Rede von Sven-Christian Kindler Haushalt 2019: Allgemeine Finanzdebatte
Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Scholz, der Koalitionsvertrag Ihrer Regierung wird überschrieben mit „Ein neuer Aufbruch für Europa“. Aber was habe ich heute im Plenum gehört? Bei der Steuer für digitale Konzerne gibt es viel Bedenkenträgerei, viel Aufschieben, keine konkreten Vorschläge. Bei der Vorstellung des konkreten Vorschlags für einen Euro-Zonen-Haushalt, den Sie mit Frankreich entwickelt haben, haben Sie in Meseberg noch versprochen, dass das Volumen ausreichen muss, um auch eine makroökonomische Stabilisierung zu gewährleisten. Davon ist heute keine Rede mehr. Am Ende ist das, was Sie bei Europa machen, kein neuer Aufbruch, sondern leider der kleinste gemeinsame Nenner. Das ist viel zu wenig für unser Europa.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Zum Bundeshaushalt 2019: Kollege Kahrs, Kollege Rehberg haben ausgeführt, dass in der Bereinigungssitzung bis 5 Uhr in der Nacht getagt und noch viel verändert wurde. Es wurde viel Geld verteilt, es wurden viele neue Stellen geschaffen. Die CDU hatte etwas bekommen, dann musste auch die CSU etwas bekommen und natürlich musste auch die SPD etwas bekommen, vorzugsweise in Hamburg. Jeder hat etwas bekommen, quasi vorgezogene Weihnachten. Aber im Kern war keine Strategie dabei, keine Leitlinie, kein Kompass. Das Geld wurde einfach mit der Gießkanne verteilt. Aber die großen Herausforderungen im Haushalt, die wir haben – die Klimakrise, die soziale Spaltung, Frieden, Europa –, werden nicht mit einer konkreten Schwerpunktbildung angegangen. Deswegen bleibt es leider ein schlechtes Weiter-so; es ist kein Haushalt für die Zukunft.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Fabio De Masi [DIE LINKE])
Konkret, Herr Scholz: Wo sind Ihre Initiativen zum Abbau von Subventionen, gerade von klimaschädlichen Subventionen? Nichts, Fehlanzeige. Konkret: Was passiert eigentlich im Haushalt? Wo gehen Sie als Finanzminister an hartes Controlling heran, zum Beispiel bei Rüstungsdesastern, bei ÖPP-Projekten? Wo gehen Sie mit hartem Controlling bei privaten Beratern in der Bundesverwaltung vor? Auch da Fehlanzeige.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Fehlanzeige auch bei der Austrocknung von Steuersümpfen, bei einer gerechten Steuerpolitik. Ich frage mich: Wo ist denn der Aufbruch für den Klimaschutz in diesem Haushalt? Wo ist denn ein großes Sozialstaatsprogramm gegen die soziale Spaltung in diesem Land? Wo ist denn der Aufbruch für Europa? Wo sind konkrete Initiativen für Abrüstung? Leider überall Fehlanzeige. Es sind die großen Märchen in diesem Haushalt, und das ist schlecht für unsere Gesellschaft.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Besonders vermessen finde ich es aber, wenn man das auch noch als eine solide Haushaltspolitik darstellt. Seien wir einmal ehrlich: In der Bereinigungssitzung haben CDU, CSU und SPD für ihre Projekte alles Geld aus der letzten Ecke zusammengekratzt, was noch irgendwie zu finden war. Es wurden 2 Milliarden Euro für Ganztagsschulen einfach verschoben, weil kein Konzept vorlag.
(Otto Fricke [FDP]: Leider wahr!)
Es wurden aus der Rücklage für den Energie- und Klimafonds einfach 1,2 Milliarden Euro zweckentfremdet, weil man Projekte finanzieren musste. Man hat einfach die Entnahme aus der Rücklage bei den Flüchtlingskosten um eine halbe Milliarde Euro erhöht. Am Ende, weil es immer noch nicht gereicht hat, hat man noch eine globale Minderausgabe in Höhe von 350 Millionen Euro gemacht.
(Otto Fricke [FDP]: So ist es!)
Seien wir mal ehrlich: Das ist keine solide, nachhaltige Haushaltspolitik. Das ist eine Politik auf Kosten der Substanz.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)
Es fällt in diesen Haushaltsberatungen noch etwas auf: Ich finde es erschreckend, in wie vielen Fällen inzwischen die Bundesregierung offensiv das Haushaltsrecht bricht
(Otto Fricke [FDP]: Ja!)
und den Bundesrechnungshof übergeht. Das kann man bei geschönten Wirtschaftlichkeitsberechnungen bei ÖPP-Projekten sehen, sei es bei Toll Collect oder bei der A 49. Das kann man aber auch daran sehen, dass sich die Regierung ganz viele neue Stellen auf Leitungsebene schafft: Da waren die 209 Stellen im Frühjahr, die die Bundesregierung neu geschaffen hat. Da wurde ein erstes Vizekanzleramt mit 41 Stellen bei Herrn Scholz eingerichtet. Dann kam das zweite Vizekanzleramt bei Herrn Seehofer mit fast 100 Stellen.
(Christian Dürr [FDP]: Schlimm, schlimm!)
Jetzt, in der Nacht der Bereinigungssitzung um vier, wurde das dritte Vizekanzleramt eingerichtet: 30 neue Stellen für Planung und Strategie bei Frau Giffey. Sie konnte selber nicht erklären, wofür das eigentlich ist. – In allen drei Fällen gab es keine Begründung, keine Personalbedarfsermittlung, die nach Haushaltsrecht vorgeschrieben ist. Der Rechnungshof hat klar gesagt, das ist nicht etatreif. Ich finde das wirklich erschreckend, und ich erwarte von einem Finanzminister, dass er sich an das Haushaltsrecht hält und es nicht immer wieder übergeht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Man muss an diesem Haushalt wirklich arbeiten, um was zu verändern, wenn man nicht nur mit der Gießkanne verteilen will. Wir haben in Anträgen gezeigt, wie man das schaffen kann, wie man wirklich bei Gerechtigkeit, beim Frieden, beim Klima große Schwerpunkte setzen kann. Dafür muss man aber die Ärmel hochkrempeln und auch wirklich was machen.
Diese Gesellschaft braucht jetzt einen Aufbruch beim Klimaschutz. Wir brauchen jetzt mehr sozialen Zusammenhalt in diesem Land. Wir brauchen endlich einen Aufbruch für Europa. Tun Sie was, Herr Scholz!
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)