Rede von Lamya Kaddor Islamismus

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17.03.2022

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Danke schön. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie ein so hochkomplexes Thema der Religionspolitik, nämlich die Frage der Verfasstheit der deutschen Islamverbände und Moscheevereine, hier und heute einbringen. Denn wir sind uns absolut einig: Die Frage der Finanzierung der muslimischen Verbände und Vereine ist nicht hinreichend beantwortet. Da bin ich ganz bei Ihnen.

Aber warum ist das so? Wie Muslime in Deutschland vertreten werden, wer für sie sprechen darf, wo Imaminnen und Imame ausgebildet werden, wie die Finanzierung ihrer Gemeinden jenseits des muslimischen Spendengebots aussieht, all das sind Aufgaben, die der Staat zusammen mit den Musliminnen und Muslimen klären muss. Es ist in der Tat dem gesellschaftlichen Frieden in diesem Land nicht zuträglich, dass es keine tragende Lösung für diese Frage gibt, und das seit Jahrzehnten.

Aber gehen wir noch mal einen Schritt zurück und betrachten den Titel Ihres Antrages. Welche Arten des Islamismus gibt es? Sie hatten es ja schon erwähnt: Da wäre der puristische Islamismus, der legalistische Islamismus, auch „politischer Islamismus“ genannt, und der dschihadistische, Gewalt legitimierende Islamismus. Die beiden Letzteren werden bereits vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Der erste ist übrigens Privatsache. Laut BMI stellt der Islamismus eine „religiös verbrämte Form des politischen Extremismus“ dar und lebt im Kern von ideologischen Narrativen: keine Gleichberechtigung der Geschlechter, wortwörtliches Verständnis der Offenbarungstexte, Umgang mit Andersgläubigen, die dann gerne auch mal als Ungläubige verstanden werden, und natürlich ein tief verankerter Antisemitismus.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, gerade während der Pandemie beispielsweise waren uns Religionsgemeinschaften, auch und vor allem muslimische Gemeinden, wichtige Partner in der Bekämpfung von Corona. Unterscheiden wir bitte stets: Ja, die Islamistin, der Islamist ist immer Muslim oder Muslimin. Andersherum allerdings ist es nicht so. Musliminnen und Muslime sind keineswegs immer Islamistinnen und Islamisten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Kommen wir zu der Frage der Finanzierung der islamischen Verbände zurück. Ja, wir müssen auch mit solchen, die aus dem Ausland finanziert werden, reden. Und ja, wir kritisieren diese Strukturen regelmäßig. Wir können uns die Akteurinnen und Akteure oft aber eben nicht aussuchen, leider in dem Fall. Sie aber machen etwas ganz anderes in diesem Antrag, und das ist, ehrlich gesagt, unsäglich. Im Kern sagen Sie: Da möglicherweise in Deutschland Musliminnen und Muslime leben, die möglicherweise nur vorgeben, demokratisch zu sein, wollen wir die Befugnisse des Verfassungsschutzes für die in diesem Fall nicht verfassungsfeindlichen, aber in Zukunft möglicherweise verfassungsfeindlichen Handlungen von Musliminnen und Muslimen ausbauen. – Kennen Sie den Film „Minority Report“ von Steven Spielberg? Sollten Sie sich mal angucken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, verschweigen hier eines: Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat bereits die Befugnis, nicht nur Gruppierungen, sondern auch Privatpersonen im islamistischen Spektrum zu beobachten. Theoretisch bedeutet das schon den Zugriff auf das private Girokonto. Schauen wir deshalb, was das Bundesamt für Verfassungsschutz kann und braucht, aber eben auch, was verfassungs- und bürgerrechtlich trägt. So haben wir es im Koalitionsvertrag vereinbart, und für diese Werte steht diese Koalition.

Ihre Forderungen, liebe Union, sind mit hoher Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig. Das gilt für die Erweiterung nationaler Ersuchen bei der Financial Intelligence Unit auf Fälle der Extremismusfinanzierung ebenso wie für den Entfall des Genehmigungsvorbehalts der G 10-Kommission bei Abfragen von Kontostammdaten und bei Auskunftsersuchen gegenüber Kreditinstituten, Finanztransferdienstleistern und Finanzunternehmen. Was Sie hier machen, hat letztlich nur eine Wirkung: Sie tragen wieder einmal zur Spaltung, zum Misstrauen bei:

(Beifall der Abg. Elisabeth Kaiser [SPD])

Selbst freundliche, gut ausgebildete und, sagen wir, demokratiesichere Musliminnen und Muslime sind vielleicht, vermutlich, möglicherweise doch nur getarnte Muslimbrüderanhänger/-innen. – Ich bin auch entsetzt darüber, dass Sie nichts, aber auch gar nichts Verbindendes an all die Menschen in unserem Land adressieren, die zum Islam gehören.

Ja, es gibt die problematischen, vom Ausland finanzierten Moscheevereine. Aber was ist mit all jenen Menschen in Deutschland, den Deutschen, die muslimischen Glaubens sind und weder mit iranischen Religionsführern oder Muslimbrüdern etwas zu tun haben wollen? Sagen wir es offen heraus: Deren Belange sind Ihnen einfach egal.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Sandra Bubendorfer-Licht [FDP])

Machen Sie hierzu einen konstruktiven Vorschlag? Nein. Wollen Sie überhaupt konstruktiv diese Debatte über die Finanzierung islamischer Vereine auf Augenhöhe führen? Ich behaupte: Nein. – Damit fallen Sie als Fraktion im Umgang mit Musliminnen und Muslimen in weniger als 100 Tagen in die Vor-Merkel-Ära der CDU zurück.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollegin Kaddor, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der CDU/CSU-Fraktion?

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der hat doch schon geredet! Was ist denn los?)

Christoph de Vries (CDU/CSU):

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Ich habe eine Frage. Sie haben eben ausgeführt, dass die Forderung, die wir im Antrag aufgeführt haben, dass der Verfassungsschutz an die Financial Intelligence Unit auch im Bereich der Extremismusfinanzierung herantreten kann, verfassungsfeindlich sei.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Höchstwahrscheinlich!

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Möglicherweise, ja. Zitieren Sie mich dann schon richtig.

Christoph de Vries (CDU/CSU):

Das können Sie ja gleich richtigstellen. Aber jetzt lassen Sie mich die Frage stellen, okay?

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Na dann.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nicht zugehört, Herr de Vries!)

Christoph de Vries (CDU/CSU):

Meine Frage an Sie ist: Worauf begründen Sie das? Und wollen Sie damit sagen, dass die Ausführungen des Verfassungsschutzpräsidenten in Deutschland, Thomas Haldenwang, der genau das gefordert hat, verfassungsfeindlich sind

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hat nicht „verfassungsfeindlich“ gesagt! Sie haben nicht zugehört!)

und dass wir einen Verfassungsschutzpräsidenten haben, der derartige Forderungen erhebt?

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Nein. Den Schluss haben Sie gerade gezogen, nicht ich. Ich habe gar nicht gesagt, dass Herr Haldenwang irgendetwas gemeint hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Sie müssten stehen bleiben während der Antwort, Herr Kollege.

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Definieren Sie doch erst einmal: Wann ist jemand Islamist, und wann ist er das nicht? – Das können Sie nämlich nicht einfach. Wir haben bis heute keine genaue Definition, wann jemand islamistisch ist und wann nicht. Und solange das nicht geklärt ist, können Sie niemandem, auch nicht dem Verfassungsschutz, diese Rechte zugestehen, um Menschen – wahllos womöglich – kontrollieren zu können. Punkt! – Das ist die Antwort.

Darf ich weitermachen, Frau Präsidentin? – Danke.

Sie nutzen Ihren Antrag unter dem Stichwort oder Schlagwort „politischer Islamismus“ und damit eigentlich das Thema „Islam in Deutschland“ in altbekannter Manier zur Mobilisierung am rechten Rand. Und die deutschen Musliminnen und Muslime vertrösten Sie in Ihrem Antrag übrigens auf einen unklaren Zeitpunkt in ferner Zukunft. Ich zitiere:

Gleichwohl sind langfristig Rahmenbedingungen wünschenswert, die muslimisches Leben in Deutschland unabhängig von finanziellen und ideellen Einflüssen aus dem Ausland ermöglichen.

Ja, meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, da hatten Sie 16 Jahre Zeit, mit den Musliminnen und Muslimen, mit der Deutschen Islam Konferenz und mit den Bundesländern ein Verfahren zu entwickeln. Und dann ist das das Ergebnis?

Die neue Bundesregierung und wir als Grünenfraktion wollen Verantwortung dafür tragen, wie wir hier künftig Religionspolitik gestalten. Daher werden wir der Deutschen Islam Konferenz echtes Leben einhauchen, und ich bin der Bundesinnenministerin dankbar, dass sie hier vorangeht. Hierbei werden wir zusammen mit den demokratischen, islamischen Kräften Wege finden, die Frage der Anerkennung muslimischer Verbände als Religionsgemeinschaft und gegebenenfalls auch als Körperschaft zu beantworten. Auch Anschubfinanzierungen für progressive, hier beheimatete Gemeinden sind denkbar. Wir werden prüfen, welche Wege wir hierzu gehen müssen. Sie sind herzlich eingeladen, daran mitzuwirken, wenn es Ihnen denn tatsächlich um ein gutes und sicheres Miteinander in dieser Gesellschaft geht.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])

Vizepräsidentin Petra Pau:

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Martina Renner das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)