Rede von Julian Pahlke Haushalt 2023: Generaldebatte Bundeskanzleramt, Epl. 04

Julian Pahlke MdB
07.09.2022

Julian Pahlke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Demokraten! Es ist jetzt etwas mehr als ein Jahr her, dass die Bundeswehr aus Afghanistan abgezogen wurde. Dieses Scheitern unserer staatlichen Strukturen ist so groß, dass dieser Bundestag für die Untersuchung des Einsatzes gleich zwei Gremien beschlossen hat, über die Parteigrenzen hinweg.

Vieles können wir aufarbeiten. Aber das wird niemals etwas an der Tatsache ändern, dass viele, viele Menschen von uns zurückgelassen wurden, nicht nur unsere lokalen Mitarbeiter/-innen, sondern auch die Menschen, die sich für ein freies und demokratisches Afghanistan eingesetzt haben, in der Presse oder als Aktivistinnen oder Aktivisten, mit unendlichem Mut und der Hoffnung auf ein freies Land und ein Leben in Frieden.

Während die Uhren heute in Afghanistan rückwärtsgehen, gefährdete Menschen in Afghanistan ausharren, unterdrückt werden oder sich auf eine lebensgefährliche und ungewisse Flucht begeben, diskutieren wir seit Monaten darüber, wie das Bundesaufnahmeprogramm, auf das wir uns im Koalitionsvertrag geeinigt haben, umgesetzt werden soll. Denn diese Zeit haben wir nicht. Denn diese Zeit haben vor allem die Menschen vor Ort nicht.

Ich war selbst im Juni im Nachbarland Pakistan und habe mich mit Afghanen getroffen, die es über die Grenze geschafft haben.

(Beatrix von Storch [AfD]: Afghaninnen!)

Ich habe sie in einem Safe House besucht, wo sie sich gerade verstecken, aus Angst, dass sie entdeckt und nach Afghanistan verschleppt werden. Ich konnte ihnen nicht erklären, warum sie nicht ausgeflogen werden und sie und ihre Angehörigen sich weiter vor den Taliban fürchten und verstecken müssen.

Während der Afghanistan-Einsatz lief, haben manche gesagt, dass die Sicherheit Europas auch am Hindukusch verteidigt wird. Der Einsatz ist jetzt beendet. Das Einzige, was wir heute noch am Hindukusch verteidigen können, ist die Sicherheit der gefährdeten Afghanen. Die Schuld für das Versagen beim Bundeswehrabzug trägt die vorherige Bundesregierung. Aber diese Bundesregierung trägt die Verantwortung dafür, dass wir diese Menschen nicht zurücklassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn es ist eine Frage von Würde, dass das Aufnahmeprogramm jetzt endlich beschlossen wird und wir gefährdeten Menschen eine Perspektive und vor allem Sicherheit geben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dabei haben wir dieses Jahr doch gezeigt, wie schnell und entschlossen wir reagieren können, wenn Menschen aus einem Kriegsgebiet Schutz brauchen. Wir haben es geschafft, Menschen aus der Ukraine schnell und unbürokratisch aufzunehmen. Denn wir sind doch angetreten, weil wir Dinge anders machen wollten, progressiver, pragmatischer. Einiges ist schon passiert; aber wir haben noch vieles auf dem Zettel. Wir treten ein für ein humanitäres Aufnahmeprogramm, ein starkes Resettlement-Programm und Gleichstellung im Familiennachzug. Wir haben den Paradigmenwechsel in der Migrations- und Integrationspolitik angekündigt. Mit dem Chancenaufenthaltsrecht haben wir jetzt einen Anfang gemacht. Und wir arbeiten im Herbst an den nächsten Gesetzespaketen.

Im Koalitionsvertrag haben wir auch das klare Versprechen gemacht, das Leben von geflüchteten Menschen, von Menschen mit unsicherem Aufenthalt und in prekären Umständen zu verbessern. Die Integrationskurse sollen allen Menschen offenstehen, die nach Deutschland kommen, ob aus der Ukraine oder aus Afghanistan. All das, all diese gemeinsamen Pläne müssen sich auch so im Haushalt abbilden; denn Fortschritt bedeutet auch die Wahrnehmung humanitärer Verantwortung. Nur so schaffen wir Perspektiven für Menschen, die über das Mittelmeer fliehen oder die in diesem Moment in einem Safe House in Islamabad oder in einem Keller in Kabul sitzen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat der Abgeordnete Matthias Helferich.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)