Rede von Steffi Lemke Haushalt 2022 - Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz

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22.03.2022

Steffi Lemke, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Wenn wir heute den Haushalt des Bundesumweltministeriums beraten, dann geschieht das unter dem Eindruck einer geopolitischen Zeitenwende. Die Coronakrise ist noch lange nicht überstanden, da sind wir durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine bereits mit einer neuen, um ein Vielfaches dramatischeren Krise konfrontiert. Unsere vordringlichste Aufgabe ist es jetzt selbstverständlich, den Menschen in der Ukraine zu helfen und denen zu helfen, die auf der Flucht sind. Diesen Krieg zu beenden, ist selbstverständlich die Kernaufgabe der diplomatischen Anstrengungen der Bundesregierung und der gegen Russland verhängten Sanktionen.

Wir stehen vor existenziellen Herausforderungen, die uns vor Augen führen, wie verletzlich unsere Gesellschaft und unser Wirtschaftssystem sind und wie abhängig unsere Versorgungsstrukturen von einem Aggressor wie Herrn Putin gemacht worden sind. Dieser Krieg verlagert kurzfristig natürlich auch den Fokus weg von anderen Krisen; aber der völlig falsche Ansatz wäre es jetzt, die ökologischen Fragen zurückzustellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Die Klimakrise und das Artenaussterben sind eben auch zwei Krisen, die existenziell für die Menschheit sind. Und sosehr wir uns jetzt um das Heute kümmern müssen, so sehr müssen wir dabei das Morgen im Blick behalten.

Die Antwort auf den Angriffskrieg Russlands kann nicht lauten: Deutschland verringert seine Abhängigkeit von Importen aus Russland und gibt dafür seine Pläne auf, ganz grundsätzlich unabhängig von importierter Kohle und importiertem Öl und Gas zu werden. Die Antwort kann nicht lauten: Wir werfen Klima- und Naturschutzziele über Bord und riskieren damit die Stabilität unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Die Antwort kann eben auch nicht lauten: Wir steigen wieder ein in die Atomkraft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Stephan Brandner [AfD]: Doch, das muss die Antwort sein!)

Die fürchterlichen Geschehnisse in der Ukraine machen einmal mehr deutlich, wie riskant diese Technologie ist und wie sehr sie uns ebenfalls abhängig macht von Importen, sei es eben aus Russland oder aus anderen Ländern.

Und um dies an dieser Stelle auch noch einmal auszuführen: Die Dauer des Betriebes der sich jetzt noch am Netz befindlichen drei Reaktoren ließe sich nur strecken, also um circa drei Monate nach hinten verschieben, ohne dass in Summe überhaupt mehr Strom produziert würde, während damit natürlich zusätzliche Risiken verbunden wären: Sicherheitsüberprüfungen etc. Wenn man mehr als diesen kleinen Beitrag erzielen wollte, müsste man eben neu in die Beschaffung von Brennelementen und in wirklich umfangreiche Sicherheitsüberprüfungen einsteigen,

(Stephan Brandner [AfD]: Dann machen Sie das doch!)

und dies in Zeiten, in denen die Ukraine und Europa zu Recht mit riesengroßer Sorge auf einen Krieg rund um Atomanlagen schauen.

Es geht eben nicht, zu suggerieren, man könne das einfach ein bisschen länger laufen lassen, als würde man nachts das Licht im Flur brennen lassen. Wir reden hier über eine Hochrisikotechnologie. Und wer in unserer Gesellschaft den Wiedereinstieg in diese Technologie diskutieren möchte, der sollte den Menschen wenigstens reinen Wein einschenken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Es geht nicht um einen Einstieg, es geht um eine Brücke! Und die haben Sie sich nicht vorbehalten!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir stehen vor einer Richtungsentscheidung im Umgang mit diesen gleichzeitig stattfindenden Krisen. Lösen wir uns aus Abhängigkeiten! Betreiben wir Vorsorge! Sicherheit, Stabilität und sozialer Ausgleich sind das, was unsere Gesellschaft jetzt zusammenhält. Sind wir bereit, dafür auch relevante Veränderungen in unseren Gesellschaften, in unserem Konsum und in der Produktion anzustoßen, oder verharren wir im Alten in der Hoffnung, so doch irgendwie noch eine Weile über die Runden zu kommen? Meine Antwort ist klar: Gerade jetzt müssen wir begrenzte finanzielle Ressourcen für Klimaschutz und Energiesouveränität, für Naturschutz und Gesundheitsschutz, für Kreislaufwirtschaft und weniger Abhängigkeit von knappen Ressourcen effizient nutzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Damit stabilisieren wir unsere Wirtschaft, reduzieren wir Abhängigkeiten und schützen wir unsere natürlichen Lebensgrundlagen.

Ich will Ihnen anhand von vier Beispielen erläutern, welche Schwerpunkte das BMUV auch im Haushalt dafür setzt.

Mein erster Punkt: Klimaschutz. Der massive Ausbau der erneuerbaren Energien ist essenziell, um unsere Abhängigkeit von importiertem Erdgas, Öl und Uran sowie importierter Kohle zu beenden. Dieser Ausbau muss aber im Einklang mit dem Naturschutz erfolgen. Robert Habeck und ich werden dazu bis Ostern geeignete Vorschläge vorlegen.

(Wolfgang Wiehle [AfD]: Wie viele Wälder müssen da noch mal weg?)

Ein Artenhilfsprogramm, das Arten schützt, die vom Ausbau der Erneuerbaren besonders betroffen sind, wird hierzu einen Beitrag leisten.

(Wolfgang Wiehle [AfD]: Werden die umgesiedelt?)

Neben den erneuerbaren Energien sind Wälder, Böden, Moore und Auen wichtige natürliche Klimaschützer,

(Wolfgang Wiehle [AfD]: Deshalb holzen Sie sie ab!)

die zugleich unseren Wasserhaushalt stabilisieren und sichern. Ich werde in der nächsten Woche Eckpunkte für das Aktionsprogramm „Natürlicher Klimaschutz“ vorlegen, und ich habe mich erfolgreich dafür eingesetzt, dass dieses Programm im Haushaltsentwurf mit ausreichend Finanzmitteln aus dem Klima- und Transformationsfonds ausgestattet wird. Ich hoffe, dass das Parlament diesen Entwurf unterstützt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Mein zweites Beispiel: Vorsorge vor den Folgen der Klimakrise. Der jüngste Bericht des Weltklimarates beschreibt wirklich schonungslos die Auswirkungen der Klimakrise, die wir ja auch hier in Deutschland und in Mitteleuropa immer stärker zu spüren bekommen. Die Notwendigkeit zur Anpassung und Vorsorge wird sich mit jedem Zehntel Grad Erderhitzung weiter verschärfen. Das BMUV agiert hier gemeinsam mit Ländern und Kommunen. Diese – genauso wie lokale Akteurinnen und Akteure sowie soziale Einrichtungen – wird das BMUV bei Klimaanpassungsmaßnahmen besser unterstützen. Dafür haben wir die bisherigen Modellprojekte in ein besser ausgestattetes Regelprogramm überführt, und wir werden damit Beratung und Kompetenzaufbau für die Anpassung an die Klimakrise unterstützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Drittens: Kreislaufwirtschaft. Wir alle wünschen uns in der aktuellen geopolitischen Krise eine stärkere Autonomie von importierter Energie und Ressourcen. Diesem Ziel dient eine zeitgemäße Kreislaufwirtschaft. Mit geschlossenen Stoffkreisläufen, mit klugem Produktdesign ermöglicht sie Wertschöpfung und sichert zugleich unsere Lebensgrundlagen. Wir werden wichtige Schritte raus aus der Wegwerfgesellschaft gehen, zum Beispiel durch ein Recht auf Reparatur. Gleichzeitig werden wir dafür ein Förderprogramm „Reparieren statt Wegwerfen“ auflegen. Die Bundesregierung wird sich auch während unserer G-7-Präsidentschaft mit einem Schwerpunkt für Ressourceneffizienz und weniger Primärressourcen einsetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch die Vermüllung unserer Meere mit Plastik ansprechen. Die UN-Umweltversammlung in Nairobi hat Anfang des Monats die Verhandlungen für ein rechtlich verbindliches UN-Abkommen gegen die Plastikvermüllung angestoßen. Das ist ein großer Erfolg, für den sich Deutschland seit vielen Jahren eingesetzt hat. Es ist ein großer Erfolg für den Multilateralismus und macht gerade in diesen Zeiten tatsächlich Mut.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Mein letztes Beispiel: der Naturschutz. Spätestens seit der Coronapandemie ist uns bewusst, dass die Zerstörung von Natur und der direkte Kontakt mit Wildtieren das Risiko, dass Krankheitserreger von Wildtieren auf Menschen überspringen, massiv erhöhen, im Extremfall bis hin zu einer Pandemie. Damit ist Naturschutz gleichzeitig auch Pandemievorsorge.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Erfolgreicher Naturschutz steht und fällt mit seiner Finanzierung. Der Regierungsentwurf sieht daher vor, die Mittel für den Naturschutz gegenüber der Finanzplanung erheblich aufzustocken und in einem neuen Bundesnaturschutzfonds zu bündeln. Mit über einer halben Milliarde Euro sind für diesen Fonds in den nächsten vier Jahren mehr Finanzmittel als je zuvor vorgesehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Sehr geehrte Damen und Herren, der Meeresschutz gehört dort natürlich auch dazu. Auch dieser ist im Haushalt abgebildet.

Ich möchte zum Schluss ausführen: Lösungen, die wir im Umwelt- und Naturschutz vorschlagen, helfen uns gegen multiple Krisen, sie verringern Abhängigkeiten von Ressourcen, stabilisieren unsere natürlichen Lebensgrundlagen und vermindern Gesundheitsrisiken und technologische Risiken. Krisen und Lösungsansätze dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden; sie müssen gemeinsam angegangen werden.

Mit diesen Grundgedanken bitte ich Sie um Unterstützung für den vorliegenden Haushaltsentwurf für das Bundesministerium für Umwelt.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Dr. Anja Weisgerber das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)