Rede von Deborah Düring Haushalt 2023: Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Epl. 23

Deborah Düring MdB
07.09.2022

Deborah Düring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den Haushaltsverhandlungen diskutieren wir häufig über abstrakte Zahlen. Wir schieben Summen von A nach B. Dabei lauert die Gefahr, dass wir vergessen, welche Auswirkungen dieses Verschieben in konkreten Fällen hat.

Alle dreieinhalb Sekunden verhungert aktuell ein Mensch: jetzt – jetzt – und jetzt. Es verhungern Eltern, Kinder, junge und alte Menschen. Sie sterben im Jemen, in Afghanistan, in Tigray und in Somalia.

Die Hungersnöte haben interne und externe Ursachen: bewaffnete Konflikte, die Folgen der Klimakrise, eine extrem ungleiche Verteilung von Land und Abhängigkeiten von Märkten des Globalen Nordens. Es sind koloniale Strukturen, die diese Ursachen bis heute prägen, und es sind multiple Krisen, die sich gegenseitig verschärfen.

Wir als Weltgemeinschaft haben mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung, den SDGs, versprochen, für ein besseres Leben für alle Menschen zu kämpfen. 2030 sollen wir den Hunger ausrotten. Stattdessen kommen ständig neue Hungersnöte hinzu. Wir wollen bis 2030 die Armut global beenden. Stattdessen ist seit Beginn der Coronapandemie und verstärkt durch den Krieg in der Ukraine die absolute Armut in der Welt um ein Viertel gestiegen. Bis Ende dieses Jahres werden circa 860 Millionen Menschen von weniger als 1,90 Dollar pro Tag leben müssen. Das sind mehr als 10 Prozent der gesamten Weltbevölkerung.

Während wir in Deutschland zu Recht über Wassersparen reden, sind in anderen Teilen der Welt faktisch ganze Gegenden unbewohnbar geworden. Die Klimakrise zwingt jährlich circa 26 Millionen Menschen zur Flucht. Bis 2050 soll es über 140 Millionen Klimageflüchtete weltweit geben. Egal wo wir hinschauen: Manchmal habe ich das Gefühl: Wir laufen in die komplett falsche Richtung.

Liebe Opposition, ja, wir können uns jetzt hier gegenseitig vorwerfen, was wir gemacht haben oder was wir vielleicht auch nicht gemacht haben in den 16 Jahren – glauben Sie mir, mir würde genug einfallen –, aber davon wird kein einziger Mensch mehr Zugang zu Wasser, mehr Zugang zu Grundbildung und mehr Zugang zur Gesundheitsversorgung haben. Und das ist doch unser gemeinsames Ziel hier. Unser Ziel ist es doch, dass wir aktuelle Krisen bekämpfen und präventiv kommende Krisen verhindern.

Ja, dafür brauchen wir eine angemessene finanzielle Ausstattung des BMZ-Etats, und davon sind wir – das haben Sie schon gehört – noch sehr weit entfernt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ja!)

Aber dafür brauchen wir auch strukturelle Veränderungen. Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe können Krisen abmildern. Entwicklungszusammenarbeit kann einen Beitrag dazu leisten, resiliente Strukturen aufzubauen:

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Dann macht es doch!)

bei der Ernährungssouveränität, beim Ausbau von Bildungs- und Gesundheitssystemen, beim Schutz der Biodiversität oder beim Abfedern der Folgen der Klimakrise. Aber Entwicklungszusammenarbeit kann nicht eine fehlgeleitete Handels- oder Finanzpolitik und strukturelle Abhängigkeiten ausmerzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Genau deswegen ist es unsere Verantwortung, für globale Gerechtigkeit in allen Bereichen, in allen Häusern weltweit zu kämpfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Es ist ein richtiges Signal, dass die Bundesregierung am Wochenende im Entlastungspaket auch 1 Milliarde Euro zusätzlich im laufenden Haushalt für den Kampf gegen die Hungerkrise zugesagt hat. Und es ist gut, dass im Einzelplan 60 für 2023 jetzt 5 Milliarden Euro für krisenbedingte Mehrausgaben vorgesehen sind. Dabei muss es aber auch unser Ziel sein, Krisen nachhaltig und langfristig zu bekämpfen und eben nicht nur akut zu lindern.

Für den Haushalt des BMZ sieht es, ehrlich gesagt, im kommenden Jahr ganz schön düster aus. Es kann nicht sein, dass wir uns so aus der Verantwortung stehlen. Es kann nicht sein, dass wir in Anbetracht wachsender Krisen den Entwicklungsetat kürzen.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Sehr richtig! Stimmt!)

– Wir kommen gleich zu einem Lösungsvorschlag, keine Angst.

(Paul Ziemiak [CDU/CSU]: Lehnen Sie es jetzt ab?)

Jeder Euro, der in die Entwicklungszusammenarbeit investiert wird, hilft, Krisen zu verhindern,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Krisen, die zu Konflikten werden, Konflikte, die uns auch in Deutschland direkt betreffen.

Und nur zur Erinnerung: Wir haben einen Koalitionsvertrag, und in dem haben wir uns ganz vorausschauend darauf geeinigt, dass die Ausgaben für Verteidigung und die Ausgaben für Entwicklung und humanitäre Hilfe und Auswärtige Kulturpolitik im selben Maße ansteigen. Im ersten Regierungsentwurf bleibt da, ehrlich gesagt, noch eine ganz schön große Lücke.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, glücklicherweise ist das Haushaltsrecht ja Parlamentsrecht. Deswegen – Herr Stefinger, Sie haben das gerade ja schon angesprochen – lade ich Sie herzlich dazu ein, wie der Kollege Hoffmann und die ehemaligen AWZ-Vorsitzenden es schon getan haben, in den kommenden Wochen als demokratische Fraktionen gemeinsam für einen Haushalt zu kämpfen, der den aktuellen Krisen mittel- und langfristig gerecht wird. Es ist nämlich unsere Verantwortung, dafür einzustehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Das Wort hat Edgar Naujok. Er spricht für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)