Rede von Katja Keul Haushalt 2021 - Einzelplan Verteidigung

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30.09.2020

Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Haushaltsdebatte ist wieder einmal die Gelegenheit, uns mit der Frage zu beschäftigen, was unsere Streitkräfte brauchen und was nicht.

(Ulrich Lechte [FDP]: Gute Ausrüstung!)

Letztes Mal hatte ich hier berichtet, wie durch überteuerte und überflüssige Beraterverträge öffentliche Mittel verschwendet werden, wie an Recht und Gesetz vorbei Aufträge vergeben wurden und dadurch erheblicher Schaden entstand. Solche Berater brauchen unsere Streitkräfte nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich hatte die Hoffnung, dass wir am Ende der Untersuchungen die Akten gemeinsam an die Staatsanwaltschaft zur strafrechtlichen Aufarbeitung senden würden. Inzwischen liegt der Abschlussbericht vor, aber ich sehe leider wenig Interesse daran, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Statt uns im sicherheitssensiblen Bereich von Beratungsfirmen wie Accenture oder McKinsey abhängig zu machen, sollten wir den Wettbewerb fördern, indem wir die Vergabestellen in ihrer Unabhängigkeit stärken, damit sie wirklich frei von politischer Einflussnahme entscheiden können, und wir sollten die Fähigkeiten der eigenen Leute innerhalb der Streitkräfte stärken, egal ob es darum geht, die eigenen Geräte zu reparieren oder eigene Softwarelösungen zu entwickeln. Soldatinnen und Soldaten sind oft kreativer, als die Strukturen es erlauben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Richtig! – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das ist wahr!)

Auch bei den großen Beschaffungsprojekten wird immer noch zu sehr industriepolitisch und zu wenig sicherheitspolitisch gedacht. Es kann in einem vereinten Europa nicht sein, dass jetzt jeder wieder seine nationalen Industrieinteressen in den Vordergrund stellt. So kommen wir nie zu einer gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir können die industriellen Fähigkeiten nicht weiter dadurch wirtschaftlich erhalten, dass wir Kriegswaffen an Despoten und Diktatoren in aller Welt verkaufen.

(Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Ja!)

Ich denke dabei gerade an die U-Boote, die wir aktuell an die Türkei liefern, obwohl die mit ihrer Marine die EU-Außengrenzen im Mittelmeer bedroht und attackiert.

Leider stehen viele potenzielle Käufer von U-Booten, Jagdflugzeugen und Kampfpanzern nur selten auf dem Boden von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, und nicht selten bedrohen sie am Ende uns selbst bzw. den Weltfrieden. Deshalb müssen wir den Preis dieser Waffensysteme anders bewerten, nämlich sicherheitspolitisch. Die finanziellen Kosten werden wahrscheinlich höher, wenn wir aufhören, sie zu exportieren. Auf der anderen Seite ist der Preis am höchsten, wenn damit Konflikte eskaliert und Menschenrechte verletzt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Was bedeutet das denn?)

Die Herausforderung ist es, endlich europäisch zu entscheiden, wer welche Schlüsseltechnologie in Europa zur Verfügung stellen soll, und die Europäer dazu zu bringen, europäisch einzukaufen, wenn es um ihre Streitkräfte geht. Mit einer Rückkehr in die Kleinstaaterei wird Europa nur seine Bedeutungslosigkeit als globaler Akteur zementieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dann gibt es noch die Waffensysteme, deren Preis nie bezahlt werden kann, Waffensysteme, die niemals dazu dienen können, europäische Staaten zu verteidigen, weil jeder potenzielle Einsatz denjenigen vernichtet, der angeblich verteidigt werden soll.

Die atomare Aufrüstung auf russischer und amerikanischer Seite und das Ende der zentralen Rüstungskontrollabkommen sind eine einzige sicherheitspolitische Bedrohung für uns in Europa,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

und zwar unabhängig davon, ob wir in Paris, in Warschau oder in Moskau wohnen. Atomwaffen in Büchel, die mit deutschen Flugzeugen zum Abwurf über Russland transportiert werden sollen, machen die Welt nicht sicherer, genauso wenig wie russische Atomraketen in Kaliningrad.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wir brauchen dringend einen Neustart bei der nuklearen Abrüstung, und der Abzug der Atomwaffen aus Deutschland könnte ein Einstieg dazu sein.

(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Genau!)

Verbauen Sie diesen Weg jetzt also bloß nicht, indem Sie sich für den Kauf atomwaffenfähiger US-Kampfflugzeuge entscheiden! Investieren Sie nicht weiter in die nukleare Teilhabe!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Waffen, die man niemals einsetzen kann, ohne sich selbst zu vernichten, sind auch nicht zur Abschreckung geeignet.

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Hat jahrzehntelang gut funktioniert!)

Den zivilen Atomausstieg haben wir bald gemeinsam geschafft, mit dem entsprechenden politischen Willen schaffen wir den militärischen auch noch.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Wie naiv!)

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Der Kollege Ingo Gädechens, CDU/CSU-Fraktion, ist der nächste Redner.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)