im Blick behalten

sollten, auch weil sie teilweise sehr teuer sind, aber nicht nur, weil sie teuer sind.

Wir steigen mit diesem Entwurf ein in die sogenannten Pandemiebereitschaftsverträge. Das ist ein neues Instrument. Wir als Bund geben Herstellern hohe

dreistellige Millionenbeträge über mehrere Jahre an die Hand, damit sie Kapazitäten für Impfstoffproduktion vorhalten, falls es noch mal zu einer epidemischen

oder pandemischen Lage kommt. Das müssen wir alle sehr genau im Blick behalten, vor allem auch, ob die Kapazitäten, die geschaffen werden sollen, tatsächlich

auch zuverlässig geschaffen werden.

Die Beratungshotlines für die Patienten werden weitergeführt. Das ist auch eine Errungenschaft der Pandemie.

Was auch eine Errungenschaft ist, ist die Erkenntnis, dass gerade in der Frühphase der Pandemie die WHO nicht immer suffizient die frühe Detektion,

die frühe Vorwarnung, die frühe Beratung von Regionen und Ländern geleistet hat. Deswegen finanzieren wir jetzt weiter den WHO Hub for Pandemic and Epidemic

Intelligence und werden ihn hier in Berlin als Zentrum etablieren, wo Frühdetektion, Warnung und Beratung für alle Regionen und Länder dieser Welt geleistet

wird.

Das sind Verbesserungen in diesem Etat. Aber natürlich ist es so, dass in diesem Etat, gerade auch aus Sicht von Gesundheitspolitikerinnen und

Gesundheitspolitikern, unglaublich viel Luft nach oben ist. Ich kann für uns sprechen: Vor allen Dingen die Punkte Prävention, Modernisierung im

Gesundheitswesen und internationale Gesundheitspolitik werden wir uns noch mal sehr genau anschauen.

Jetzt möchte ich noch mal auf die haushaltspolitischen Lehren aus der Coronapandemie für diesen Etat kommen.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Frau Piechotta, möchten Sie eine Zwischenfrage aus der CDU/CSU-Fraktion zulassen?

Dr. Paula Piechotta (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ausnahmsweise nicht, aber ich komme gleich vorbei. – Ich habe gerade schon gesagt, von knapp 15 Milliarden Euro in drei Jahren hat sich dieser

Etat – das kann man nicht als organisches Wachstum bezeichnen – auf über 60 Milliarden Euro vervierfacht. Die Möglichkeiten und die Realisierung der

Kontrollmöglichkeiten sind da oft nicht in gleichem Maße mitgewachsen. Deswegen müssen wir auch haushaltspolitisch aus dieser Zeit lernen.

Auch in der Krise, auch im Gesundheitsbereich, auch wenn wir jetzt in die nächste Krise gehen und ihr begegnen müssen, brauchen wir den fairen

Lastenausgleich zwischen Bund und Ländern, teilweise auch den Kommunen. Das gilt auch im Gesundheitsbereich, und es muss auch im dritten und vierten

Pandemiejahr gelten und eben nicht nur im ersten, wie wir das erlebt haben. Auch in der Krise müssen wir sicherstellen, dass Steuergelder so ausgegeben werden,

dass Betrug verunmöglicht wird. Das ist eine enorm große Lehre aus der Coronazeit, gerade im Einzelplan 15. Wir sehen jetzt, dass teilweise Gelder aus

Betrugsfällen zurückfließen. Aber das ist nur ein Bruchteil dessen, was wahrscheinlich wirklich nicht bei Patientinnen und Patienten und bei der Bevölkerung

angekommen ist. Und wir müssen natürlich auch sicherstellen – gerade wenn jetzt eine Krise nach der anderen kommt und das eine Hilfspaket das nächste ablöst –,

dass das, was wir an Kriseninterventionen machen, nicht unsere mittel- und langfristigen Ziele im Gesundheitswesen, zum Beispiel im Bereich

Krankenhauslandschaft, konterkariert.

Deswegen: Sehen Sie es uns bitte nach. Wir Haushälter werden uns auch in diesen Haushaltsberatungen wieder sehr genau jeden einzelnen Euro anschauen,

weil jeder einzelne Euro, der hier eben nicht dafür ausgegeben wird, dass Gesundheitsversorgung besser und Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen attraktiver

werden, –

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Frau Kollegin.

Dr. Paula Piechotta (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

– eine verpasste Chance für bessere Lebenserwartungen ist.

(Zuruf von der AfD: Das ist ein Märchen!)

Deswegen: Sehen Sie es uns nach. Wir werden das wieder sehr genau beraten.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Der Kollege Tino Sorge wünscht eine Kurzintervention.