Rede von Schahina Gambir Grundgesetz
Schahina Gambir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Grundgesetz besteht aus 21 000 Wörtern und wiegt 1 396 Gramm. Doch die Bedeutung des Grundgesetzes lässt sich nicht einfach in Zahlen bemessen. Die Gewichtung des Grundgesetzes kennt keine Maßeinheit; denn es ist das Fundament unserer Gesellschaft. Das Grundgesetz garantiert unsere Demokratie, unseren Rechtsstaat sowie Grund- und Menschenrechte. Es ist auch die Grundlage unseres gemeinsamen Handelns, unser politischer Kompass. 75 Jahre Grundgesetz – das ist ein Anlass zum Feiern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Das Grundgesetz wirkt in alle gesellschaftlichen Bereiche hinein. Es hat sich in den letzten Jahren verändert und weiterentwickelt. Die Akzeptanz und Achtung für das Grundgesetz in Deutschland sind hoch. Die Mehrheit der Deutschen betont die Bedeutung demokratischer Werte und empfindet unser Grundgesetz als gute oder sogar sehr gute Verfassung. Gleichzeitig sinkt aber das Vertrauen in demokratische Institutionen.
Zum Jubiläum des Grundgesetzes müssen wir uns daher die Frage stellen, wie wir die Stabilität unserer Verfassungsordnung bewahren können. Insofern ist es begrüßenswert, dass der Antrag der Union für ein „Bundesprogramm Patriotismus“ diese Gelegenheit zur Diskussion bietet; denn tatsächlich müssen wir unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken. Doch Zusammenhalt lässt sich nicht verordnen, Zusammenhalt muss wachsen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Patriotismus ist hierbei kein geeignetes Bindeglied. Verfassungen mit nationaler Symbolik zu überladen, birgt das Risiko einer Instrumentalisierung durch autoritär-populistische Kräfte.
(Stephan Brandner [AfD]: Um Gottes willen! Was ist das für ein Quatsch? – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das ist das Normalste in der Welt!)
Forschung und Praxis belegen, dass ein starker Patriotismus häufig einhergeht mit der Abgrenzung und Abwertung von Menschen, die als anders oder fremd wahrgenommen werden.
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das ist doch schlicht falsch!)
Hier laufen wir Gefahr, gesellschaftliche Spaltung und Polarisierung weiter zu vertiefen.
Was wir stattdessen brauchen, ist eine lebendige und resiliente Verfassungskultur. Hier gilt es, den vielfältigen Charakter der Verfassung zu betonen. Dafür sind Maßnahmen nötig, die Demokratie und Vielfalt fördern und Nationalismus und Rassismus bekämpfen. Wir müssen demokratische Grundwerte stärken und das Vertrauen in demokratische Institutionen festigen. Dafür braucht es aber weit mehr als Symbole, Fahnen und Gelöbnisse.
Das Grundgesetz stellt den Menschen in seiner Würde in den Mittelpunkt staatlichen Handelns. Es schützt vor Diskriminierung und garantiert Freiheit und Gleichheit. Dennoch bestehen in unserer Gesellschaft weiterhin ungleiche Zugangs- und Teilhabechancen. Das gilt sowohl für Frauen als auch für Menschen aus Ostdeutschland und Personen mit Migrationsgeschichte. Diese Barrieren sind ein echtes Demokratiedefizit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Hier können und müssen wir handeln. Beim Abbau von Diskriminierung dürfen wir gerade in Zeiten, in denen unsere Demokratie angefeindet und bedroht wird, nicht nachlassen.
Für uns steht fest: Zugehörigkeit lässt sich nicht diktieren. Statt auf Patriotismus setzen wir auf ein inklusives Wir, das alle Bürgerinnen und Bürger würdigt und aktiv beteiligt. Das festigt den sozialen Zusammenhalt, dient unserer Verfassung und macht das Land demokratischer.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Präsidentin Bärbel Bas:
Als Nächste hat das Wort für die FDP-Fraktion Linda Teuteberg
(Beifall bei der FDP)