Rede von Dr. med. Paula Piechotta Haushalt 2022 - Digitales und Verkehr (Epl. 12)

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31.05.2022

Dr. Paula Piechotta (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer/-innen! Das Spannende ist, dass wir diese Debatte, wenige Stunden bevor das 9‑Euro-Ticket – das ja definitiv die Geister spaltet – an den Start geht, führen. Man kann jetzt viel kritisieren – es gibt die einen, die das jeden Tag tun; es gibt die anderen, die die Vorteile betonen –, aber niemand kommt in diesen Tagen am 9‑Euro-Ticket vorbei, weil es Realitäten schafft. Das sind keine perfekten Realitäten. Aber das 9‑Euro-Ticket zeigt, auch in dem begrenzten Zeitraum, in dem es gilt, was möglich ist in diesem Land, wenn die große Gestaltungsmacht des Bundeshaushaltes, der Bundesgesetzgeber, die Länder, die Verkehrsverbünde, die Menschen in diesem Land tatsächlich zusammenkommen und an einem Strang ziehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es zeigt uns aber auch – Herr Perli, da haben Sie recht –: Ein halbes Jahr Ampelregierung macht nicht alle Nachlässigkeiten und Fehler der Verkehrspolitik der letzten Jahrzehnte rückgängig.

(Victor Perli [DIE LINKE]: Ja, aber warum denn schlimmer?)

Wir müssen die Verkehrswende jetzt, wo wir von der Realität eingeholt werden und ganz schnell von fossilen Energien unabhängig werden müssen – auch im Verkehrsbereich, was wir zum Beispiel mit dem 9‑Euro-Ticket versuchen –, schaffen, obwohl wir nicht die Vorarbeit vorfinden, die dafür eigentlich hätte geleistet werden können. Wir schaffen Realitäten und erkennen gleichzeitig an, dass sie unperfekt sind, aber das nur, weil die Vorbereitung unperfekt war. Das ist die Realität nach einem halben Jahr Ampelregierung.

Jede Schlagzeile über einen Zug oder über einen Bus, der überfüllt ist, oder über eine überlastete Bahnlinie wird uns, aber auch – was noch viel wichtiger ist – den Menschen im Land deutlich machen, dass uns das nicht noch mal passieren darf. Dafür haben wir nun Vorsorge im parlamentarischen Verfahren getroffen. Nachdem wir den Haushalt 2022 beschlossen haben, haben wir nicht mehr wahnsinnig viel Zeit – nur noch ein halbes Jahr – zum Ausgeben des umgeschichteten Geldes. Wir sehen aber auch, dass wir nicht alles korrigieren können, was auf Kabinettsseite nicht geleistet wurde.

Deswegen haben wir uns auf die Punkte konzentriert – meine Kollegen haben das in Teilen angesprochen –, die tatsächlich in diesem Jahr noch sinnvoll machbar sind. Ein Kollege von mir meinte neulich: Jetzt, wo wir regieren, fällt mir zum ersten Mal auf, wie wichtig Ausgabenreste und Verpflichtungsermächtigungen sind. – Wir haben festgestellt, dass es teilweise relevante Ausgabenreste gibt. Wir haben in den entsprechenden Bereichen nicht aufgeschichtet, sondern haben geschaut, was man in diesem Jahr noch Sinnvolles machen kann.

(Victor Perli [DIE LINKE]: Das hat Scheuer auch immer gesagt!)

Das machen wir jetzt zum Beispiel im Bereich digitale Schiene, 400 Millionen Euro plus. Das machen wir auch im Rahmen des Attraktivitätsprogramms für die Bahnhöfe. Hier sind auf Kabinettsseite Lücken gerissen worden, die wir teilweise wieder geflickt haben. Das 9‑Euro-Ticket wird uns zeigen, dass dauerhaft nicht mehr Menschen die Bahn nutzen werden, wenn sie – weil sie zum Beispiel auf einen Rollator oder einen Rollstuhl angewiesen sind – erst gar nicht zum Zug gelangen oder sich auf den Bahnhöfen einfach nicht sicher fühlen. Deswegen gibt es noch mal 21,5 Millionen Euro für das Bahnhofsprogramm obendrauf.

Wir schaffen als erste Koalition im Bundeshaushalt einen Titel für Nachtzüge. Wir haben es geschafft, den diesbezüglichen Satz aus dem Koalitionsvertrag haushälterisch zu untersetzen. Wir beteiligen uns an der Schaffung der Voraussetzungen für ein dichtes, zuverlässiges europäisches Nachtzugnetz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Nicht zuletzt stellen wir – manche mögen das als Gedöns bezeichnen – 30 Millionen Euro für ein Fahrradparkhausprogramm zur Verfügung. Nicht so sehr in kleinen, wohl aber in großen Gemeinden ist es durchaus ein Problem, dass der Knotenpunkt, die Verknüpfung von Radverkehr und Bahnverkehr, nicht funktioniert, weil die Menschen sich nicht trauen, über Nacht das Rad am Bahnhof stehen zu lassen. Und auch das wird hier behoben. Wir schaffen Realitäten, wir verändern Realitäten, und wir sind uns dabei aber natürlich bewusst, dass wir nicht die gesamten Fehler von Scheuer und seinen Vorgängern in einem halben Jahr und auch nicht im nächsten halben Jahr komplett neutralisieren können.

(Henning Rehbaum [CDU/CSU]: Wir haben so viel Geld für den Radverkehr ausgegeben!)

Wir werden jetzt – der Kollege hat das gerade richtig in den Raum geworfen – noch 131 Millionen Euro obendrauf packen. Vielen Dank für die gute Zusammenarbeit beim Radverkehr an meine Kollegin Swantje Michaelsen!

Wir haben in den letzten Tagen gesehen, dass immer noch viele Menschen gerne auf das Rad umsteigen würden, sich aber nicht trauen, weil sie sich nicht sicher fühlen. Bei der Sicherheit der Radverkehrsinfrastruktur müssen Bund und Länder – genauso wie in allen anderen Verkehrsbereichen – noch besser zusammenarbeiten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir alle profitieren am Ende davon, wenn die, die wollen, auch Fahrrad fahren können. Wir sparen damit nicht nur Emissionen ein. Vielmehr machen wir dadurch die gesamte Gesellschaft gesünder, und zwar nicht nur diejenigen, die selber Fahrrad fahren, sondern auch die anderen Mitmenschen, die durch weniger Abgase und weniger Lärm geschützt werden.

Wir haben in diesem Haushalt nicht alle Probleme, die wir im deutschen Verkehrsbereich vorfinden, gelöst; das ist richtig. Aber wir haben angefangen, die richtigen Weichen zu stellen, um die Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, die wir als Ampel im Verkehrsbereich gegeben haben, einzulösen. Das 9‑Euro-Ticket ist das Sichtbarste und Spürbarste, was wir in diesem Bereich in den nächsten Monaten machen. Es wird uns auch unglaublich viele Daten liefern, die uns helfen werden, folgende Fragen zu beantworten: Wo reichen allein niedrige Preise – solche fordert die Linksfraktion immer – heute schon, um den Menschen ein wirklich gutes Umstiegsangebot beim öffentlichen Nahverkehr zu machen, und wo sind die Regionen, wo selbst ein niedriger Preis das noch nicht leisten kann, weil einfach nicht genügend Angebote da sind?

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Frau Kollegin Piechotta.

Dr. Paula Piechotta (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Wir wollen es als Ampel schaffen, dass die Verkehrspolitik in diesem Land den Versprechen im Koalitionsvertrag gerecht wird; wir fangen damit dieses Jahr an.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Frau Kollegin!

Dr. Paula Piechotta (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Aber das ist unsere Forderung natürlich auch für die Haushalte der nächsten Jahre.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Der Kollege Felix Schreiner spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU – Florian Oßner [CDU/CSU]: Jetzt kommt Qualität!)