Rede von Ulle Schauws Internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen

Foto von Ulle Schauws MdB
16.11.2023

Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Danke, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt ein zutiefst menschliches Ritual, das wir alle kennen: wenn es schreckliche Anlässe gibt, wo wir gemeinsam schweigend innehalten, weil Menschen unerträgliches Unrecht erleiden mussten, wo ein Mensch auf furchtbare Weise getötet wurde. Würden wir für jede durch ihren Ex-Partner ermordete Frau in Deutschland pro Jahr eine Schweigeminute halten, schwiegen wir über zwei Stunden. Gedächten wir aller Frauen, die einen Tötungsversuch überlebt haben: Wir schwiegen sechs Stunden. Wenn wir für jede frauenverachtende Tat, jede Körperverletzung, jede Herabwürdigung, jede sexuelle Nötigung und jede Bedrohung innehalten würden: Wir wären ein schweigendes Land.

Diese Worte habe ich sinngemäß aus dem Buch „Gegen Frauenhass“ von Christina Clemm entnommen, die seit über 25 Jahren als Strafrechtsverteidigerin Verletzte von sexualisierter Gewalt vertritt und den erschütternden Alltag vieler Betroffener sehr konkret beschreibt. Diese Alltagsgewalt erleiden Abertausende Frauen, und unerträglich ist, dass häusliche Gewalt gegen sie nicht abnimmt. Ich möchte, dass Frauen frei von Gewalt leben können. Dies und nichts anderes ist akzeptabel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Und zu Ihnen möchte ich sagen: Gewalt gegen Frauen ist nicht importiert. Es gibt sie seit Jahrhunderten, und auch in der AfD sitzen deutsche Täter. Sie verhöhnen die Frauen, und das ist unerträglich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und des Abg. Norbert Maria Altenkamp [CDU/CSU])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns nicht nur am 25. November, dem Internationalen Tag zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen, sondern konstant das Ausmaß von Gewalt an Frauen vor Augen führen. Jede dritte Frau in Deutschland ist und war von sexueller oder häuslicher Gewalt betroffen. Jede zweite Frau in Europa ist mindestens einmal seit ihrem 15. Lebensjahr belästigt worden. Jede zehnte Frau hat seit ihrem 15. Lebensjahr sexuelle Gewalt erlitten; jede zwanzigste wurde vergewaltigt.

Das Bewusstsein für diese Form der Menschenrechtsverletzung steigt zwar, weil sie jetzt mehr benannt wird, aber für Frauen ändert sich bislang zu wenig. Und nach wie vor gehören sexistische Sprüche, Belästigungen, Benachteiligung am Arbeitsplatz und auch Gewalt zum Alltag von Frauen in Deutschland.

(Leni Breymaier [SPD]: Jeden Tag!)

Betroffene brauchen schnelle, verlässliche und erreichbare Hilfe. Viel zu oft brauchen sie Schutz und einen sicheren Ort im Frauenhaus, sowohl Frauen als auch ihre Kinder.

Daher ist es gut, dass wir im Koalitionsvertrag der Ampel vereinbart haben, den Schutz von Betroffenen durch den Ausbau von Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen zu verbessern, dass die Bundesregierung jetzt ein Recht auf Schutz und Beratung umsetzen wird, dass Lisa Paus als Frauenministerin mit der Gesamtstrategie zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt begonnen hat, dass wir als Bund wirklich mit in die Finanzierung des Gewaltschutzes einsteigen – und da sage ich auch zur Union: das haben Sie 16 Jahre verhindert –,

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Jawohl, endlich! 16 Jahre!)

dass es das bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ gibt, dass uns internationale Menschenrechtskonventionen wie die Istanbul-Konvention und CEDAW zu umfangreichem Schutz von Betroffenen vor Gewalt verpflichten und dass dafür im Ministerium eine Koordinierungsstelle eingerichtet worden ist. Das gab es vorher auch nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Doch, liebe Kolleginnen und Kollegen, all diese Vorhaben gibt es nicht umsonst: Gewaltschutz kostet. Wir brauchen den politischen Willen im Bund und in den Ländern, diesen Kraftakt der Finanzierung von Frauenhäusern und Beratungsstellen gemeinsam anzugehen. Inakzeptabel ist, wenn Frauen und ihre Kinder von Frauenhäusern abgewiesen werden, weil es keine freien Plätze mehr gibt. Betroffene von Gewalt brauchen umgehende Hilfe und unsere gemeinsame Solidarität.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden nicht von Almosen. Deutschland hat sich durch die Ratifizierung der Istanbul-Konvention zum Ausbau des Hilfesystems verpflichtet. Wir stehen in der Verantwortung, einen Teil des Ausbaus mitzufinanzieren. Länder, Kommunen und Bund sind gemeinsam in der Verantwortung. Die Istanbul-Konvention war ein Meilenstein bei der Bekämpfung von Gewalt an Frauen in ganz Europa. Und deswegen ist es gut, dass die EU in diesem Jahr der Konvention beigetreten ist.

Präsidentin Bärbel Bas:

Frau Schauws, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung aus der AfD-Fraktion von Herrn Sichert?

Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Nein, vielen Dank.

(Zuruf von der AfD: Unverschämtheit!)

Doch nicht nur das, liebe Kolleginnen und Kollegen: Noch in diesem Jahr soll eine EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt auf den Weg gebracht werden. Diese Richtlinie würde deutlich mehr Schutz von Frauen in allen Ländern Europas bewirken können: bei häuslicher Gewalt, bei digitaler Gewalt und vor allem auch bei sexualisierter Gewalt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sexualisierte Gewalt ist eine der schlimmsten Formen von Gewalt. Eine Vergewaltigung kann für die Betroffenen ein lebenslanges traumatisches Erlebnis bedeuten, gerade auch, wenn sie innerhalb einer Partnerschaft passiert. Umso wichtiger ist es aus meiner Perspektive, dass wir diese Menschenrechtsverletzung der Vergewaltigung in der EU gemeinsam ächten

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

und noch in diesem Jahr eine EU-Richtlinie auf den Weg bringen, die alle Formen von Gewalt an Frauen umfasst, einschließlich des Tatbestandes der Vergewaltigung.

Deutschland darf nicht weiter seine Zustimmung verweigern. Im Gegenteil: Die Bundesregierung muss beim Kampf gegen Gewalt an Frauen mutig vorangehen. Und an uns alle – alle demokratischen Fraktionen hier – appelliere ich: Wir dürfen die tägliche Gewalt, der Frauen ausgesetzt sind, nicht leise hinnehmen.

(Nicole Höchst [AfD]: Was für eine Heuchelei!)

Unser Job ist es, laut für Gewaltschutz einzutreten. Tun wir es!

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas:

Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, hat das Wort zu einer Kurzintervention der Abgeordnete Sichert.