Rede von Ulle Schauws Information über Schwangerschaftsabbrüche

24.06.2022

Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Im Dezember 2017 stand die angeklagte Ärztin Kristina Hänel auf der Wiese draußen vor dem Bundestag und übergab uns Abgeordneten eine Petition mit über 150 000 Unterschriften verbunden mit der Forderung, § 219a StGB zu streichen. Sie und etliche Ärztinnen und Ärzte wurden jahrelang immer und immer wieder von Abtreibungsgegnerinnen und ‑gegnern verklagt, und zwar deswegen, weil sie ungewollt schwangere Patientinnen sachlich über Schwangerschaftsabbrüche informierten. Viereinhalb Jahre und einen Regierungswechsel später lösen wir Grüne, SPD und FDP zusammen mit den Linken heute ein, worauf sehr viele warten. Wir streichen den Strafrechtsparagrafen 219a, und zwar ersatzlos.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der FDP und der LINKEN)

Schluss mit der Kriminalisierung von Ärztinnen und Ärzten, die wie Verbrecher/-innen vor Gericht stehen mussten! Schluss damit, dass Frauen der Zugang zu direkten ärztlichen Informationen aus erster Hand verwehrt wird! Sie haben nämlich ein Recht darauf.

Kolleginnen und Kollegen, die Streichung des § 219a schafft Rechtssicherheit für Mediziner und Medizinerinnen und stärkt die Selbstbestimmung von Frauen. Das ist überfällig und sehr richtig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Dafür so lange zu kämpfen – das sage ich sehr klar –, wäre ohne den Mut der Ärztinnen und Ärzte und ohne starke Bündnisse nicht gegangen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir sagen Dank euch allen, stellvertretend an Kristina Hänel, an Nora Szasz, an Natascha Nicklaus, an Bettina Gaber, an Kersten Artus, an das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, an die Medical Students and Doctors for Choice, an Alicia Baier. Danke auch dem AKF, den vielen Juristinnen und Juristen, dem djb und den Beratungsstellen. Das ist auch euer Erfolg!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der FDP und der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Mehrheit der Menschen in unserem Land befürwortet die Streichung von § 219a. Er ist ein Symbol auch für die Selbstbestimmung von Frauen geworden. Selbst bei den Gerichtsverhandlungen in Gießen und in Kassel, bei denen ich dabei war, haderten Richter/-innen mit der Verurteilung nach § 219a. Mir ist über die ganzen Jahre in vielen Auseinandersetzungen hier im Bundestag eines sehr klar geworden: Sie von der Union fahren bei § 219a und auch bei § 218 einen gefährlichen Kurs. Sie schüren Misstrauen gegenüber Ärztinnen und Ärzten. Sie misstrauen Frauen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das ist echt unverschämt!)

Einer Ärztin in die Ausübung ihres Berufes reinzureden, weil sie Abtreibungen vornimmt, ist falsch. Einer ungewollt Schwangeren ihre Selbstbestimmung abzusprechen, als wäre das normal, ist und bleibt falsch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Zu unterstellen, dass Frauen leichtfertig mit der Entscheidung gegen eine Schwangerschaft umgehen, ist falsch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Sie als leicht beeinflussbar abzustempeln – und das machen Sie immer wieder –: Was ist das bitte für ein fatales Bild, das Sie immer und immer wieder von Frauen beschreiben?

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)

In einer Anhörung 2018 habe ich eine Sachverständige der katholischen Kirche gefragt, welchen Unterschied es für eine Frau, die einen Schwangerschaftsabbruch macht, ausmache, wo dieser gesetzlich geregelt sei. Sie antwortete, er müsse auch deswegen im Strafgesetzbuch geregelt bleiben, damit eine Frau sich schuldig fühlt. Genau deswegen ist das Signal heute so wichtig. Die Streichung von § 219a bricht mit einem Tabu. Die Botschaft ist: Wir trauen Frauen, wir trauen Ärztinnen und Ärzten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der FDP und der LINKEN)

Darum geht es in einem Staat, der Menschen befähigt, die Versorgung ungewollt Schwangerer als gute Gesundheitsversorgung wertzuschätzen; das ist zeitgemäß. Aber, Kolleginnen und Kollegen, angesichts des drastischen Rückgangs von über 50 Prozent Ärztinnen und Ärzten, die Abbrüche durchführen können, müssen wir die Versorgungssicherheit von Frauen verbessern.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Ein Schwangerschaftsabbruch gehört nicht ins Strafgesetzbuch. Ungewollt Schwangere brauchen eine gute Versorgung – überall im Land. Was sie nicht brauchen, sind Schuldgefühle. Heute ist ein guter Anfang.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der FDP und der LINKEN)

Präsidentin Bärbel Bas:

Nächste Rednerin: für die FDP-Fraktion Nicole Bauer.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)