Rede von Johannes Wagner Globale Gesundheit

Johannes Wagner MdB
14.10.2022

Johannes Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Lieber Professor Ganten! Die kommenden Tage werden wichtige Tage für die globale Gesundheit. Morgen wird hier in Berlin der Virchow-Preis für Globale Gesundheit verliehen. Mehr als 6 000 Teilnehmende aus über 100 Ländern kommen für den am Sonntag beginnenden Weltgesundheitsgipfel hier in Berlin zusammen. Deswegen ist es gut, dass auch wir im Bundestag uns mit globaler Gesundheit befassen.

Globale Gesundheit – woran denken Sie, wenn Sie das hören? Viele denken wahrscheinlich vor allem an Infektionskrankheiten im Globalen Süden: Tuberkulose, HIV, Malaria – und seit März 2020 vermutlich auch an Pandemien. Das ist alles richtig. Aber wenn wir über globale Gesundheit sprechen, müssen wir noch weiter ausholen. Im Jahr 1848 brach in Preußen eine Typhusepidemie aus. Der genannte Rudolf Virchow, nach dem der Name dieses Preises benannt ist, machte damals die Politik verantwortlich und forderte eine bessere Versorgung mit Lebensmitteln.

Virchow hat früh verstanden, wie sehr unsere Lebensumstände unsere Gesundheit beeinflussen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Man könnte ihn quasi als Begründer von Public Health bezeichnen. Ausreichend Nahrung, saubere Städte und nicht zuletzt auch der Elektroherd haben vermutlich mehr Leben gerettet, als alle medizinischen Eingriffe es jemals könnten.

(Beatrix von Storch [AfD]: Der Elektroherd vor allem!)

Das soll mitnichten die großartige Leistung von Gesundheitsberufen schmälern, sondern einordnen, wo Politik aktiv werden muss:

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

bei den Lebensumständen, bei Prävention, damit Menschen gar nicht erst krank werden.

Als ich noch als Kinderarzt in Weiterbildung gearbeitet habe, habe ich mich oft gefragt: Wie kann das sein? Wir geben im Krankenhaus alles dafür, damit Kinder gesund werden, und gleichzeitig zerstören wir als Gesellschaft die Lebensgrundlagen ebendieser Kinder. Durch unseren enormen Ressourcenverbrauch überschreiten wir planetare Grenzen, zerstören Lebensräume und erhöhen dadurch auch das Risiko für neue Pandemien. Diese Zusammenhänge sind in den letzten Jahren besonders deutlich geworden. Denn die Coronapandemie hat nicht nur gezeigt, was passiert, wenn sich ein Virus ausbreitet, sie hat auch gezeigt, dass globale Gesundheit auch eine Frage der internationalen Zusammenarbeit, der sozialen Gerechtigkeit und des Klimaschutzes ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und des Abg. Hermann Gröhe [CDU/CSU])

Auf diese drei Punkte möchte ich kurz eingehen.

Erstens. Corona hat gezeigt, was passiert, wenn Länder nationale Alleingänge betreiben, statt zusammenzuarbeiten. In manchen Ländern des Globalen Südens haben wir noch immer eine Impfquote von unter 10 Prozent. Das ist nicht nur ungerecht, sondern auch extrem kurzsichtig. Wir müssen endlich begreifen, dass Impfstoffgerechtigkeit kein Nice-to-have ist, sondern elementare Voraussetzung dafür, Pandemien effektiv zu bekämpfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Dafür brauchen wir eine starke Weltgesundheitsorganisation, die finanziell gut aufgestellt ist. Wir stärken die WHO und werden auch weitere Reformprozesse anstoßen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zweitens. Es geht bei globaler Gesundheit auch elementar um soziale Gerechtigkeit. In einem aktuellen Oxfam-Bericht heißt es: Die Wahrscheinlichkeit im Globalen Süden, an Corona zu versterben, ist um 30 Prozent höher als im Globalen Norden. – Und auch in Deutschland leiden arme Menschen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit an einem schweren Verlauf. Damit wird klar: Gesundheit ist elementar mit Armut verbunden, und Armut bleibt ein Gesundheitsrisiko. Deshalb müssen wir jetzt in Armutsbekämpfung, Ernährungssicherung und Bildung für alle investieren,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

und zwar global und national.

Drittens. Die Coronapandemie hat verdeutlicht, wie sehr Klima- und Biodiversitätskrisen mit der Gesundheit zusammenhängen. Dass 75 Prozent der neu auftretenden Infektionskrankheiten Zoonosen sind, ist kein Zufall. Es ist das direkte Resultat der Zerstörung von tierischen Lebensräumen und des Artensterbens. Gleichzeitig führt die Erderhitzung zu immer häufigeren Extremwetterereignissen wie Dürren und Überflutungen. Die daraus resultierenden Ernteausfälle bedrohen direkt Millionen von Menschenleben. Das macht der gestern erschienene Welthunger-Index noch einmal erschreckend deutlich. Und das wirklich Ungerechte dabei ist: Diejenigen, die dazu am wenigsten beigetragen haben, sind am meisten davon betroffen.

(Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])

Deswegen wird die Weltklimakonferenz, die in wenigen Wochen in Ägypten stattfindet, so wichtig. Wir müssen endlich über Klimagerechtigkeit sprechen und unseren CO2-Fußabdruck reduzieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Denn ohne Klimaschutz kann es keine globale Gesundheit geben.

(Beatrix von Storch [AfD]: So ein Bullshit-Bingo! Unerträglich! – Jörn König [AfD]: Phrasen!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie Virchow sagte: Politik gestaltet Lebensumstände und damit Gesundheit. – Wir im Parlament beeinflussen mit unseren Gesetzen direkt die Qualität der Luft, die wir atmen, und des Wassers und unserer Ernährung. Deswegen sind wir alle, egal ob im Landwirtschaftsausschuss, im Verkehrsausschuss oder im Entwicklungsausschuss, immer auch Gesundheitspolitiker/-innen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Jörn König [AfD]: Genau! Alles hängt mit allem zusammen!)

Ich wünsche mir, dass wir bei jeder Entscheidung hier im Parlament Gesundheit mitdenken; denn nur so erreichen wir auch globale Gesundheit.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Jörn König [AfD]: Globale Gesundheit gibt es nicht! – Beatrix von Storch [AfD]: Rettungsdienste in Berlin funktionieren nicht! Aber globale Gesundheit!)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Nächster Redner ist Dr. Marc Jongen für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)