Rede von Saskia Weishaupt Inflationsausgleich für Rettungs- und Gesundheitskräfte

Saskia Weishaupt MdB
30.03.2023

Saskia Weishaupt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit Ihrem Antrag, liebe Union, wollen Sie den Blick auf all die richten, die tagein, tagaus unser Gesundheitssystem am Laufen halten: Ayse, die als Medizinische Fachangestellte oftmals die erste Gesprächspartnerin im Praxisalltag ist, Heiner, der Notfallsanitäter, der sicherstellt, dass Erkrankte schnell ins Krankenhaus kommen, oder Lola, die Physiotherapeutin, die gerade Long-Covid- und Post-Vac-Betroffene wieder fit für den Alltag macht. Sie fordern Anerkennung für diese Menschen ein. Aber die Art und Weise, wie Sie diesen Menschen jetzt Wertschätzung entgegenbringen möchten, finde ich, ehrlich gesagt, absurd.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Der Coronabonus war ein Versuch von der Großen Koalition und dann auch von der Ampelregierung, den besonders belasteten Beschäftigten durch Bonuszahlungen unseren Dank finanziell auszudrücken. Bei Vorhaben dieser Art ist es immer wieder extrem schwierig, alle im Blick zu behalten. Deshalb haben wir im letzten Jahr auch versucht, nachzubessern, und die Steuerfreiheit erweitert auf Boni, die von Ärzten an deren Praxisteams gezahlt werden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Bonuszahlungen und Zuschüsse sind zwar nett, aber einmalige Zahlungen bleiben reine Symbolpolitik, wenn wir a) strukturell nichts verändern und b) die Beschäftigten nicht unterstützen, wenn sie sich zusammentun, um für fairen Lohn zu streiken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Denn darum muss es gehen: kein Minieinmalbonus, sondern faire Löhne.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist schon bemerkenswert, dass Sie sich als CDU/CSU hierhinstellen und Anerkennung, Wertschätzung und faire Bezahlung für Arbeit fordern, während Sie gleichzeitig gerade die Kämpfe der Beschäftigten für bessere Bedingungen unterbinden wollen, Streiks, die allein dafür da sind, dass sich die Beschäftigten zusammentun, um von ihren Arbeitgebern einzufordern, für ihre Arbeit angemessen bezahlt zu werden und angemessene Arbeitsbedingungen zu erhalten.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hüppe zulassen?

Saskia Weishaupt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Bitte.

Hubert Hüppe (CDU/CSU):

Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Frage zulassen. – Ich gebe Ihnen ja recht, dass bei solchen Situationen auch etwas durchgehen kann. Der Minister hatte uns versprochen, dass er noch mal nachschaut, wo es irgendwo Ungerechtigkeiten gibt, und dass man noch mal nachbessert.

Jetzt stelle ich Ihnen mal eine Frage zu einem ganz konkreten Fall in einem Krankenhaus in meiner Nachbarstadt. Auf den Stationen dort gibt es ausgebildete Krankenpflegerinnen und ‑pfleger sowie Krankenpflegeassistenten, die nur eine einjährige Ausbildung haben. Diejenigen, die eine Vollausbildung haben und auch mehr Geld bekommen – das sollen sie auch –, haben den Bonus erhalten. Die einjährig ausgebildeten Krankenschwestern und ‑pfleger haben ihn nicht bekommen. Das finde ich einfach ungerecht. Teilen Sie nicht meine Meinung, dass man das noch mal hätte nachbessern können, wie wir es auch bei der Bundesregierung angefragt haben? Es sorgt doch einfach auch für Streit auf der Station, dass die, die sowieso schon mehr verdienen – sie haben natürlich auch eine bessere Ausbildung –, den Bonus bekommen, während die, die dieselben Patienten versorgen und dieselben Dienste schieben, leer ausgehen. Finden Sie nicht, dass das ungerecht ist?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Saskia Weishaupt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Erst mal vielen Dank für Ihre Frage. – Ein Bonus war ja schon während der GroKo-Zeit auf den Weg gebracht worden. Das hat die Ampelregierung dann noch mal aufgegriffen.

(Simone Borchardt [CDU/CSU]: Nein!)

Nun wird schon berichtet, dass in Ihrem Antrag Berufsgruppen vergessen wurden, die auch gerne einen Bonus haben wollen.

(Sepp Müller [CDU/CSU]: Der alte Bonus war viel besser!)

Das heißt – ich habe gerade ja versucht, Ihnen das noch mal zu erklären –, es ist extrem schwierig, mit Einmalzahlungen wirklich alle in den Blick zu nehmen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Wir dürfen dann auch nicht nur über das Gesundheitswesen reden. Was ist denn beispielsweise mit den Lehrkräften? Das ist eine endlose Debatte, die man führen kann, und deswegen halte ich Einmalzahlungen und Boni einfach für nicht angemessene Mittel.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Simone Borchardt [CDU/CSU]: Das hätten Sie aber vorher überlegen müssen!)

Wir waren ja gerade bei Arbeitskämpfen und Streiks, die man unterstützen sollte und die Sie ja, ehrlich gesagt, nicht so cool finden. Da gehen Beschäftigte auf die Straße, um für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Eine angemessene Bezahlung bedeutet beispielsweise nicht, dass man sich den dicken Lamborghini vor die Tür stellen kann, sondern dass Familien ihre Miete zahlen können, die alleinerziehende Mutter das Kind auf Klassenfahrt schicken kann und man mit Anfang 50 nicht ein arbeitsbedingtes Burn-out hat.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ates Gürpinar [DIE LINKE]: Sagen Sie das doch mal den Arbeitgebern!)

Und dann ist es doch vielleicht ganz sinnvoll, nicht ständig mit Arbeitgeberverbänden zu klüngeln, sondern sich auch mal mit Gewerkschaften zu treffen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Ates Gürpinar [DIE LINKE])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie reden über Arbeitsbelastung und Wertschätzung. Das ist ein wunderbarer Anlass, sich zu fragen, wie sich Menschen heute überhaupt ihre Arbeit vorstellen und was die Bedürfnisse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sind. Gerade Menschen aus der jüngeren Generation sagen ganz oft, sie möchten weniger arbeiten.

(Simone Borchardt [CDU/CSU]: Das stimmt, ja!)

Anstatt jetzt immer direkt in Schnappatmung zu verfallen –

(Zuruf von der CDU/CSU)

– ja, ein wunderbares Beispiel –, müssen wir doch anerkennen, dass nicht jeder im Hamsterrad der Leistungsgesellschaft leben will. Hier geht es in keiner Weise um Faulheit oder Ponyhof, sondern um den Anspruch, auch mehr Zeit für wichtige Dinge im Leben zu haben,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Kristine Lütke [FDP])

mehr Zeit für das Ehrenamt im Jugendverband, mehr Zeit für Kinder und Familie oder mehr Zeit, um einfach mal mit Kumpels am Abend Basketball spielen zu gehen. Wir haben heute Morgen über die Wichtigkeit des Sports geredet. Wie stellen Sie sich das denn vor, wenn Menschen komplett ausgebrannt sind von der Arbeit?

Das lässt sich gut auf die Beschäftigten im Gesundheitswesen übertragen: Viele Beschäftigte sind in Teilzeit tätig und können sich kaum vorstellen, in Vollzeit zurückzukehren. Das liegt, ehrlich gesagt, nicht am fehlenden Bonus, sondern an fehlender Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben und zu hoher Belastung. Darüber täuscht Ihr Antrag hinweg.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Simone Borchardt [CDU/CSU]: Sie haben es ja in der Hand, etwas zu ändern!)

Lassen Sie uns aber auch gemeinsam auf einen anderen Teil der Arbeit in unserer Gesellschaft schauen. Denn wenn Ayse und Lola nach der Schicht in der Arztpraxis oder im Rehazentrum nach Hause gehen, ist für die beiden die Arbeit oftmals nicht vorbei: Wäsche waschen, Kinder zum Sportverein bringen, den nächsten Geburtstag planen – all das ist die unbezahlte Sorgearbeit im privaten Raum, die nach der Lohnarbeit zu Hause auf viele Menschen wartet.

(Simone Borchardt [CDU/CSU]: Oje! Wie haben das die Eltern früher gemacht?)

Diese Arbeit in unserer Gesellschaft wird, ehrlich gesagt, immer noch mehrheitlich von Frauen übernommen: 4 Stunden und 13 Minuten am Tag, die Frauen zusätzlich unbezahlt arbeiten.

(Simone Borchardt [CDU/CSU]: Ist ja eine ganz neue Erkenntnis!)

Die Journalistin Teresa Bücker fasst das ganz gut zusammen – ich zitiere –:

Care-Tätigkeiten sind die Grundlage dafür, dass Menschen morgens zu ihrer Erwerbsarbeit aufbrechen. Wir müssen schlafen, essen, uns wohlfühlen und zudem wissen, dass unsere Familie gut versorgt ist, um einer bezahlten Tätigkeit nachzugehen.

Diese unbezahlte Sorgearbeit hält unsere Gesellschaft zusammen. Deswegen ist Carearbeit auch Arbeit.

(Beifall bei Abgeordneten beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Aber selbst dort, wo Carearbeit entlohnt wird, im professionellen Kontext, bleibt sie strukturell untergewertschätzt, und das, obwohl professionelle Carearbeit besonders die Jobs sind, die in den letzten Jahren immer wieder als systemrelevant betitelt wurden. Die Pflegekräfte, die Hebammen oder auch die vielen Reinigungskräfte, all diese Berufe haben nicht nur einen extrem hohen weiblichen Beschäftigungsanteil, sondern sind auch schlecht bezahlt. Ein einmaliger Bonus wird diesen Herausforderungen in keinster Weise gerecht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wenn sich Beschäftigte zusammenschließen, um für krisenfeste Bezahlung auf die Straße zu gehen, stehe ich solidarisch an ihrer Seite. Wenn junge Menschen mehr Zeit für Ehrenamt und Familie einfordern, stehe ich solidarisch an ihrer Seite. Und wenn Frauen und Männer, die die unbezahlte Sorgearbeit zu Hause übernehmen und damit den Laden am Laufen halten, mehr Wertschätzung und Zeit dafür einfordern, dann stehe ich solidarisch an ihrer Seite.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Zum Abschluss möchte ich Ihnen, liebe CDU/CSU, noch Folgendes mitgeben: Ja, wir müssen über strukturelle Reformen reden. Das heißt auch, dass wir das Wissen und die Expertise nutzen, die in unseren Gesundheitsberufen stecken.

(Simone Borchardt [CDU/CSU]: Einfach mal anfangen!)

Wir müssen uns überlegen, wer im Gesundheitswesen welche Aufgaben übernehmen kann. Ein Anfang ist die Übertragung heilkundlicher Aufgaben in der Pflege oder der Direktzugang zu Heilmittelerbringern.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Ein weiteres gutes Beispiel ist die Schaffung des Berufsbilds Community Health Nurse, um nur einige Sachen aufzuzählen.

(Simone Borchardt [CDU/CSU]: Sie sind in der Regierung! Machen!)

Die Übertragung der Kompetenz und die Einbeziehung aller Gesundheitsberufe ist nämlich ein Garant für Zufriedenheit. Das muss jetzt angegangen werden, weil Sie die letzten Jahre nicht so viel gemacht haben.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Simone Borchardt [CDU/CSU]: Sie haben in anderthalb Jahren aber auch nicht viel geschafft!)

Bringen wir doch gemeinsam strukturelle Reformen auf den Weg! Solidarisieren Sie sich mit den Streikenden! Nehmen Sie unbezahlte Sorgearbeit und den von der Jugend betriebenen Wandel auf dem Arbeitsmarkt ernst! Dann können wir Veränderungen voranbringen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin Weishaupt. – Nächster Redner ist der Kollege Ates Gürpinar, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)