Rede von Omid Nouripour Haushalt 2021 - Einzelplan Auswärtiges Amt

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30.09.2020

Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die internationalen Herausforderungen sind immens: Klimawandel, die Pandemie, der Kampf gegen den Extremismus. Nichts davon lässt sich nationalistisch lösen; der Nationalismus schürt und verstärkt diese Probleme unserer Zeit. Es geht nur mit internationaler Kooperation.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dass das zurzeit leider nicht überall Trend ist, sieht man beispielsweise daran, dass sich die US-Politik in der Mitte dieser historischen Pandemie ausgerechnet aus der Weltgesundheitsorganisation zurückzieht. Das ist einfach unfassbar.

Die Zahl der Miseren ist groß. Im Jemen brauchen 24 Millionen Menschen humanitäre Hilfe; das sind 80 Prozent der Bevölkerung. Man könnte diese Liste leider viel zu lange fortsetzen: Demokratische Republik Kongo, Südsudan, Venezuela, immer wieder Syrien. All das geht uns sehr viel an – nicht nur moralisch. Wir haben auch schon einmal erlebt, was passiert, wenn wir so tun, als würden wir einfach nicht hinschauen müssen.

Es gab bereits vor 2015 sehr viele laute Rufe der Hilfsorganisationen und auch von Menschen, beispielsweise in den Ländern um Syrien herum, dass die humanitäre Katastrophe verheerend sei, dass in den Lagern die Versorgung nicht mehr funktioniere und dass die Nahrungsmittelvorräte zu Ende gingen. Der Rest der Geschichte ist wohlbekannt.

In diesen Zeiten braucht es eine beherzte und eine kohärente deutsche Außenpolitik, eine, die versteht, dass die höchsten Interessen Deutschlands und der deutschen Außenpolitik selbstverständlich der Zusammenhalt der Europäischen Union und der Kampf gegen nationale Egoismen sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Die Außenpolitik dieser Bundesregierung ist aber leider unambitioniert, langsam und oft widersprüchlich.

Was ist eigentlich passiert, seit vor genau vier Wochen die Frau Bundeskanzlerin den Anschlag auf Nawalny verurteilt und Russland aufgefordert hat, sich zu erklären? Am Montag dieser Woche hat der Regierungssprecher gesagt, na ja, man warte noch auf Ergebnisse, man könne nichts Neues aus dem Kreml erzählen. Das ist das übliche Theaterstück. Hier heißt es „Warten auf den Kreml-Godot“. Ziehen Sie endlich Konsequenzen aus dem Mord im Tiergarten, aus den Mordversuchen in Salisbury, an Alexej Nawalny und vielen anderen, und beenden Sie endlich die politische Unterstützung für den fossilen Spaltpilz in Europa, Nord Stream 2.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt sehr viele andere Beispiele für die Konsequenzlosigkeit deutscher Außenpolitik, zum Beispiel Belarus. Es ist richtig, dass die Bundesregierung das Wahlergebnis nicht akzeptiert, und, ja, der Kollege Link hat völlig recht: Es ist überfällig, jetzt endlich auch mit der Oppositionsführerin zu sprechen. – Die Menschen dort brauchen aber nicht nur warme Worte, wie wir sie heute Morgen gehört haben. Wo bleibt denn endlich das überfällige Angebot von unbürokratischen Visa für all diese Leute, die bedroht sind, die verfolgt werden, denen Mord, Verhaftung, Verschleppung, Folter und Vergewaltigung drohen? Es ist höchste Zeit, dass auch diese Menschen konkrete Hilfe erfahren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vor allem: Was muss noch passieren, damit das große Deutschland aufhört, sich bei der Frage von Konsequenzen gegen Lukaschenko ohnmächtig hinter Zypern zu verstecken? Es geht doch nicht, dass wir immer nur warten und so tun, als wäre die Einstimmigkeit der einzige Weg, Politik zu machen.

Nächstes Beispiel: China. Gerade in Zeiten, in denen die europäische Kohäsion immer größer wird, in denen es viel besser möglich ist, europapolitisch zusammenzustehen, weil sich immer mehr europäische Staaten von der chinesischen KP nicht mehr spalten lassen wollen, und in denen die Bundesregierung endlich laut, klar und deutlich sagt, dass es eine systemische Rivalität gibt, stelle ich die Frage: Was ergibt sich daraus eigentlich?

(Beifall der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich habe mir die letzten Reden der Frau Bundeskanzlerin angehört. Die beiden Worte, die man am allerhäufigsten gehört hat, sind „Vertrauen“ und „Partnerschaft“, als würde es kein Sicherheitsgesetz gegen Hongkong, keine aggressive militärische Bedrohung von Taiwan und keine 380 Umerziehungslager in Xinjiang geben. Das ist einfach nicht ausreichend.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Da haben Sie aber nicht zugehört!)

Kolleginnen und Kollegen, es gab zwei Initiativen des Außenministers in zweieinhalb Jahren. Die eine, die Lateinamerika-Initiative, hat der Minister für Entwicklungszusammenarbeit durch Umwidmung der Mittel seines Hauses mehr oder minder unwidersprochen eigentlich längst begraben. Die zweite Initiative ist der eigentlich gut gedachte Berliner Prozess, um Libyen zu befrieden. Kernpunkt ist, dass keine Waffen mehr ins Land kommen; das ist auch absolut richtig so.

Es stellt sich aber natürlich die Frage, warum man mit einer solchen Initiative so lange gewartet hat, bis die europäischen Staaten untereinander so zerstritten waren, dass ein Vakuum entstanden ist, das durch die Türkei, Russland, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten militärisch längst gefüllt ist. Der Libyen-Konflikt zeigt aber nicht nur, dass die deutsche Reaktion möglicherweise zu spät kam – jedenfalls kam sie sehr spät –, sondern auch, dass die deutsche Außenpolitik absolut inkonsistent ist.

Im Juni drohte el-Sisi, Präsident Ägyptens, mit einer militärischen Invasion. Die Antwort der Bundesregierung: Genehmigung für U-Boote und Fregatten. – Das ist quasi eine Belohnung für das, was er dort gesagt hat. Vor zwei Wochen haben die Ägypter angekündigt, dass die Vertragsumsetzung für den Bau einer Fregatte vom Typ MEKO A-200 beginnt. Im Übrigen: Die Genehmigungen für Rüstungsexporte an die Türkei, die die andere Seite unterstützt, gehen auch weiter. Sie benennen also nicht die Embargobrecher, sondern Sie belohnen sie.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!)

Das ist einfach keine gute Politik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die absolute Höhe war: Im März gab es eine gemeinsame Erklärung mit einem der größten Embargobrecher, nämlich mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, verbunden mit der Aufforderung, jetzt keine Waffen mehr zu liefern. Da ist die deutsche Außenpolitik nur noch Feigenblatt für diejenigen, die Regeln brechen. Im Übrigen sind Ägypten und die VAE Kriegsparteien im Jemen. Aber wen interessiert schon in dieser Bundesregierung, was eigentlich im eigenen Koalitionsvertrag steht.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider!)

Das ist im Übrigen derselbe Krieg, den Heiko Maas beenden will. Aber gleichzeitig haben wir einen Finanzminister, Olaf Scholz, der Wirecard-Mafiosi genau zu der Zeit hofiert hat, in der genau diese Leute die Milizen in Libyen finanziert haben. – Auch das zum Thema „Kohärenz deutscher Außenpolitik“.

Zu dieser Inkohärenz gehört auch – es ist gerade gesagt worden, wie dieser Haushalt gerade zusammengekürzt wird –, dass die gesetzlich festgeschriebene Personalreserve, die Grundbedingung ist, damit der Laden überhaupt läuft, weiterhin nicht eingehalten wird. Das ist beschämend. Seit zweieinhalb Jahren wartet Heiko Maas auf einen Bericht von Olaf Scholz, ob er das Gesetz umsetzen darf. Das ist nicht ambitioniert, das ist nicht kohärent, das hat kein Feuer. Ehrlich gesagt, diese Koalition ist ausgelaugt und zu all diesen Dingen nicht mehr imstande.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat der Kollege Nils Schmid für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)