Rede von Dr. Manuela Rottmann Gruppenverfahren

16.03.2018

Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß, Sie alle sind mit dem Kopf fast schon im Wahlkreis.

(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Nein!)

Ich bitte Sie aber trotzdem, jetzt noch einmal aufzupassen; denn es kann durchaus sein, dass Sie in Ihrem Wahlkreis unangenehme Fragen gestellt bekommen. Ich glaube, viele von Ihnen werden dabei nicht gut ausschauen, wenn Sie nach einer Antwort suchen.

Gestern hat das Landgericht Hamburg dem Käufer eines VW-Diesels den Anspruch zugesprochen, diesen Diesel einzutauschen.

(Dr. Johannes Fechner [SPD]: Sehr gut!)

Der Diesel ist nicht mängelfrei gewesen, weil er mit einer Softwarenachrüstung ausgestattet worden ist, mit der Sie auf Ihren Dieselgipfeln seit Jahren versuchen, die Leute abzuspeisen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich gratuliere dem tapferen Kläger zu diesem Erfolg, zu den Nerven, zu dem Mut und zu auch dem Budget, das er offensichtlich hat, um sich alleine gegen VW zu stellen. Ich kann Ihnen garantieren: Bei Ihnen im Wahlkreis werden Sie die Leute, die in genau derselben Situation sind, aber nicht das Geld und nicht die Nerven haben, sich alleine gegen VW zu stellen, fragen: Und was ist mit mir?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Deswegen haben wir ja die Musterfeststellungsklage!)

Die Reaktion von der VW-Zentrale in Wolfsburg auf dieses Urteil zeigt ziemlich genau, in welch desolatem und rückständigem Zustand der deutsche Zivilprozess in dieser Frage ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

VW sagt: Andere Gerichte haben anders entschieden. Jetzt warten wir einmal die Berufung ab. Da bekommt der gute Mann sicher nicht mehr recht.

(Dr. Johannes Fechner [SPD]: Wieso denn?)

Sie sagen also letztlich: Na ja, ihr müsst immer noch alle einzeln gegen uns klagen. Dafür braucht ihr einen verdammt langen Atem. – Genau so sieht das deutsche Zivilrecht aus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Grünen haben unter der Federführung meiner geschätzten Kollegin Renate Künast hier schon 2013 einen Gesetzentwurf für eine Gruppenklage eingebracht, der alles geändert hätte.

(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Er war aber nicht zustimmungsfähig!)

Die Betroffenen hätten sich mit überschaubarem Risiko zusammentun können, um ihre Ansprüche gegen VW gemeinsam und mit ordentlicher Vertretung durchsetzen zu können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir hätten nicht zig Gerichte mit denselben tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen beschäftigt. Wir wären auf dem Weg zur Rechtssicherheit für VW und für die Käuferinnen und Käufer schon einen wesentlichen Schritt weiter. Und die Menschen in diesem Land hätten endlich das Gefühl, dass dieser Staat einmal an ihrer Seite steht und nicht nur an der Seite der Trickser mit guten Anwälten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Koalitionsvertrag kommen Sie nun viel zu spät mit einer absoluten Minimallösung um die Ecke.

(Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Eine hervorragende Lösung!)

Sie versprechen den Menschen, wenigstens Verjährungen Ende 2018 zu verhindern. Dabei ist noch nicht einmal klar, wie bei Ihren Ideen die Verjährung überhaupt gehemmt werden soll. Das Klageregister, für dessen Einrichtung das Justizministerium mindestens zwei Jahre ansetzt, ist nicht einmal in Sichtweite.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihr Gesetzentwurf aus dem Justizministerium bedeutet, dass zwar der private Käufer eines Diesels sich einer Musterfeststellungsklage anschließen kann. Der Handwerker, der genau dasselbe Auto gekauft hat, kann das aber nicht, weil er kein Verbraucher ist. Wie absurd ist das denn?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Warten Sie doch mal den Gesetzentwurf ab!)

Wir reden hier sonntags viel vom Vertrauen der Menschen in diesen Staat und sagen, wir machten uns Sorgen und wollten dafür kämpfen, dass sie es wiedergewinnen. Viele von Ihnen von Union und SPD, den ehemaligen Volksparteien, genauso wie von den Dieselfreunden von der FDP oder der AfD suchen an den unmöglichsten Stellen nach Möglichkeiten, dieses Vertrauen wiederherzustellen.

Genau hier wäre eine solche Stelle. Genau hier könnten Sie es tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie könnten sich an die Seite der normalen Leute stellen, die keine Rechtsabteilung haben und deren Rechtsschutzversicherung ihnen den Vogel zeigt, wenn sie gegen VW klagen wollen. Sie könnten diejenigen in die Schranken weisen, die ihre Gewinne deswegen machen, weil sie darauf vertrauen können, dass schon keiner klagen wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das tun Sie aber nicht. Deswegen wünsche Ihnen viel Vergnügen und viel Erfolg bei der Beantwortung dieser Fragen in Ihrem Wahlkreis.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)