Rede von Lisa Paus Grenzüberschreitende Steuergestaltung

07.11.2019

Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute geht es um den Graubereich der sogenannten Steuergestaltungen: das Ausnutzen legaler Steuerschlupflöcher. Häufig genug diskutieren wir als Gesetzgeber im Bundestag über Steuerumgehungen zum Beispiel bei der Erbschaftsteuer oder der Grunderwerbsteuer durch Share Deals.

Das Problem ist, fast immer sind wir hier im Bundestag viel zu spät damit dran – Jahre, nachdem diese Modelle zum ersten Mal zum Einsatz gekommen sind, und Jahre, in denen dem Fiskus Millionen, teilweise Milliarden verloren gehen: Geld, das den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern verloren geht, Geld, mit dem Brücken und Schulen saniert werden könnten und der Klimaschutz vorangetrieben werden könnte.

Damit ist das eigentliche Problem häufig nicht die unterschiedliche Auslegung des Steuerrechts. Das Problem ist, dass wir erst Jahre später öffentlich darüber diskutieren, ob das im Sinne des Gesetzgebers gewesen ist und weiterlaufen kann oder eben nicht und wir schleunigst nachbessern müssen.

Zwischen der Verabschiedung eines Gesetzes und der Aufdeckung einer Steuergestaltung im Rahmen einer Außenprüfung vergehen in der Regel sieben bis zehn Jahre. In dieser Zeit können wir als Gesetzgeber nicht reagieren. Zudem ist es dem Gesetzgeber grundsätzlich verboten, in diesen Fällen rückwirkend tätig zu werden.

Und seien wir ehrlich, keiner kann alle Gestaltungsmöglichkeiten eines Steuergesetzes im Voraus überblicken. Gerade in Deutschland gibt es eine extrem komplizierte und gestaltungsanfällige Steuergesetzgebung.

Diese zeitliche Regelungslücke hat eine immer weiter ausufernde Steuergestaltungsindustrie als Geschäftsmodell für sich erkannt. Es ist äußerst lukrativ, einige Jahre dieses Steuerschlupfloch auszunutzen und zwischenzeitlich bis zu dessen Schließung die nächste Gestaltungsmöglichkeit vorzubereiten.

Im Kern geht es heute darum, den Gesetzgeber – uns – in die Lage zu versetzen, schneller öffentlich darüber zu beraten, ob eine Gestaltung gewollt ist oder eben nicht, und gegebenenfalls darauf zu reagieren. Wir müssen mit der Dynamik, der sich immer schneller drehenden Welt, in der Gesetzgebung mithalten. Deshalb brauchen wir ein Frühwarnsystem.

Darum ist die Umsetzung der europäischen Richtlinie richtig und dringend notwendig. Doch der Gesetzentwurf der Bundesregierung hat noch ein paar große Leerstellen. Denn wir waren als Gesetzgeber zusammen schon einmal deutlich weiter: Die Finanzministerkonferenz unter Beteiligung der uniongeführten Länder hatte sich bereits darauf verständigt, dass die gleiche Logik und alle vorgetragenen Argumente auch für nationale Gestaltungen, die wir hier in Deutschland haben, gelten sollten. Die EU-Richtlinie regelt nur grenzüberschreitende Fälle, Steuergestaltung findet aber eben nicht nur grenzüberschreitend statt. Ein Beschluss übrigens, der auf einen Entwurf aus einem grünen Finanzministerium – aus Schleswig Holstein – zurückgeht. Eine Idee, die so auch ausdrücklich in der Richtlinie angeregt und den Mitgliedstaaten freigestellt wird. Auch im Referentenentwurf des Bundesfinanzministeriums stand das noch drin. Aber jetzt im Regierungsentwurf wurde es wieder gestrichen, mit dem Resultat, dass der Finanzausschuss des Bundesrates erneut fordert, dies wieder aufzunehmen.

Es scheint da von den Finanzministerien ein klares Votum zu geben, das auf Druck der Wirtschaftslobby immer wieder übergangen wird. Das ist unverantwortlich und zeigt, wie wichtig es ist, dass die zuständigen Finanzbeamtinnen und ‑beamten in den Ministerien endlich wieder die Oberhand gewinnen und mit den nötigen Informationen versorgt werden.

Und übrigens nicht nur die Verwaltung: Es ist enorm wichtig, dass dem Bundestag ein jährlicher Bericht über die angezeigten Steuergestaltungen vorgelegt wird; denn wir sind der Gesetzgeber. Diesen vermisse ich aktuell noch im vorliegenden Gesetzentwurf.

Auf viele der immer wieder vorgebrachten Kritiken wurde reagiert: Das Berufsgeheimnis und das Vertrauensverhältnis zwischen Steuerberater und Mandant bleiben weiter geschützt: Unterliegt der Steuerberater einer gesetzlichen Pflicht zur Verschwiegenheit und hat der Mandant ihn hiervon nicht befreit, ist der Mandant selbst anzeigepflichtig.

Die Regelung zur Anzeigepflicht ist kein Bürokratiemonster, es muss nicht „einfach alles gemeldet“ werden, sondern es gibt sinnvolle Kriterien. Es ist wahrscheinlich, dass eine Anzeigepflicht nationaler Gestaltungen nicht einmal 1 Prozent der Steuerpflichtigen treffen würde. Ein Großteil der Steuerberater, gerade der kleineren Kanzleien, würde für ihre Mandanten nichts melden müssen. Hierfür gibt es Größenausnahmen.

Wie wichtig auch eine Anzeigepflicht für innerstaatliche Gestaltungen ist, zeigt ein weiteres Beispiel. Erst kürzlich machte die Branche der Wohnungsgenossenschaften darauf aufmerksam, dass vermehrt dubiose Modelle im Zusammenhang mit der Neugründung von sogenannten Familiengenossenschaften auftauchen. Unter Aushebelung genossenschaftsrechtlicher Prinzipien erschleichen sich Investoren steuerfreie Mieteinkünfte. Dieses Steuerschlupfloch können wir leicht schließen, doch hiervon muss der Gesetzgeber erst einmal wissen.

Lassen Sie uns diesen Wettlauf beenden. Dass eine nationale Anzeigepflicht funktioniert, zeigen die Erfahrungen anderer Staaten. In den USA, Kanada, Portugal, Irland und Großbritannien gibt es sie bereits. Und sie wirkt. Und warum soll Deutschland nicht auch einmal international eine Vorreiterrolle einnehmen, statt ständig hinterherzuhinken? Die nationale Anzeigepflicht könnte auch international als Vorbild dienen.