21.02.2019

Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Wolf – wir haben es gehört – ist zurück. Ich zitiere Frau Ministerin Klöckner, die gestern in der Regierungsbefragung gesagt hat, das sei ein Erfolg des Natur- und Artenschutzes. Diese Rückkehr ist in der Tat logischerweise alles andere als trivial, und sie ist auch nicht romantisch. Es gibt reale Einschränkungen, und es gibt irrationale, diffuse Ängste. Beides müssen wir berücksichtigen. Und ja, nach der vollständigen Ausrottung des Wolfes in Deutschland steigt seine Population bei Rückkehr zunächst schnell an. Aber dieser Anstieg findet dann, wenn die Reviere besiedelt sind, sozusagen eine obere Grenze.

(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Wie soll die funktionieren?)

Sich jetzt hinzustellen, Herr Kollege Hocker, und zu suggerieren, dass die Wolfspopulation in Deutschland immer weiter exponentiell wachsen würde, widerspricht jeder wissenschaftlichen Erkenntnis. Das ist reine Angstmacherei und hat mit Seriosität nichts zu tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Viel zu selten wird auch über die Gesamtwirkung des Wolfes auf Ökosysteme geredet, auf die Entwicklung von Wildtierpopulationen. Da er in diesen Beständen Jungtiere und alte, schwache oder kranke Tiere jagt, kann er ein Stück weit die Jäger bei der Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgabe unterstützen; zumindest meinen das die Wildbiologen und Förster in den Gebieten, wo hohe Wilddichten zu beklagen sind.

(Karlheinz Busen [FDP]: So ein Schwachsinn!)

Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, enthält trotz seiner reißerischen Aufmachung auch ein paar gute Punkte. Wolfsmonitoring ist eine gute Sache, und eine weitere Unterstützung der bestehenden Dokumentations- und Beratungsstelle ist wichtig; das ist aber auch nicht besonders bahnbrechend. Was wir aber definitiv nicht brauchen, liebe Kolleginnen und Kollegen von FDP und AfD, sind Scheindebatten, Horrorszenarien ohne konkreten Nutzen für die Weidetierhalterinnen.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Herr Kollege, der Kollege Sepp Müller würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Gestatten Sie das?

Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Gerne.

Sepp Müller (CDU/CSU):

Sehr geehrter Herr Kollege, Sie sprachen ja von Ängsten, die unbegründet sind. Wenn ich mir den Wolfsmonitoringbericht der grünen Umweltministerin Claudia Dalbert in Sachsen-Anhalt durchlese, darf ich feststellen, dass von 2012 bis 2017 die Populationszahlen in Sachsen-Anhalt um 460 Prozent gestiegen sind.

(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist Neubesiedelung! Das ist logisch, wenn da vorher nichts war!)

Alleine von den jetzt knapp 100 Wölfen leben 60 Prozent auf einem Zehntel der Fläche. Diese Fläche erstreckt sich über den Bereich Anhalt und Wittenberg. Sie meinen, die Ängste seien unbegründet. Ich möchte Sie mit weiteren Zahlen des Wolfsmonitoringberichts konfrontieren und mit einer Frage enden. In dieser Fläche sind 60 Prozent der Nutztierrisse offiziell nachgewiesen worden, unter anderem bei einem Muffelwildbestand im Fläming, bei Wildpferden in der Oranienbaumer Heide; die trächtigen Stuten wurden in den Wulfener Bruch gebracht. Darüber hinaus war ein Dammwildgehege betroffen, welches vollkommen abgeschottet war.

(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Die Redezeit kommt von seiner Fraktion, oder was?)

Von den Schäfern, die weitere 30 Schafe verloren haben, deren jährliches Durchschnittseinkommen sich auf ein Drittel des unsrigen beläuft, ganz zu schweigen.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können auch eine Weidetierprämie einführen!)

Ich stelle Ihnen als Grünen die Frage: Ist es wirklich Ihr Arten- und Tierschutz, die eine Art des Wolfes mehr schützen zu wollen als Muffelwild, Schafswild, Kühe und Dammwild? Ist das wirklich Ihr Ansinnen, oder geben Sie mir recht, dass wir in einzelnen Regionen in Deutschland mittlerweile eine Populationsgrenze überschritten haben, deren Regulierung notwendig ist?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Das Ansinnen, das Sie uns unterstellen wollen, ist in meinem bisherigen Beitrag an keiner Stelle aufgetaucht; das wüssten Sie, wenn Sie mir zugehört hätten. Das kann ich weit von uns weisen,

(Karlheinz Busen [FDP]: Klar, dass Sie keine Antwort geben!)

da wir diese Klassifizierung so nicht vornehmen. Sie haben ein paar Beispiele genannt. Und wenn Sie mir zugehört hätten, wüssten Sie, dass ich von realen Einschränkungen und von diffusen Ängsten gesprochen habe.

(Carina Konrad [FDP]: „Diffuse Ängste“! Entweder man hat Angst, oder man hat keine!)

Das, was Sie genannt haben, waren die realen Einschränkungen. Das ist das, was tatsächlich passiert. Das will niemand von der Hand weisen, darüber müssen wir auch reden, und das tun wir auch heute. Aber diese Anträge, die heute vorliegen, schüren mit reißerischen Titeln wie „Gefahr Wolf – Unkontrollierte Population stoppen“ diffuse Ängste.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Was ist zu tun für die Weidetierhalter? Darum geht es heute, hier und jetzt; da war ich stehen geblieben. Wir brauchen mehr finanzielle Mittel für Schadensprävention, Herr Kollege,

(Karlheinz Busen [FDP]: Und mehr Zäune!)

und für die entsprechend Wolfsgeschädigten. Und in klar definierten Fällen müssen Wölfe, die mehrfach aufgefallen sind und Herdenschutzmaßnahmen überwunden haben, auch geschossen werden können. Das ist nach aktueller Gesetzeslage auch möglich, aber – das wissen wir auch – noch viel zu unzureichend erprobt von allen Beteiligten. Da müssen im gesamten Entscheidungs- und Handlungsprozess noch Erfahrungen gesammelt werden, damit es künftig schnell und effizient ablaufen kann. Was wir dazu nicht brauchen, ist eine Gesetzesänderung. Niedersachsen, Schleswig-Holstein und andere Beispiele haben ja gezeigt, dass es geht.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Herr Kollege, aus der FDP-Fraktion gäbe es noch den Wunsch nach Zwischenfragen.

Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja, okay. – So viele?

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Können Sie sich innerhalb der FDP einigen? – Herr Hocker, Ihr Kollege Aggelidis hat sich eigentlich früher gemeldet. – Herr Aggelidis, bitte.

Grigorios Aggelidis (FDP):

Vielen Dank, Herr Ebner, dass Sie mir die Zwischenfrage gestatten. – Ich bin nur einer von diesen Menschen, die auf dem Lande leben und denen Sie immer vorhalten, sie hätten diffuse Ängste. Das sagen Sie ja immer wieder. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, dass den Menschen auf dem Lande, bei uns, solche Argumentationen gehörig auf den Keks gehen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)

Deswegen möchte ich Sie fragen – ich weiß ja nicht genau, von wo aus Baden-Württemberg Sie genau kommen und wie diese Gegend strukturiert ist –: Wie viele Monate im Jahr bzw. welchen Zeitraum im Jahr haben Sie denn in den letzten Jahren in einer Region verbracht, in der Menschen leben

(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Oijoijoi! – Weitere Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– ja, Sie können sich durchaus aufregen; ich lebe in so einer Region –, deren Nutztiere gerissen werden, deren Pferde angegriffen und deren Kühe auf den Weiden gerissen werden, Menschen, die dann ihren Kindern und Familien erklären müssen, was da passiert, und die selber Kinder in so einer Region großziehen müssen? Ich möchte von Ihnen wissen: Wie lange haben Sie in den letzten Jahren in so einer Region gelebt, dass Sie sich anmaßen, hier von diffusen Ängsten zu reden?

Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Herr Kollege Ebner, wollen Sie die zweite Zwischenfrage auch noch zulassen? Dann machen wir es gleich zusammen.

Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Gerne.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Bitte schön.

Dr. Gero Clemens Hocker (FDP):

Ein ausdrückliches Dankeschön, Herr Kollege Ebner, dass Sie beide Fragen zulassen. – Wenn ich mir die Internetseite des NABU angucke, dann entdecke ich da die Möglichkeit, eine sogenannte Wolfspatenschaft zu zeichnen, für die verschiedene Beträge vorgegeben sind, die man monatlich spenden darf, um die Wolfsmigration nach Deutschland sozusagen zu befördern.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Dieses Geld fließt dann in die Taschen eines solchen Verbands.

Ich möchte Sie fragen, ob Sie mit mir gemeinsam der Ansicht sind, dass es NGOs in diesem Lande gibt, die aus der Wolfsmigration ein perfides Geschäftsmodell gemacht haben, von dem sie selber profitieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Herr Kollege Ebner, wenn Sie jetzt auf beide Fragen antworten würden.

Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich muss ehrlich sagen, ich halte beide Fragen nicht für sonderlich sachlich und auch nicht für sonderlich sachgerecht. Wenn Sie, werter Kollege weiter hinten – ich weiß leider Ihren Namen nicht –,

(Michael Theurer [FDP]: Aggelidis!)

der Meinung sind, dass Sie hier in diesem Hause alle Mitglieder ausschließen wollen, die von einem Thema nicht jahrein, jahraus direkt persönlich betroffen sind und dass diese Mitglieder des Hauses nicht mitreden dürfen, dann kann hier ganz schnell mehr als die Hälfte des Hauses den Saal verlassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Wenn das die Art und Weise ist, wie Sie an Politik herangehen wollen, dann: Gute Nacht!

Sehr geehrter Herr Kollege Hocker, auch Ihre Wortwahl – das muss ich sagen – ist nicht sachgerecht. Sie blasen in das gleiche Horn, das Sie mit dem reißerischen Titel Ihres Antrags bespielt haben. Mit dem Titel „Gefahr Wolf“ malen Sie ein Schreckgespenst an die Wand und überhöhen sozusagen diese Ängste.

(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Ich habe von einem Geschäftsmodell gesprochen!)

– Sie haben nach diesem Geschäftsmodell gefragt. Fragen Sie doch die entsprechenden Umweltverbände! Ich bin kein Umweltverband.

(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Sie müssen doch eine Meinung dazu haben!)

Ich kenne dieses Modell nicht. Es tut mir leid. Insoweit: Fragen Sie die Umweltverbände nach ihrem Geschäftsmodell! Fragen Sie sie, wie viel sie damit einnehmen und ob es irgendetwas befördert hat. Ich meine, nein. Denn der Wolf ist an der Stelle auf einen Umweltverband nicht angewiesen.

(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Aber der Umweltverband auf den Wolf!)

Er zieht nämlich selber durch die Landschaft und kommt da an, wo ihn manche nicht haben wollen. Darüber, Herr Kollege, müssen wir reden. Das ist auch gut so; das ist gar nicht schlecht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

So, jetzt geht es weiter.

Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sie stellen die Forderung, den Wolf ins Jagdrecht aufzunehmen. Was wäre denn damit gewonnen? Stichwort: ganzjährige Schonzeit. Wäre irgendetwas einfacher? Ich glaube, nein. Sämtliche Entscheidungswege werden schwieriger. Abstimmungen zwischen Behörden werden komplizierter.

Der Wolf hält sich nicht an Reviergrenzen. Er hält sich im Übrigen auch nicht an Wolfsausschlussgebiete. Da müssen Sie sich, liebe Kolleginnen und Kollegen, ehrlich machen. Wie wollen Sie denn einem Wolf, der fast 80 Kilometer am Tag zurücklegt, untersagen, in ein Wolfsausschlussgebiet zu kommen? An der Stelle muss man ehrlicherweise sagen, dass Sie nie erreichen können, dass in einem Wolfsausschlussgebiet kein Wolf ist. Die Weidetierhalter werden künftig trotzdem auf Hilfen angewiesen sein, weil der Wolf trotzdem auch in diesen Gebieten sein wird. Ihnen müssen wir mit der Weidetierprämie helfen.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Der Präsident Wolf gang hat übernommen. Deshalb: Kommen Sie bitte zum Schluss.

Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ihnen müssen wir mit einem schnellen Vorgehen und Reagieren helfen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)