Rede von Britta Haßelmann Infektionsschutz und Demokratie

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29.10.2020

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Damen und Herren! Um an das Letzte anzuknüpfen, was Jan Korte angesprochen hat: Das sehe ich auch so. Bei aller Kontroverse in der Sache – es ist auch absolut notwendig, dass wir sie hier führen, öffentlich führen – brauchen wir hier im deutschen Parlament keine Einlassungen der AfD über Parlamentarismus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Keine andere Partei tritt mit so viel Verachtung gegenüber demokratischen Institutionen,

(Zuruf von der AfD: Wie die Grünen!)

gewählten Vertreterinnen und Vertretern auf,

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Wir sind der Ausdruck von Demokratie! Sonst wären wir nicht hier!)

und niemand versucht, die Demokratie und das Parlament so oft so verächtlich zu machen, meine Damen und Herren, wie die AfD.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb warne ich davor, solche Einlassungen ernst zu nehmen.

(Jörg Schneider [AfD]: Hören wir auch noch was zum Thema?)

Jetzt reden wir über das Infektionsgeschehen und die Frage der notwendigen Parlamentsbeteiligung. Ich finde es sehr wichtig und richtig, dass CDU/CSU und SPD hier die Bereitschaft zeigen, zu sagen: Nein, es ist nicht alles gut, wie es ist. – Wir haben hier Klärungsbedarf, wir haben hier Verbesserungsbedarf, wir haben hier angesichts dieser Krise die Notwendigkeit, unser Parlament, den Deutschen Bundestag, stärker und besser zu beteiligen und die Rechtsgrundlagen zu vertiefen. Das, was wir haben, reicht im Moment nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Lage spitzt sich von Tag zu Tag zu. Die Entwicklung des Infektionsgeschehens ist besorgniserregend, und es braucht wirksame und auch nachvollziehbare Maßnahmen zur Eindämmung dieser Pandemie.

In dieser Diskussion hier, in der Aussprache widmen wir uns aber vor allen Dingen der Frage der Beteiligung. Gerade in Coronapandemiezeiten brauchen wir die öffentliche Debatte, brauchen wir Rede und Gegenrede, das Abwägen von Argumenten. Wenn heute jemand sagt, er oder sie wisse ganz genau, was 100 Prozent richtig ist, dann kann das nur verunsichern, meine Damen und Herren. Das weiß bei dieser Viruslage niemand ganz genau.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Deshalb ist es so wichtig und notwendig, dass wir Argumente schärfen, dass wir Argumente austauschen und dass die Entscheidungen bei den Parlamenten liegen. Damit tragen wir auch eine wahnsinnig hohe Verantwortung, meine Damen und Herren, weil man oder frau sich keinen Beschluss, der gefasst wird, leicht machen kann; jeder ist verdammt schwer. Das ist immer eine Abwägung, gerade in solchen Krisenzeiten. Deshalb ist hier der Ort der Entscheidung, nicht beim Erlassen der Rechtsverordnung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei aller Wertschätzung – das sage ich in aller Deutlichkeit, und da brauche ich auch keine Belehrungen im Hinblick auf die Frage Föderalismus –, meine Fraktion und ich sind völlig klar: Ein kooperativer Föderalismus ist nicht nur das, was im Grundgesetz steht, sondern das ist unsere Grundhaltung. Sie ist wichtig und richtig. Aber ich bitte die SPD und die CDU/CSU, jetzt mal darüber nachzudenken, was zwei Legislaturperioden Große Koalition bedeuten. Sie haben faktisch so getan, als hätten wir mit der Ministerpräsidentenkonferenz

(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)

– hören Sie mir zu! – ein drittes Institut geschaffen.

(Karin Maag [CDU/CSU]: Nein!)

Meine Damen und Herren, wie bequem war das denn, immer mal wieder zu sagen: „Beschlüsse, die wir hier oder im Bundesrat gefasst haben, sichern wir noch durch einen Beschluss der MPK ab“? Wie oft haben wir das jetzt in Krisenzeiten gehört? Ich habe kein Problem damit, wenn sie zusammenkommen. Ich vertraue vielen, ich wertschätze sie auch. Aber es ersetzt keine Debatte an den Orten, wo sie hingehört, und auch keine Entscheidung dort, wo sie hingehört.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir müssen über die Fragen hinsichtlich des Infektionsschutzgesetzes reden. Dieses Infektionsschutzgesetz ist ganz offenkundig gar nicht für diese Krisenpandemiezeit ausgelegt, ihr so gar nicht gewachsen. Wir brauchen da Veränderungen. Wir müssen in Bezug auf § 5, auf § 28 und auch in Bezug auf § 32 über die Verknüpfung zwischen Bund und Ländern diskutieren. Wir brauchen hier eine Neufassung. Wir brauchen eine stärkere Akzentuierung des Parlamentarischen, und sie müssen wir durch die Rechtsgrundlagen auch anders verankern, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wenn es um so tiefgehende Grundrechtseingriffe geht, über die wir diskutieren und die vielen notwendig erscheinen und die notwendig sind, dann brauchen wir die Veränderung der Rechtsgrundlagen. Wir brauchen den Zustimmungsvorbehalt des Parlamentes. Wir brauchen eine stärkere Verankerung der Unterrichtungspflicht. Wir brauchen klarere Festlegungen über Entscheidungen und Kontrolle des Parlamentes.

Wir müssen auch sagen: Alles das, was eine Ministerpräsidentenkonferenz leisten kann, ist kein Ersatz für das, was wir eben in einem Rechtsstaat in einem neu gefassten Infektionsschutzgesetz als Rechtsgrundlage zusammenfassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch hier bin ich dankbar für die Initiative, dafür, dass wir das Thema bringen. Ich bin auch dankbar für die Ankündigung der SPD, dass da Bewegung entsteht; sie fordern wir schon seit März. Selbstverständlich werden wir als Fraktion hierzu auf parlamentarischem Wege etwas einbringen und es in der nächsten Woche vorlegen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Dr. Georg Kippels das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)