Rede von Jürgen Trittin Inflation Reduction Act
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erste Bemerkung. Es ist manchmal schon unerträglich, in diesem Haus, das die Nazis mal abgefackelt haben, solche Reden zu hören, die in der Tradition der 20er-Jahre und der Nazis hier davon sprechen, Deutschland mache sich zum Bückling der USA. Es ist unerträglich!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der AfD)
Zweite Bemerkung. Ich bin mit der negativen Betrachtung des Inflation Reduction Act vieler Kolleginnen und Kollegen in dieser Form nicht uneingeschränkt einverstanden. Erst mal muss man verstehen, was er ist. Diesen Inflation Reduction Act hätte es nie gegeben ohne das Pariser Abkommen. Dem Pariser Abkommen zum Klimaschutz, zu dem 1,5‑Grad-Ziel, ist ein US-chinesisches Abkommen zum Klimaschutz vorangegangen. Das hat auf US-Seite John Podesta verhandelt, Gründer des Center for American Progress.
Dieser John Podesta ist heute dafür verantwortlich, die Implementierung der 397 Milliarden Dollar für dieses Programm auf den Weg zu bringen. Es ist der Weg, den die USA einschlagen, um die Treibhausgase, die sie emittieren, bis 2030 um die Hälfte gegenüber 2005 zu reduzieren. Das ist etwas, was man aus Gründen des Klimaschutzes und der Verantwortung vor dem Weltklima nur begrüßen kann.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Es ist auch mit Blick auf die deutsch-amerikanischen und europäisch-amerikanischen Fragen eine ganz große Tat. Denn wenn wir dahin kommen wollen, hier in Europa tatsächlich Klimaklubs zu gründen, dann ist die aktive Klimapolitik der USA Voraussetzung dafür, dass US-Unternehmen auf den europäischen Binnenmarkt kommen können. Wir sind nicht schwach, sondern wir versuchen in Partnerschaft mit den USA, die Dekarbonisierung der Wirtschaft auf den Weg zu bringen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Und dann, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU: In einer Welt, in der alle Industriepolitik betreiben, in einer solchen Welt kommt man nicht mit naiver Marktgläubigkeit weiter.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
In einer solchen Welt muss man sich Gedanken machen über eine eigene Industriepolitik.
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Ja, national!)
Vielleicht kann man sogar etwas lernen von den Amerikanern,
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Stimmt!)
zum Beispiel die Regel, dass mit einem bestimmten Aufwuchs 80 Prozent der Mineralien für Batterien künftig aus den USA oder aus Ländern kommen können bzw. müssen, mit denen die USA Handelsabkommen haben. Ist das nicht auch eine Idee für Europa? Oder sollen wir so weitermachen, wie Felix Banaszak ja zu Recht beschrieben hat? Wir vertreiben Zukunftsindustrien aus Deutschland, das kostet uns Hunderttausende Arbeitsplätze, und am Ende des Tages steht die Welt vor einem chinesischen Monopol.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ja, wir brauchen eine europäische Industriepolitik; da hat Robert Habeck recht.
(Dr. Christoph Hoffmann [FDP]: Freihandelsabkommen!)
Aber was ist das eigentlich für ein Reflex, an dieser Stelle mit europäischer Industriepolitik zuerst Subvention und dann Verschuldung zu assoziieren?
Gucken Sie sich doch mal den Inflation Reduction Act an. Er ist nicht schuldenfinanziert. Er beruht in einem Umfang von fast dem Doppelten der Ausgaben auf einer Verbesserung der Steuerbasis, auf einer Verbesserung des Steuervollzuges und auf höheren Abgaben auf Medikamente an dieser Stelle. Er ist einnahmefinanziert.
Damit bin ich bei dem Kollegen der SPD, der hier an dieser Stelle gesagt hat: Wir müssen uns auch über Eigenmittel der Europäischen Union unterhalten.
(Beifall des Abg. Johannes Schraps [SPD])
Ja, ich glaube, wir brauchen eine europäische Industriepolitik.
(Beifall des Abg. Markus Töns [SPD])
Diese Industriepolitik muss lernen und Elemente wie Local Content berücksichtigen, und sie muss künftig Zukunftsinvestitionen gewährleisten. Dann, glaube ich, sind wir auch Partner auf Augenhöhe mit den USA und können verhindern, dass China erneut neue Monopole aufbaut.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Vizepräsident Wolfgang Kubicki:
Vielen Dank, Herr Kollege Trittin. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Carl-Julius Cronenberg, FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)