Rede von Dr. Tobias Lindner Jahresbericht 2017 des Wehrbeauftragten

19.04.2018

Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatten über die jährlichen Berichte des Wehrbeauftragten sind zuallererst einmal die Gelegenheit, dankzusagen, auch im Namen meiner Fraktion. Ihre Arbeit, Herr Bartels, macht das, was eine Parlamentsarmee ist, überhaupt erst möglich. Sie sind quasi unser Gehör über den Zustand der Truppe und über das, was sie beschäftigt. Ich glaube, das ist in diesen Tagen wichtiger denn je.

Ich will aber auch einer zweiten Gruppe von Menschen danksagen, nämlich all den Soldatinnen und Soldaten und den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die eine Eingabe gemacht und damit den Mund aufgemacht haben. Wer hinsieht und nicht schweigt, wer den Mund aufmacht und nicht wegsieht, meine Damen und Herren, der macht unsere Bundeswehr nicht schlechter – nein, er trägt dazu bei, dass Probleme bei der Bundeswehr abgestellt werden können. Dafür herzlichen Dank!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ingo Gädechens [CDU/CSU])

Der Jahresbericht, meine Damen und Herren, enthält wieder zahlreiche Ansatzpunkte, über die man diskutieren kann. Ich will ganz offen zugeben: Natürlich ist die Versuchung in so einer Debatte groß – da nehme ich mich gar nicht aus –, wenn man in der Opposition ist, vor allem das Wort „Skandal“ zu rufen, mit Empörung darauf hinzuweisen, was alles falsch läuft, oder die Gelegenheit für Debatten zu nutzen. Wenn über mehr Mittel und die Ausstattung geredet wird, könnte ich auf die Seite 8 im Jahresbericht verweisen, wo es heißt – ich zitiere –: „An finanziellen Mitteln fehlte es 2017 nicht.“

Ich will ganz klarstellen: Wo in der Truppe Fehler gemacht wurden, wo es zu Verfehlungen gekommen ist, muss das geahndet werden. Wir müssen dann natürlich fragen: Waren die Meldeketten richtig? Waren die Ermittlungswege richtig? Angesichts von Fällen wie in Pfullendorf, wo Ermittlungen erst ausgelöst worden sind, nachdem anonyme E-Mails das Verteidigungsministerium erreicht haben, habe ich daran meinen großen Zweifel, um das ganz deutlich zu sagen.

Bei so einer Debatte geht es darum, über das konkrete Beispiel hinauszugehen – ich will es nicht „Einzelfall“ nennen – und sich im politischen Raum die Fragen zu stellen: Wo müssen wir politisch gegensteuern? Wo müssen wir Dinge ändern? In diesem Zusammenhang will ich in der Kürze der Zeit über zwei Themenkomplexe sprechen.

Als Erstes geht es um das Thema „Tradition und Umgang mit Extremismus in der Truppe“. Es ist unstrittig – das kann man der Truppe nicht zum Vorwurf machen –, dass Menschen in Uniform, die Waffen tragen, ein gewisses Faszinosum für Rechtsextremisten sind.

(Zuruf von der AfD: Das ist unglaublich!)

Das mache ich der Bundeswehr nicht zum Vorwurf. Aber: Es erlegt uns die Pflicht auf, dafür ein feines Gespür zu haben. Deswegen ist es zum Beispiel richtig, dass bei Neueinstellungen in der Truppe eine Sicherheitsüberprüfung stattfindet. Deswegen ist es auch richtig – das will ich hier noch einmal bekräftigen –, dass man an den Traditionserlass herangegangen ist.

Der letzte Traditionserlass ist von 1982. Nachdem es die Bundeswehr als Parlamentsarmee 60 Jahre gibt, ist es gut und richtig, zu sagen: Diese Truppe kann stolz genug auf sich selbst sein; das ist schon traditionsstiftend, mehr brauchen wir nicht mehr.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es geht auch darum, Tradition von Geschichte zu trennen, etwas, was Sie, Herr Otten, in Ihrer Rede vorhin, wie ich finde, nicht hinbekommen haben. Um das klarzumachen: Durch eine Erlassänderung an sich hat man natürlich noch nichts in den Köpfen geändert. Die Änderung des Traditionserlasses kann nur ein erster Schritt sein.

Frau Ministerin, es geht jetzt darum, dass das Ganze mit Leben gefüllt wird: dass wir in der täglichen Arbeit der Soldatinnen und Soldaten, bei der Ausbildung Zeit und Gelegenheit schaffen, um über politische Bildung zu diskutieren; dass es die richtigen Vorbilder gibt; dass Ausbilder und Vorgesetzte genug Zeit haben, sich zu kümmern, hinzusehen, Missstände abzustellen und darüber zu diskutieren, was in unserer Truppe traditionswürdig ist und was eben auch nicht.

Damit bin ich beim zweiten Thema, nämlich beim Thema Ausbildung; auch das ist heute schon angesprochen worden. Ja, es gab im letzten Jahr ernsthafte, gravierende Verfehlungen. Die Stichworte „Sondershausen“, „Pfullendorf“ und „Munster“ sind gefallen. Jenseits der konkreten Vorfälle müssen wir uns doch die Frage stellen: Was muss an der Art und Weise der Ausbildung in der Bundeswehr anders werden?

Ich muss erst einmal feststellen: Mit der Aussetzung der Wehrpflicht – ich halte diese nach wie vor für absolut richtig – haben wir es mit einem Bewerberpool zu tun, der körperlich heterogener geworden ist. Es kommen Menschen zur Bundeswehr, die eine körperlich unterschiedliche Leistungsfähigkeit haben. Ich finde das überhaupt nichts Schlimmes; auch das ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Dann müssen wir gerade die Frauen und Männer, die als Ausbilderinnen und Ausbilder tätig sind, fit machen, mit dieser unterschiedlichen körperlichen Leistungsfähigkeit angemessen umzugehen und nicht so auszubilden, dass es zu körperlichen Schäden kommt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen beim Thema Personalgewinnung natürlich auch berücksichtigen, dass in der heutigen Zeit die Anforderungen an die Truppe spezieller geworden sind. Wir brauchen für einzelne Bereiche hochspezialisierte Menschen mit ganz speziellen Fähigkeiten. Auf dem Arbeitsmarkt ist es schwer genug, Personen mit entsprechenden Voraussetzungen zu finden. Körperliche Fitness ist nur ein Teil davon. Darauf müssen wir uns einstellen.

Herr Otten, als ich Ihnen vorhin zugehört habe, hatte ich manchmal den Eindruck, Sie wollen den Soldaten auf die Rolle des Kämpfers reduzieren und vergessen dabei, dass es Menschen wie wir alle sind, mit Familie, mit Söhnen, mit Töchtern, mit Frauen, mit Männern. Darauf müssen wir Rücksicht nehmen. Da geht es um Fürsorge und um das Thema PTBS und um ganz andere Themen.

Ein letzter Punkt. Ich glaube, es schlägt dem Fass den Boden aus, Herr Otten, sich an einem Tag wie heute hierhinzustellen und über Dinge wie Tapferkeit und Treue zu schwadronieren, wenn Herr Nolte, ein Mitglied Ihrer Fraktion, einen mutmaßlichen Komplizen eines Rechtsextremisten, gegen den immer noch ein Ermittlungsverfahren läuft, als Mitarbeiter einstellt. Wer das als Abgeordneter, der im Verteidigungsausschuss mit vertraulichen Informationen befasst ist, tut, wer die Nähe zu Extremisten sucht, der ist ein laufendes Sicherheitsrisiko, und der kümmert sich um alles andere als um diese Truppe.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)