Lamya Kaddor
07.09.2023

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, ich weiß nicht so genau, wie Ihnen das da oben vorkommt, wenn Sie solche Debatten verfolgen müssen. Es ist bestimmt aufheiternd oder vielleicht auch nicht. Ich weiß es nicht.

Wir stehen jedenfalls innenpolitisch vor sehr großen Herausforderungen. Unsere Demokratie steht aus verschiedensten Gründen vor einer Zerreißprobe. Der Angriffskrieg Russlands geht nun in den zweiten Winter, populistische Hetze, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit steigen weiter an, Fake News und Cyberattacken bedrohen unseren Zusammenhalt und unsere innere Sicherheit. Die politisch motivierte Kriminalität ist im letzten Jahr auf einem Höchststand gewesen.

Eine aktuelle Nachrichtenmeldung lautete: Ein Drittel der Deutschen neigt zum Populismus, etwa 18 Prozent stark.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Was ist das denn für ein Medium?)

– Ja, es ist klar, dass Sie es nicht so mit Medien haben.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Nicht mit den Medien, mit denen Sie es haben!)

Sagen wir es mal mit Ironie: Die Ausgangslage für diese Haushaltsverhandlungen könnte besser sein. Es ist also höchste Zeit, dass wir konkret handeln und der zunehmenden Polarisierung und Entdemokratisierung massiv etwas entgegensetzen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Steffen Janich [AfD]: Gehen Sie doch aus der Regierung raus!)

Um unsere Demokratie zu schützen, braucht es den demokratischen Konsens, verlässliche Institutionen, Kümmerinnen und Kümmerer, starke Partner. Unsere Gesellschaft lebt von Menschen, die sich kümmern wollen. 40 Prozent der Deutschen engagieren sich regelmäßig ehrenamtlich. Ohne ihre Arbeit funktioniert aber nur wenig. Daher sind wir diesen Menschen zu großem Dank verpflichtet und zu guter Ausstattung der Programme für die Zivilgesellschaft.

Wir setzen uns daher für einen Haushalt ein, der den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt. Dafür werden wir uns innenpolitisch aber auch sehr genau anschauen, an welchen Stellen wir vor allem den Einsatz dieser Menschen unterstützen können, um unsere Demokratie resilienter gegen Angriffe von innen und außen zu machen.

Wir haben einiges geschafft und einiges noch vor. Das Demokratiefördergesetz ist im parlamentarischen Verfahren. Die Frage ist also nicht, ob es kommt, sondern wann es kommt, meine Damen und Herren. Demokratie darf – nein, sie muss – uns auch etwas kosten.

Warum das so ist, zeigt in diesen Tagen die Causa Aiwanger, und ich muss darauf zu sprechen kommen. Mein Kollege von Notz hat einiges dazu ausgeführt; ich kann nur ergänzen.

Ich wurde als ehemalige politische Bildnerin und Wissenschaftlerin hier und da immer wieder danach gefragt, was denn das Problem an den Aussagen Aiwangers sei. Ich möchte das hier kurz sagen. Die zunehmende Verschiebung der Grenzen des Sagbaren, die den Diskursraum am rechten Rand öffnen und rassistische, antisemitische und demokratiefeindliche Positionen normalisieren, das ist das Problem, meine Damen und Herren. Es wurde auch der Erinnerungskultur in unserem Land schwerer Schaden zugefügt. Man halte sich vor Augen, dass ein stellvertretender Ministerpräsident in einer KZ-Gedenkstätte ausdrücklich unerwünscht ist.

Das Signal, das durch die Entscheidung von Bayerns Regierungschef Söder ausgesandt wurde, ist doch: Man kann in Deutschland auch stellvertretender Ministerpräsident sein, wenn man sich nicht aufrichtig von seiner mutmaßlich rechtsradikalen Vergangenheit distanziert und bis in die Gegenwart weiter auf der Klaviatur des Populismus spielt. Man kann mit der Union in Bayern auch dann koalieren, wenn man statt der realen Vernichtung jüdischen Lebens in Deutschland die eigene Vernichtung durch eine kritische Berichterstattung herbeifantasiert.

Obendrein – der liebe Herr Kollege Merz ist ja leider nicht da, aber vielleicht richten Sie es ihm aus –

(Josef Oster [CDU/CSU]: Machen wir! – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Nee, nee! Wir brauchen ihm nichts ausrichten!)

bekommt man von Herrn Merz noch ein Loblied gesungen, ohne dass er sich als Oppositionsführer dafür zu schämen bräuchte. Dass Herr Merz die Normalisierung des Rechtsextremen als „bravourös“ geadelt und dann noch zu einer Schelte in Richtung Medien ausgeholt hat, ist doch ungeheuerlich. Mich würde wirklich interessieren, ob er sich dafür eigentlich nicht schämt.

Aiwanger ist ein geradezu paradigmatisches Beispiel für die existenzielle Notwendigkeit wirksamer politischer Bildung.

(Zuruf des Abg. Christoph de Vries [CDU/CSU])

Jugendliche müssen sensibilisiert werden, nicht nur für die oft dunkle Geschichte unseres Landes, sondern auch für die ewigen Ressentiments, seien es Queerfeindlichkeit, Islamfeindlichkeit, Antisemitismus oder andere Formen, um sich als mündige Bürgerinnen und Bürger entfalten zu können.

Hierfür haben wir im Koalitionsvertrag – ich muss an dieser Stelle daran erinnern – eine Erhöhung entsprechender Projektmittel vereinbart, etwa für die Bundeszentrale für politische Bildung.

(Zuruf von der CDU/CSU)

Wir werden diese Vereinbarung im parlamentarischen Verfahren genau im Auge behalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Denn politische Bildung ist unverzichtbar für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land. Ohne sie wird die Demokratie noch weiter an Zustimmung und Wirksamkeit verlieren.

Politische Bildung von staatlicher Seite und nicht nur von zivilgesellschaftlicher Seite ist auch deshalb wichtig – ich wiederhole das immer wieder sehr gerne –, weil es eben nicht primäre Aufgabe etwa von Jüdinnen und Juden, den jüdischen Communitys, jüdischen Gemeinschaften in diesem Land ist, Antisemitismus in diesem Land zu bekämpfen oder gar Antisemiten zu therapieren. Das ist nicht ihre Aufgabe.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Auch Gedenkstättenfahrten ohne jegliche Vor- und Nachbereitung heilen dieses ideologische Gift sicher nicht.

Es ist unsere Aufgabe als Gesetzgeber, dafür zu sorgen. Wir wollen einen Haushalt – daran arbeiten wir –, der die Demokratie stärkt, das zivilgesellschaftliche Engagement wertschätzt und gleichzeitig die Schwächsten nicht aus dem Blick verliert.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat der Kollege Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)