Rede von Katrin Göring-Eckardt Grundgesetzänderung - Bildungsföderalismus

28.09.2018

Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Grundgesetz, über das wir heute sprechen, verspricht: Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, Sprache, Heimat oder Herkunft benachteiligt werden. – Ausgerechnet dort, wo es um den Kern geht, wo es um die Bildung geht, gilt das ganz offensichtlich nicht. Es haben eben nicht alle Kinder und Jugendlichen gleiche Chancen. Das müssen wir ändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Mal ganz einfach gesprochen: Wenn die Eltern von Paul studiert haben, hat er dreimal so hohe Chancen, selbst Abitur zu machen und zu studieren, als wenn sie gemeinsam einen Kiosk betreiben. Wenn das Kind nicht Paul heißt, sondern vielleicht Fatima, dann sinken die Chancen noch mal. Das liegt nicht daran, dass Paul oder Charlotte schlauer sind, sondern das liegt ganz einfach an unserem System, an der Ungleichheit, die wir in der Bildungspolitik haben. Deswegen muss ganz klar sein: Es darf bei Kindern und ihren Chancen nicht mehr davon abhängen, wo sie wohnen, wie sie heißen und wer die Eltern sind. Das müssen wir ändern, und zwar nicht mit einmaligen Finanzierungen, sondern wirklich dauerhaft. Es geht um eine Kernaufgabe der Republik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Bildungskooperation ist dieser Kern. Natürlich war es ein Fehler der Großen Koalition, in 2006 die Kooperationsmöglichkeiten auf die Art und Weise abzuschaffen. Ich finde, wir müssen es zurückholen. Ich finde, wir müssen das ändern. Ich finde, wir müssen das aber auch wirklich konsequent ändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Frau Göring-Eckardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pantel?

Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Bitte schön.

Sylvia Pantel (CDU/CSU):

Sehr geehrte Frau Göring-Eckardt, Sie tun gerade wieder so, als ob nur das Abitur die Voraussetzung für eine gute Bildung ist. Wir exportieren das duale Bildungssystem überallhin. Es hat Riesenanstrengungen gegeben, dass der Meister dem Bachelor angeglichen wird. Wenn das jetzt von den Leuten in der Öffentlichkeit verfolgt wird, dann wird bei ihnen wieder der Eindruck erweckt, dass bei uns nur jemand, der ein Abitur hat, Bildungserfolge hat und dann auch weiterkommt. Das würde ich für absolut falsch ansehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der AfD sowie bei Abgeordneten der SPD)

Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Liebe Frau Kollegin, da sind wir uns vollkommen einig. Es geht nicht darum, dass nur diejenigen erfolgreich sind, die Abitur machen. Aber worum es doch gehen muss, ist, dass die Frage, welche Bildungserfolge man haben kann, egal auf welchem Niveau, auf welchem Level, mit welcher Zukunftsaussicht, nicht daran hängt, wie man heißt oder wo man herkommt, sondern dass die Frage, welche Möglichkeiten man bekommt, davon abhängt, welches Talent man hat. Darum geht es mir in diesem Kontext.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Meine Damen und Herren, genauso wenig wie es von den Eltern abhängig sein darf, darf die Frage, wie die Chancen sind, davon abhängig sein, wo man wohnt, so nach dem Motto: armer Stadtteil – Klo kaputt; reicher Stadtteil – schicker Schulhof. Wir wollen, dass die Gebäude intakt sind, dass die Lehrerzimmer voll sind, dass Abi gleich Abi ist und Abschluss gleich Abschluss ist, und zwar nicht nur ein bisschen.

Wir wollen, dass Bund und Länder sich auch zusammentun können, wenn es um die Aus- und Weiterbildung des Fachpersonals geht. Da können wir nicht sagen: Das soll dann mal wieder irgendwie nur vier Jahre passieren, das soll dann vielleicht mal wieder jemand anders machen. – Nein, das ist der Kern, um den es geht: dass wir tatsächlich auf Dauer stellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es kann nicht sein, dass es davon abhängt, ob die Schule in Bautzen, in Bielefeld oder in Baunatal steht. Es geht darum, dass Bund und Länder wirklich zusammenarbeiten und dass wir unsere Schulen in dieser Weise unterstützen, mit mehr Geld und mehr Personal.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist doch absurd: Für die energetische Sanierung darf man was geben, für die Schultoiletten, wenn man die Klodeckel austauschen will, schon wieder nicht; für den Internetanschluss: ja, sehr gern, aber wenn der Router streikt – der Router streikt sehr oft –, können wir für den Support kein Geld geben. Das ist die Gesetzeslage. Das ist widersinnig.

(Beifall der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir haben genug Geld in der Staatskasse, aber die Klassenkassen sind leer. Deswegen, finde ich, muss es so sein, dass der Bund in Zukunft nicht mehr nur bei den Schuldächern helfen kann, sondern auch da, wo es auf Zukunftsinvestitionen ankommt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Ich sage das auch vor dem Hintergrund der gestrigen Debatte um den Klimaschutz. Es geht um die Zukunft unserer Kinder in diesem Land. Sie werden uns irgendwann mal nicht fragen, ob es vielleicht kompliziert war, sie werden uns auch nicht fragen, ob vielleicht die oder jene mal zuständig waren – da bin ich komplett bei Herrn Rehberg –, sondern sie werden uns eines Tages fragen: Habt ihr alles für unsere Zukunft getan, für unsere Chancen und für unseren Planeten? Darum geht es, wenn wir hier heute wie auch gestern diskutieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will ein Argument von Christian Lindner aufnehmen. Liebe Große Koalition, beim Wohnungsbau zeigen Sie gerade, dass es geht. Da werden Sie nämlich die Mittel auf Dauer stellen. Das ist auch richtig so, weil der soziale Wohnungsbau – wir haben darüber viel debattiert – eine der zentralen Fragen ist, die wir in diesem Land klären müssen. Ich kann zu Hause und sonst wo niemandem erklären, warum eigentlich bei der Bildung nicht das gelten soll, was beim Wohnen selbstverständlich ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Deswegen sage ich Ihnen: Geben Sie sich einen Ruck! Machen Sie sich klar, dass Sie eine Zweidrittelmehrheit brauchen. Machen wir draußen gemeinsam klar, mit einer Kooperation, dass wir in der Lage sind, solche großen Probleme wie den Bildungsnotstand in dieser Republik zu lösen. Das ist eine Tatsache, der wir uns auf Dauer stellen müssen. Lassen Sie uns das gemeinsam angehen – nicht im Gegeneinander, sondern als Bund und Länder gemeinsam, auch in diesem Haus.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)