Rede von Corinna Rüffer Inklusiver Arbeitsmarkt

Foto von Corinna Rüffer MdB
02.03.2023

Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe ein Versprechen abgegeben, Ihnen diese Woche etwas zu berichten. Ich habe überlegt, wann ich das tun kann. Heute passt es ganz gut, weil es nämlich zum Thema dazugehört, wie man erkennt, wenn man näher darüber nachdenkt.

Ich war hier in Berlin bei einer Podiumsdiskussion. Dort ging es um ein Gesetz, das von vielen betroffenen Menschen tatsächlich als Bedrohung wahrgenommen wird: von Menschen, die mit ihren intensivmedizinischen Bedarfen zum Teil jahrzehntelang selbstbestimmt in der eigenen Häuslichkeit gelebt haben, die einer Arbeit nachgegangen sind, von Kindern und Jugendlichen, die Kitas und Schulen besuchen, ihren Freundeskreis pflegen, von Erwachsenen, die zum Beispiel an ALS erkrankt sind und mit einer limitierten verbleibenden Lebenszeit zu rechnen haben. Sie alle fürchten sich seit einigen Jahren davor, in ein Heim ziehen zu müssen, weil der Gesetzgeber – also wir – Vorgaben für ihre Versorgung gemacht hat, die schlicht und ergreifend auch nach Meinung aller Fachleute, mit denen wir geredet haben, nicht zu erfüllen sind.

Ganz abgesehen davon, dass es Wahnsinn ist, kontrollettimäßig in das Privatleben von Menschen einzugreifen, scheitert die Umsetzung dieses Gesetzes daran – manche erinnern sich noch an die Abkürzung IPReG –, dass es landauf, landab an Ärztinnen und Ärzten und Pflegekräften mangelt, die es bräuchte, um die – jedenfalls aus Sicht dieser Menschen – absurden Regeln umzusetzen. Das wollte ich Sie wissen lassen. Wir müssen wirklich eine Lösung dafür finden, dass diese Leute nicht weiter Angst haben müssen, ihr Zuhause verlassen zu müssen. Ich habe Hoffnung, dass wir das schaffen.

Wir spüren gerade – das ist das Thema, das mich dahin führt – die ersten Auswirkungen des demografischen Wandels, und wir wissen, dass es gerade mit Blick auf die Pflege eine enorme Herausforderung ist – schon heute – und noch mehr sein wird, würdige Verhältnisse zu gewährleisten.

Was hat die Alterung unserer Gesellschaft mit einem inklusiven Arbeitsmarkt zu tun? Ich würde sagen: alles. Denn wir können es uns nicht länger leisten, Menschen um ihr Recht auf Teilhabe an Arbeit – ich will es deutlich sagen – zu betrügen. Wir brauchen jeden und jede in diesem Land, um den Laden zusammenzuhalten. Wir können tatsächlich auf niemanden verzichten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir Teile des Koalitionsvertrages diesbezüglich um. Wir führen eine vierte Staffel der Ausgleichsabgabe ein – das ist jetzt schon mehrfach gesagt worden – für die Betriebe, die sich weigern – ehrlich gesagt –, Schwerbehinderte einzustellen. Ich kann wirklich nicht nachvollziehen, warum sich die CDU/CSU seit Jahren sperrt. Vielleicht kommen wir darüber noch einmal ins Gespräch und finden eine Einigkeit.

Wir sorgen dafür, dass die Mittel aus der Ausgleichsabgabe endlich für die Beschäftigung behinderter Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwendet werden und nicht länger in Werkstätten und Wohnheime fließen. Wir schaffen den Deckel beim Budget für Arbeit ab, sodass die Lohnkostenzuschüsse in angemessener Höhe gezahlt werden können. Wenn Menschen ihre vollständigen Unterlagen eingebracht haben, dann gelten sie nach sechs Wochen bei den Integrationsämtern als genehmigt; das ist die sogenannte Genehmigungsfiktion. Wir erhoffen uns, dass dadurch Bürokratie abgebaut wird und tatsächlich ein Zugang deutlich erleichtert wird.

Wir befinden uns heute in der ersten Lesung und hoffen, dass wir in den parlamentarischen Verhandlungen zu weiteren Verbesserungen kommen werden. Die Fraktion Die Linke hat einen Antrag vorgelegt, in dem aus unserer Sicht tatsächlich richtige Punkte enthalten sind. Ich nenne einmal beispielhaft die Streichung der Bußgeldvorschrift für Null-Beschäftiger.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Da sind auch wir der Meinung, dass die nicht gestrichen werden darf; denn ein Freikaufen dürfen wir nicht erlauben. Die Betriebe sind weiterhin verpflichtet, Schwerbehinderte gemäß der Quote zu beschäftigen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir teilen auch die Auffassung, dass die Ausgleichsabgabe nicht mehr als Betriebsausgabe steuerlich abgesetzt werden sollte. Warum sollte die Allgemeinheit dafür aufkommen, dass Betriebe eine Verantwortung zu übernehmen haben? Aus unserer Sicht braucht es einen Versicherungsschutz bei Arbeitslosigkeit für Beschäftigte im Budget für Arbeit. Wir haben in der Pandemie gesehen, dass das notwendig ist.

Auch darüber hinaus gibt es Dinge zu klären, für die wir uns in den nächsten Wochen intensiv Zeit nehmen und das jetzt auch schon tun. Aber wie man es dreht und wendet, kann man sagen, dass wir mit diesem Gesetz natürlich noch keinen inklusiven Arbeitsmarkt abgeschlossen und eingeführt haben werden. Natürlich müssen wir daran weiter arbeiten. Das Ende der Fahnenstange ist nicht erreicht.

Das betriebliche Eingliederungsmanagement zum Beispiel ist ein total wichtiges Instrument. Wir brauchen einheitliche Standards. Wir dürfen Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen gerade nicht arbeiten können, nicht zurücklassen, sondern wir müssen ihnen die Möglichkeit geben, einzusteigen. Genauso brauchen wir Zugänge zum Arbeitsmarkt für diejenigen, denen es bisher von vornherein keiner zugetraut hat – Jugendliche mit einer sogenannten geistigen Beeinträchtigung zum Beispiel. Also auch über die mit hohem Unterstützungsbedarf müssen wir reden. Auch auf diese Menschen können und wollen wir nicht verzichten.

(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Wir müssen endlich dafür sorgen, dass bestehende Instrumente viel selbstverständlicher zur Anwendung kommen, und dorthin schauen, wo Dinge funktionieren, anstatt ständig darüber zu reden und zu lamentieren, warum Inklusion nicht funktioniert. Es gibt viele da draußen, die sich längst auf den Weg gemacht haben – auch aufseiten der Arbeitgeber – und dringend darauf warten, dass wir, die Politik, sie endlich konsequent unterstützen. Niemand will mehr Reden hören über Barrieren in den Köpfen. Was man da draußen sehen möchte, ist, dass der Gesetzgeber Barrieren einreißt.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Für die AfD-Fraktion hat das Wort René Springer.

(Beifall bei der AfD)