Rede von Katja Keul INF-Vertrag

13.12.2018

Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die nukleare Aufrüstungsspirale dreht immer schneller. Und die Bundesregierung dreht einfach mit. Nach den ersten Ankündigungen der US-Administration, den INF-Vertrag zu kündigen, haben Sie das noch zu Recht laut und vernehmbar kritisiert.

Und jetzt? Beim NATO-Außenministertreffen am 4. Dezember erfolgt der Schulterschluss mit den USA, weil diese die Bundesregierung durch Vorlage von Geheimdiensterkenntnissen überzeugt haben, dass die Russen gegen den Vertrag verstoßen. Das macht die Kündigung aber doch nicht sinnvoller! Gerade wenn Russlands neues Raketenprogramm tatsächlich gegen den Vertrag verstößt, ist es doch erst recht wichtig, an diesem Vertrag festzuhalten und Russland dazu zu bringen, sich wieder vertragskonform zu verhalten. Dass Putin sich von der gesetzten Frist von 60 Tagen beeindrucken lässt und bis Ende Januar alle Vertragsverstöße abstellt, glaubt doch niemand im Ernst!

Auf der anderen Seite ist der Vertrag den Russen selbst scheinbar gar nicht so unwichtig; denn dafür geben sie sich viel zu viel Mühe, den Verstoß zu verheimlichen. Sie hätten ja auch einfach kündigen können. Putin hat offenbar ein Dilemma: Den INF Vertrag will er nicht aufgeben, weil er kein Interesse an Mittelstreckenraketen in Europa hat. Auf der anderen Seite hat er ein Interesse daran, den chinesischen Mittelstreckenraketen etwas entgegenzusetzen. Da hat er womöglich was mit Trump gemeinsam.

Es will ja niemand bestreiten, dass die Interessenlage komplex und die Verhandlungslage äußerst schwierig ist. Was ich aber in dieser ganzen Gemengelage vermisse, ist die Fähigkeit aller Beteiligten, sich jeweils in die gegnerische Interessenlage hineinzuversetzen. Das aber ist Grundvoraussetzung für jegliche Verhandlungserfolge. Das hat auch nichts damit zu tun, ob man Trump- oder Putin-Versteher ist. Es geht schlicht darum, eine Lösung zu finden!

Deswegen wäre es auch so wichtig, dass die Bundesregierung und dass die Europäer gegenüber unseren amerikanischen Partnern deutlich machen, dass der INF-Vertrag in unserem ureigenen sicherheitspolitischen Interesse ist und dass wir alles tun werden, um Mittelstreckenraketen in Europa zu verhindern. Da höre ich viel zu wenig! Im Gegenteil: Die Äußerungen der Bundesregierung lassen befürchten, dass man sich auch für diesen äußersten Fall den Schulterschluss in der NATO an der Seite der USA offenhalten will.

Was wir jetzt brauchen, sind keine Fristen und Drohgebärden, sondern Gespräche über gegenseitige Inspektionen. Ich sage „gegenseitig“, weil beide Seiten die Vorwürfe nicht ausräumen können. Russland muss sein Raketenprogramm offenlegen und Raketen mit mehr als 500 Kilometer Reichweite vernichten. Und wenn es stimmt, dass die amerikanische Raketenabwehr in Osteuropa wirklich nicht mit Offensivsprengköpfen bestückt werden kann, müssen auch hier Inspektionen möglich sein.

Wir brauchen Gespräche auf allen Ebenen – im ­NATO-Russland-Rat, aber vor allem auch wieder auf militärischer Ebene. Ich halte es für einen Fehler, dass die NATO gerade die Gespräche auf militärischer Arbeits­ebene wegen der Ukraine-Krise eingestellt hat. Hier könnte es eher zu vertrauensbildenden Maßnahmen kommen als auf politischer Ebene.

Und nun zum Antrag der Linken. Bisher haben die Linken-Anträge zu INF durchaus unsere Zustimmung gefunden. Und ja, auch wir Grüne finden, dass die Aufkündigung des ABM-Vertrages 2002 und die Stationierung der Raketenabwehr ein Fehler waren. Aber dass die USA und die NATO nun völlig allein an allem schuld sein sollen und in diesem Antrag nicht ein Wort der Kritik mehr an Putin und der russischen Außenpolitik, an seinem Völkerrechtsbruch auf der Krim, seinem nuklearen Aufrüstungsprogramm, der russischen Unterstützung für Rechtspopulisten in der EU und letztlich auch zu seinem INF-vertragswidrigen Verhalten steht, ist wirklich enttäuschend.

Wir werden sicher noch viel über dieses Thema diskutieren müssen, aber eine Zustimmung zu einem solch einseitigen Antrag wird es von uns da nicht geben können.