Rede von Dr. Tobias Lindner Haushalt 2021 - Einzelplan Innen, Bau und Heimat

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10.12.2020

Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will zu Beginn meiner Rede erst einmal sagen: Man sieht an den vielen Anträgen, die in der Bereinigungssitzung verabschiedet worden sind, welch große Baustelle dieser Etat eigentlich ist und wie viel nachzusteuern war. Wenn Sie sich dann unser Abstimmungsverhalten als Grüne anschauen – die Kollegen Gerster und Gröhler haben hier beispielsweise Projekte zur Förderung jüdischen Lebens angesprochen –, dann erkennen Sie auch: Unser Hauptproblem waren nicht Ihre Anträge, die Sie als Koalitionsfraktionen gestellt haben; unser Hauptproblem ist dieser Etatentwurf, wie er durch die Bundesregierung eingebracht worden ist und wie er immer noch große ungelöste Baustellen enthält, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das will ich jetzt an mehreren Stellen deutlich machen.

Erste Baustelle: die Haushaltsmittel. Ja, es ist ein Rekordetat: 18,4 Milliarden Euro. Aber wenn man einmal hineinschaut – Geld allein macht ja noch nicht glücklich –, wie denn das Geld verwendet worden ist, dann sieht man, dass allein 4,7 Milliarden Euro in den Vorjahren nicht ausgegeben worden sind, also als Ausgabenreste vor sich hindümpeln. Damit nimmt das Innenministerium Rang zwei nach dem Verkehrsministerium ein – nur so nebenbei: beides CSU-geführte Häuser –, wenn es darum geht, hier zwar viel Geld vom Haushaltsgesetzgeber zu erhalten, aber das Geld dann nicht so auszugeben, wie es vorgesehen war.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)

Zweite Baustelle: Personal. Ja, wir brauchen fähige Sicherheitsorgane, wir müssen sie gut mit Personal ausstatten. Wir haben viele Personalerhöhungen in der Vergangenheit mitgemacht. Aber, meine Damen und Herren, Personalstellen sind noch keine Menschen. Wenn wir sehen, dass allein bei der Bundespolizei 8 500 Stellen unbesetzt sind und Sie keinen Plan haben, wie Sie diese Stellen besetzt bekommen, dann heißt das für uns: Sie bauen hier einen riesigen Pappkameraden im Bereich der inneren Sicherheit auf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Konstantin Kuhle [FDP])

Dann wird viel über Attraktivität geredet. Wir haben Ihnen in den Haushaltsberatungen beispielsweise einen Vorschlag gemacht, nämlich die Ruhegehaltsfähigkeit der Polizeizulage wieder einzuführen.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Wir müssen was für die jungen Beamten tun!)

Das kostet 25 Millionen Euro. Ich meine, 25 Millionen Euro in einem Etat zu finden, in dem allein über 4 Milliarden Euro nicht ausgegeben worden sind, ist doch kein Hexenwerk, und es würde die Attraktivität um einiges verbessern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollege Perli, ich komme zum Thema Winterstiefel. Zum einen gestatte ich mir die Anmerkung: Dann soll sich die Bundespolizei mit der Bundeswehr zusammentun; denn bei der Bundeswehr gibt es keine Sommerkampfstiefel, während bei der Bundespolizei die Winterstiefel fehlen.

(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Sehr guter Vorschlag! – Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Die können sie ja wechseln!)

Ich will Ihre Freude nicht trüben, aber man hört, dass jetzt bei der Beschaffung der Stiefel die Bereitschaftspolizeien vergessen worden sind, also gerade die Kolleginnen und Kollegen, die sich draußen in der Kälte die Füße in den Bauch stehen. Das ist keine Lösung an dieser Stelle und skandalös.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Um die kümmert ihr euch dann!)

Nächster Punkt: Extremismus. Meine Damen und Herren, ja, die Angehörigen unserer Sicherheitsorgane, die rechtsextreme Einstellungen haben, stellen eine Minderheit dar. Nein, deswegen ist es nicht irgendwie ein kleines oder ungefährliches Problem. Man weiß, welches Unheil selbst einzelne Anschläge anrichten können, wie schwerwiegend diese Taten sind. Darüber hinaus besteht dann die Gefahr, dass solche Personen das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Staat, seine Organe und seine Institutionen zu untergraben drohen. Das ist am Ende eine noch viel größere Gefahr, der Sie sich stellen müssen. Aber Sie stellen sich ihr eben nicht engagiert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Während die Bundesverteidigungsministerin zu Recht eine Studie vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr durchführen lässt – diese wird von den Berufsverbänden in der Bundeswehr begrüßt –, um zu erfahren, wie groß das Problem ist, welche Schattierungen es hat und was man präventiv tun kann, führen Sie hier einen Eiertanz auf. Ich sage Ihnen: Das ist nicht nur gefährlich. Am Ende ist es auch ungerecht gegenüber den Polizistinnen und Polizisten, die tagtäglich treu und gewissenhaft ihren Dienst auf dem Boden unserer Verfassung leisten, dass man hier nicht aufklärt, abgrenzt und schaut, was man an dieser Stelle tun kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE])

Genauso könnte ich die Liste fortsetzen. Beim Thema Bauen hat diese Große Koalition in den letzten Jahren das Baukindergeld auf den Weg gebracht, eine Maßnahme, die viel Geld kostet. Aber in den Bereichen Mietwohnungsbau und neue Wohnungsgemeinnützigkeit – das wäre durchaus eine Bundesaufgabe – wurden keine Antworten gegeben. Das Thema Digitalisierung haben Sie – es wäre gerade in einer Pandemie so wichtig, dass auch öffentliche Daseinsvorsorge, öffentliche Dienstleistungen und Verwaltung digitalisiert werden – aufgeteilt in einen Teil, für den Herr Seehofer zuständig ist, und in einen Teil, der beim Finanzminister angesiedelt ist. Passiert ist nichts, außer hohen Geldausgaben. Das ist keine zukunftsgerichtete Digitalisierungspolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme zum Schluss. Herr Präsident, meine Damen und Herren, eines will ich noch sagen, auch wenn der Minister heute nicht zugegen sein kann: Bei allen harten Differenzen in der Sache – ich habe von diesem Pult aus, glaube ich, in den letzten Jahren allein zweimal Herrn Seehofer zum Rücktritt aufgefordert –

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das hat ja nicht so geklappt!)

fand ich mich als Haushälter nicht nur durch den Minister selbst, sondern auch durch das Ministerium, wenn es um Anfragen und Informationen ging, anständig behandelt. Ich glaube, so kann man Demokratie miteinander leben: harte Gegensätze in der Sache und ein Umgang, der anständig und aufrichtig ist.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Günter Krings.

(Beifall bei der CDU/CSU)