Rede von Lamya Kaddor Grenzschutzzäune

Lamya Kaddor
11.05.2023

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Ja, wir wissen, dass Menschen nicht so einfach losmarschieren und ihre Heimat verlassen, nur weil ihr Job vielleicht gerade nicht so cool ist. Zur Erinnerung: Das politische Asylrecht wurde von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes aus der schmerzhaften Erfahrung heraus geschaffen, dass Hunderttausende Deutsche vor der Nazidiktatur fliehen mussten und in anderen Ländern Schutz erhielten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Daher ist die Frage, wie wir als Europa mit den Menschen umgehen, wenn sie an den Außengrenzen ankommen, eine höchst historische und grundlegende für unsere Demokratie.

Wir Grünen und auch die Bundesregierung stellen sich dieser Frage, und wir machen es uns nicht leicht. Daher ringen wir um die Antworten; denn das Leid verfolgter Menschen könnte auch das unsere sein. Es könnten auch unsere Kinder betroffen sein. Daher sind legale Einreisewege die richtigen Antworten auf die rechtsstaatliche Krise an den Außengrenzen. Menschenrechts-Monitoring an den Außengrenzen und parlamentarische Kontrolle von Frontex sind es ebenfalls. Pushbacks sollten nicht länger möglich sein. Die EU-Grenzländer müssen unterstützt werden und Geflüchtete fair und solidarisch innerhalb der EU angenommen werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Das klappt ja großartig!)

Das individuelle Recht auf Asyl darf eben nicht ausgehöhlt werden, meine Damen und Herren.

Geht es nach dem erklärten Willen der AfD, werden wir zeitnah feste Mauern und Zäune haben. Sie glauben wirklich, dass dadurch Migration nachlasse, was schließlich zu geringeren Kosten und damit auch zu weniger Kriminalität führen würde. Ungarn ist das große Vorbild; denn Sie sind ja der Meinung – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin Hannes Gnauck, den Vorsitzenden der Jungen Alternative –, die anderen im Bundestag vertretenen Parteien würden „nicht ruhen, bis jeder Winkel unseres Landes und jedes friedliche Dorf mit illegalen Migranten vollgestopft ist“.

(Thomas Seitz [AfD]: Richtig! Das wollen Sie doch!)

So versteht die AfD ihre Arbeit: Lügen, Fake News verbreiten, agitieren, Menschen gegeneinander aufbringen – ja, das kennen wir.

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Aber ich verspreche Ihnen eines: Das lassen wir nicht zu, nicht hier im Deutschen Bundestag, nicht in dem Hohen Haus unserer doch so schwer erkämpften Demokratie, nicht in diesem Land, meine Damen und Herren!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Das lassen wir auch nicht im Ausschuss für Inneres und Heimat zu, in dem mir Menschen wie Sie gestern offen zu verstehen geben wollten, ich gehörte nicht zur Kultur des Abendlandes und ich müsse lernen, mich den Gepflogenheiten anzupassen.

(Thomas Seitz [AfD]: Man spricht nicht mit vollem Mund! – Gegenruf der Abg. Rasha Nasr [SPD]: Das ist eine Frechheit!)

Ich musste mir tatsächlich Aussagen anhören wie „Mit vollem Mund spricht man nicht; das tut man nicht in der abendländischen Kultur“ oder sogar Sätze wie „Wenn Frau Kaddor jünger wäre und lernte, sich zu benehmen, könnte sie sogar Teil der JA sein“. Das muss man sich hier anhören im Deutschen Bundestag, im Innenausschuss.

(Rasha Nasr [SPD]: Ekelhaft! – Marcel Emmerich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unterirdisch!)

Ja, damit haben Sie – und das möchte ich hier festhalten – eine Vertreterin des Deutschen Bundestages, also eine Vertreterin eines Verfassungsorganes, rassistisch und frauenfeindlich diffamiert. Ich bin Deutsche, und ich vertrete dieses Land, und es haben, weiß Gott, nicht Sie oder irgendjemand

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie des Abg. Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU])

ein irgendwie geartetes Recht oder gar die Macht dazu, diesen Fakt infrage zu stellen.

Vor genau 90 Jahren wurden in Deutschland Bücher verbrannt, um damit die kranken Vorstellungen von „undeutsch“ zu bezeugen. Damals war es noch gelungen, die Macht zu solch einer Perversion zu erringen. Aber Ihnen wird das nicht mehr gelingen.

(Zuruf von der AfD: Aber Ihnen!)

Denn das ist es, was die Worte „Nie wieder!“, „Nie wieder Faschismus!“ und „Wehret den Anfängen!“ in Wirklichkeit bedeuten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN – Zuruf des Abg. Thomas Seitz [AfD])

Ich versichere Ihnen: Die Demokraten in diesem Land lassen sich nicht mehr auseinanderdividieren, nicht im Innenausschuss, nicht im Deutschen Bundestag, gar nicht. Sie stehen mit Ihren völkischen Fantasien am Rand, und genau da gehören Sie auch hin.

Auch wir Demokratinnen und Demokraten müssen lauter werden und diese Gefahr gemeinsam abwehren. Es ist nicht primär Aufgabe von Betroffenen, sich dagegen zu wehren, sondern von nicht Betroffenen, ich möchte sagen: noch nicht Betroffenen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)

Denn wenn wir diesen Hass zulassen oder uns gar daran gewöhnen, meine Damen und Herren, werden es irgendwann nicht mehr nur geflüchtete Migranten und Muslime sein, die diesen Hass von rechts zu spüren bekommen. Irgendwann werden es wieder Jüdinnen und Juden sein, Frauen, Menschen mit Behinderung und Queere. Irgendwann sind wir alle irgendwie dran.

(Zurufe der Abg. Dr. Götz Frömming [AfD] und Steffen Janich [AfD])

Deshalb gilt es: Wir alle müssen gegen das da aufstehen.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: „Das da“!)

– Das da, genau das da!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss daher ein Dank an unsere Sicherheitsbehörden, ja, explizit an unseren Verfassungsschutz, der Verfassungsfeinde konsequent einordnet und das nachprüfbar belegt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich danke ihnen, dass ihre Funktion als Frühwarnsystem in diesem Bereich inzwischen so gut funktioniert.

(Zuruf)

– Ja. Sie sind auch Menschen. Sie sind auch Menschen. – Denn die Einstufung der Nachwuchsorganisation der AfD sowie zweier Gruppierungen aus dem Umfeld als gesichert rechtsextremistisch ist eine gute Nachricht dieser Tage. In dem Bericht des Verfassungsschutzes heißt es:

Die JA

– also die Junge Alternative –

propagiert ein völkisches Gesamtkonzept, das auf biologistischen Grundannahmen beruht, ein ethnokulturell möglichst homogenes Staatsvolk postuliert …

(Zuruf des Abg. Steffen Janich [AfD])

Staatsangehörige mit Migrationshintergrund werden als Deutsche zweiter Klasse abgewertet. Migrantinnen und auch Muslimen wird pauschal unterstellt, die öffentliche Sicherheit und den Erhalt des ethnisch definierten Volkes zu gefährden.

Im Innenausschuss wurde von einem Vertreter des Justizministeriums von einer Fixierung auf Migrantinnen und Migranten gesprochen, gar von einer Obsession für Musliminnen und Muslime.

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Dass ausgerechnet ich diese Obsession abgekriegt habe, wundert eigentlich nicht. Dass die AfD dann tatsächlich die Feststellung des Justizmitarbeiters als nicht rechtsstaatlich einordnete, schlägt dem Fass den Boden aus.

Genau das – ich komme zum Ende – ist der Treibstoff für jene Jugendliche, die in Heidesee in einem Ferienlager Schülerinnen und Schüler anfeinden oder die in Burg den Rechtsextremismus zur Leitkultur an ihrer eigenen Schule machen wollen. Solche Jugendlichen wünschen Sie sich.

(Abg. Steffen Kotré [AfD] meldet sich zu einer Zwischenfrage – Zuruf von der AfD: Hallo!)

Solche Jugendlichen wollen Sie mit Ihren Anträgen motivieren. Aber ich kann Ihnen heute und von dieser Stelle aus versichern: Das lassen wir nicht zu.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)