Rede von Dr. Till Steffen Haushalt 2022 - Justiz (Epl. 07)

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02.06.2022

Dr. Till Steffen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, Frau Bünger, Sie haben es angesprochen, Jan Böhmermanns #polizeikontrolle war in der Tat ein interessanter Befund hinsichtlich der Frage, wie effektiv die Strafverfolgung bei Straftaten im Internet funktioniert. Das ist natürlich nicht nur ein Thema der Polizei; denn Strafverfolgung ist ja Aufgabe der Justiz. Die Polizei hilft dabei. Der Befund war sehr ernüchternd. In 16 Bundesländern wurden die gleichen Straftaten angezeigt. In einigen wurden die Anzeigen gar nicht erst angenommen, andere haben die Ermittlungen ganz schnell eingestellt. Nach neun Monaten kannte man die Täter immer noch nicht; das war sehr interessant. Oder, was unbekannt blieb, in einem Fall wurde jemand verurteilt – in Baden-Württemberg hat es also mal geklappt –, in anderen Bundesländern wurde der gleiche Täter noch gesucht. Also, es gab keinen Austausch über die Ermittlungen.

Das ist natürlich ein sehr deutlicher und auch sehr besorgniserregender Befund über die Realität unserer digitalen Strafverfolgung. Deswegen ist die Frage der Digitalisierung so entscheidend. Wenn wir die Realität unserer Strafverfolgung ändern wollen, dann müssen wir diesen Umschwung zur Digitalisierung hinkriegen. Ich begrüße, dass sich der Bundesjustizminister dieses Thema sehr stark auf die Fahnen geschrieben hat.

Es ist ein Umdenken in vielen Arbeitsabläufen erforderlich. Ich bin überzeugt: Das Recht selbst wird sich verändern. – Aber das Gute ist: Alle sind bereit. Die Bürgerinnen und Bürger haben sich längt daran gewöhnt, dass man ganz viele Dinge online erledigen kann. Sogar die Justiz hat sich mal bewegt. Wir haben seit Jahren den § 128a in der Zivilprozessordnung, der eine digitale Verhandlung regelt. In der Coronapandemie haben wir alle entdeckt: Das ist eigentlich eine ganz feine Sache. – Die Leute wissen jetzt also, wie es geht. Die Anwältinnen und Anwälte haben sich sogar an das elektronische Anwaltspostfach gewöhnt und benutzen das jetzt. Die Landesjustizverwaltungen haben viele Prozesse in Gang gesetzt, die elektronische Akte auf den Weg gebracht und vieles mehr. Alle sind bereit.

Jetzt gilt es, den Knoten durchzuschlagen und entsprechend durchzustarten. Das braucht dann natürlich auch die Aktivität des Bundes.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Otto Fricke [FDP]: Nein!)

Deswegen ist es so zentral, dass wir den Pakt für den Rechtsstaat in den Mittelpunkt stellen, gerade in der Debatte hier, wo wir über den Haushalt sprechen. Denn wir müssen dafür sorgen, dass die Verfahren ineinandergreifen, dass wir einheitliche Standards, einheitliche Schnittstellen haben.

(Zuruf der Abg. Andrea Lindholz [CDU/CSU])

Wir müssen natürlich auch über Geld reden, damit das am Ende funktioniert.

Das Beispiel von Böhmermann hat ja gezeigt: Ohne sinnvolle Koordination dort, wo die Grenzen von Bundesländern überschritten werden, funktioniert es am Ende nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Clara Bünger [DIE LINKE])

Wir brauchen diese Koordination durch den Bund. Der Bund muss eine aktive Rolle einnehmen und dafür sorgen, dass das ohne Reibungsverluste funktioniert. Dazu haben wir verschiedene Hebel. Der Bund kann bestimmte Gesetze ändern. Er kann bestimmte Standards in diesen Gesetzen vordefinieren. Und er kann natürlich fördern, dass die Länder sinnvoll zusammenarbeiten. Da ist die Frage des Geldes ein ganz entscheidender Faktor; denn die Voraussetzungen in den Ländern sind nun mal unterschiedlich.

Wenn es so ist, dass das eine Bundesland weiter ist als das andere, was folgt daraus als Ergebnis? Das Ergebnis ist, dass entweder gar nicht kommuniziert wird, dass das Fax benutzt wird oder dass es die menschliche Schnittstelle braucht. In komplexen Strafverfahren fahren dann Polizeibeamte mit ihrem Laptop unter dem Arm von Hamburg nach München und klappen dort ihren Laptop auf, um die Daten abzugleichen. Das ist der Stand, und das kann uns so nicht zufriedenstellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wir brauchen diesen Durchbruch. Dazu braucht es qualifiziertes Personal bei den Ländern, das dafür sorgt, dass alle mitmachen, dass wir zeitnah auf diesen Stand kommen. Deswegen ist es auch richtig, dass wir im Rahmen der Koalitionsverhandlungen diesen Pakt für den Rechtsstaat klar benannt haben. Wir haben ja auch eine Zahl besprochen: 500 Millionen Euro pro Jahr war eine Hausnummer. Der Auftrag aus dem Koalitionsvertrag ist aus meiner Sicht ganz klar.

Jetzt, um kurz vor 13.30 Uhr, können wir tatsächlich über die Ergebnisse der Justizministerkonferenz reden. Die Justizminister haben in Hohenschwangau in schöner Weise einmütig gesagt: Wir sind auch bereit; wir würden gerne in die Verhandlungen einsteigen. – Deswegen ist es ganz richtig, dass wir das jetzt machen.

Ich selber habe ja bei dem letzten Pakt für den Rechtsstaat auf Länderseite mitverhandelt. Es war wichtig und erforderlich, dass die damalige Bundesjustizministerin Katarina Barley die verschiedenen Enden zusammengebracht hat, auch wenn sie nicht alleine für alles zuständig war. Deswegen bin ich mir sicher, dass Herr Buschmann das auch für diese Neuauflage des Pakts für den Rechtsstaat tun wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Eins ist klar: Was nichts bringen wird, ist, dass man mit dem Finger jeweils aufeinander zeigt. Ich jedenfalls habe darauf keinen Bock. Ich glaube, eine gute, effiziente, bürgerfreundliche Justiz zu gewährleisten, ist die Aufgabe aller staatlichen Kräfte. Legen wir los!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Die nächste Rednerin ist für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Andrea Lindholz.

(Beifall bei der CDU/CSU)