Rede von Dr. Janosch Dahmen Infektionsschutzgesetz

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07.12.2021

Dr. Janosch Dahmen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich mit meiner Rede beginne, möchte ich doch zunächst etwas zu den Kollegen der Unionsfraktion sagen. Herr Kollege Stracke, Herr Kollege Frei, ich bin doch verwundert über das Geschrei, mit dem Sie hier trotzig einen alten Hut durch die Manege tragen. Sie sagen immer nur, dass Sie nicht verstehen, warum die Gesetzgebung nicht angepasst und weiterentwickelt wurde. In 16 Jahren Regierungszeit – 2 davon in dieser Pandemie – haben Sie es nicht geschafft, dieses Land zu schützen und es darauf vorzubereiten,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

dass eine solche dramatische vierte Welle sich ausbreitet. Wo sind im Sommer die 2-G-Regeln gewesen in diesem Land? Wo wurde im Sommer die Boosterimpfkampagne vorbereitet? Ich verstehe nicht, wie Sie – geschäftsführend in der Bundesregierung, regierend in den Ländern – sich hierhinstellen und sagen können, andere seien daran schuld, dass die Situation so gekommen ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Können Sie ja mal die SPD fragen!)

Das hilft niemand weiter.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Es schadet in allererster Linie der Glaubwürdigkeit unserer Politik, und zwar allesamt: alte und neue Regierung, Bund und Länder.

Insofern lassen Sie uns übergehen zu der Frage: Was sind denn Maßnahmen, die uns weiterbringen? Was ist Gesetzgebung, die sich anpasst und nicht einfach die Verlängerung von irgendetwas Dagewesenem ist, sondern mit neuen Maßnahmen? 2 G bundesweit, 3 G am Arbeitsplatz, 3 G im Nah- und Fernverkehr, eine einrichtungsspezifische Impfpflicht: Das alles sind zusätzliche Schutzinstrumente, die wir früher gebraucht hätten,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

die dieses Land nach vorne gebracht hätten, aber gefehlt haben. Angesichts einer solchen Bilanz von „too little“ und „too late“ zu sprechen, ist beschämend und irreführend und bringt am Ende des Tages die Politik insgesamt in Misskredit.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Was haben Sie denn jetzt repariert mit Ihrem Gesetz?)

Ich will nach vorne schauen und sagen: Wir sollten aufpassen, dass wir insgesamt einem gefährlichen Trugschluss nicht erliegen. Oberflächlich betrachtet ist es tatsächlich so, dass die Inzidenzen in vielen Regionen und bundesweit ein Plateau erreicht haben, in manchen Regionen sogar leicht zurückgehen. Aber das ist tatsächlich – das haben verschiedene Vorredner/‑innen schon deutlich gemacht – noch kein Zeichen für Entwarnung, sondern zeigt lediglich, dass die zuletzt beschlossenen Maßnahmen ihre Wirkung entfalten. Das Infektionsgeschehen insgesamt ist natürlich noch auf einem viel zu hohen Niveau.

Wir müssen uns zwei Dinge bewusst machen: Erstens folgt auf eine derart hohe Zahl von Infektionen auch eine Unsicherheit bei den Daten. Wir erleben dieser Tage – das RKI hat das gerade in seinem Wochenbericht auch noch mal ausgewiesen –, dass die Gesundheitsämter nicht nur bei der Kontaktnachverfolgung nicht hinterherkommen, sondern auch bei der Meldung von Neuinfektionen große Probleme haben, weil sie so belastet sind wie noch nie. Viele Labore haben Probleme, die Testkapazitäten so auszuweiten, dass noch alle Tests ausgewertet werden können. Und wir brauchen dringend ein realistisches Lagebild, um zurückzukehren und das Gesundheitssystem wieder resilienter aufzustellen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Der zweite Grund – auch das ist schon angesprochen worden – ist die Omikron-Variante. Wir wissen noch nicht alles über diese neue Variante; aber es zeigt sich, dass der R-Wert vermutlich noch mal deutlich höher liegen könnte, als es bei der Delta-Variante der Fall ist, dass die Omikron-Variante so ansteckend wie Masern oder Windpocken sein könnte. Wenn wir jetzt nach vorne schauen, dann müssen wir uns darüber klar sein, dass wir diesen Omikron-Effekt nicht sofort, heute, morgen, an einem Anstieg der Infektionszahlen sehen werden. Er findet versteckt statt, möglicherweise bei fallenden Neuinfektionszahlen, wird langsam ansteigen. Das heißt, konsequent umgesetzte Maßnahmen heute – Masketragen, wie wir es endlich überall, hier auch im Plenarsaal, haben, das Reduzieren von Kontakten im Alltag und insbesondere schnelleres Impfen – sind die Vorsorge für morgen. Hier müssen wir mehr machen,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

alle in persönlicher Verantwortung und mit den heute auf den Weg gebrachten Regeln auch insgesamt im Land.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

„Zu spät, zu wenig und zu langsam“, das ist das Motto einer fehlgeleiteten Politik im Bundesgesundheitsministerium, das uns, von der Union geführt, in diese Situation der vierten Welle gebracht hat. Das darf so nicht weitergehen! Denn mit Blick auf die neuen Virusvarianten muss gelten: Bevor Omikron auf den Intensivstationen ankommt, müssen wir die Zahl der Neuinfektionen massiv gesenkt haben, müssen wir die Impfrate deutlich gesteigert haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die einzige Steigerungsform von Überlastung ist der Kollaps. Und weil wir Überlastungen regional längst sehen, müssen wir jetzt alles tun, um einen Kollaps der Versorgung in den Krankenhäusern und Kliniken in diesem Land mit allen Mitteln zu vermeiden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Bärbel Bas:

Herr Dahmen, lassen Sie eine Zwischenfrage von der AfD-Fraktion, von Herrn Sichert, zu?

Dr. Janosch Dahmen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Nein. – Ich möchte nach vorne schauen und sagen: Wenn wir uns die Situation insgesamt anschauen, dann kommt es doch darauf an, dass wir mit dem Gesetz, das wir heute auf den Weg bringen, kurzfristig die Infektionszahlen senken – durch flächendeckende 2-G-Maßnahmen, Kontaktreduktion, Absage von Veranstaltungen, Schließung von Gastronomie, Klubs und Bars –, mittelfristig durch das Boostern und Ausweiten der Impfungen Schutz bieten und langfristig durch so scharfe Instrumente wie eine einrichtungsspezifische Impfflicht bzw. eine allgemeine Impfpflicht – eine Debatte, die wir auf den Weg gebracht haben – für einen besseren Schutz sorgen und damit einen Weg aus dieser Pandemie ebnen.

Ich möchte an die Länder gerichtet appellieren: Wir brauchen jetzt die Durchsetzung, die Umsetzung der Maßnahmen in voller Fülle, die wir ermöglichen. Nur so wird Schutz auch möglich und auf den Weg gebracht, nur so verhindern wir, dass Omikron, das längst im Land ist, weiter die Hütte anzündet, und bringen Schutz für die Menschen wirkungsvoll auf den Weg. In diesem Sinne: Lassen Sie uns gemeinsam einen Kollaps verhindern!

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas:

Nächste Rednerin: für die FDP-Fraktion Katrin Helling-Plahr.

(Beifall bei der FDP)