Sara Nanni
20.04.2023

Sara Nanni (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Wehrbeauftragte! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Eine erste Bemerkung sei mir erlaubt, Herr Hahn: Wenn man die Zügel anzieht, steht das Pferd.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Florian Hahn [CDU/CSU]: Das können Sie mal den Klimaklebern erzählen!)

Vielleicht erklärt das einiges, was in der Unionszeit im Bundesverteidigungsministerium schiefgelaufen ist. Meine Bitte an den Minister ist, sich diesen Rat nicht zu eigen zu machen, sondern mit dem Tempo fortzuschreiten, das wir bis jetzt schon gesehen haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Ich möchte mich aber zunächst bei der Wehrbeauftragten und ihrem ganzen Team recht herzlich für ihre wichtige Arbeit, ihre Analysen und auch dafür, dass Sie, Frau Dr. Högl, immer persönlich ansprechbar sind, bedanken. Das ist auch für unsere parlamentarische Arbeit sehr wertvoll. Danke dafür!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Ich möchte gerne über das Personal reden; denn die Bundeswehr – das wissen wir – muss mit privaten und anderen öffentlichen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern mithalten können. Das ist eine gänzlich andere Lage, als wir sie noch vor 20 oder 30 Jahren hatten. Heute sind auch die Partner/-innen der Soldatinnen und Soldaten in der Regel berufstätig. Dauerhaftes Pendeln ist kein attraktives Lebensmodell; das wissen viele Kolleginnen und Kollegen hier im Raum.

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Auch die Aussicht auf häufige Umzüge mit der ganzen Familie kann abschreckend wirken. Vereinbarkeit von Familie und Dienst heißt eben nicht nur, dass es an jedem Standort eigene Kitaangebote für Bundeswehrangehörige gibt, sondern in erster Linie, dass über einen Zeitraum längerer Verpflichtung absehbar ist, wo man als Bundeswehrangehörige leben wird.

Ich weiß, was nun der eine oder andere der alten Schule denken mag: Soldatin oder Soldat sein ist kein Job wie jeder andere; das alles gehört nun mal dazu. – Und natürlich stimmt das ein Stück weit auch. Insbesondere von Berufssoldatinnen und Berufssoldaten und den oberen Dienstgraden kann genau das zu Recht erwartet werden. Aber personell getragen wird die Bundeswehr in der Masse von Zeitsoldatinnen und Zeitsoldaten. Und die stellen sich schon vor der Bewerbung die Frage: Passt das? Erfreulicherweise – das zeigen Sie ja auch in Ihrem Bericht, Frau Wehrbeauftragte – sagen ziemlich viele: Ja, das passt. – Es gelingt immer besser, die Zahl der offenen Dienstposten zu verringern.

Trotzdem: Bei knapp 15 Prozent offener Dienstposten ist Zufriedenheit noch nicht angesagt, insbesondere weil je nach Ausbildung die knappe Personaldecke zu einer hohen Belastung derjenigen führt, die schon da sind, was eine Abwärtsspirale auslösen kann. Was für eine Abwärtsspirale das auslösen kann, sehen wir zum Beispiel in der Pflege: Eine Tätigkeit geht mit hohen Belastungen einher. Das spricht sich bei potenziellen Bewerberinnen und Bewerbern rum; sie sind abgeschreckt. Die Kräfte, die schon da sind, quittieren deutlich eher den Dienst, als sie es unter besseren Bedingungen täten, was wiederum zu einer höheren Belastung der verbleibenden Kräfte führt. Das sollte uns eine Warnung sein. Solche Negativspiralen müssen wir unbedingt vermeiden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Aber es gibt sie schon, wenn wir ehrlich sind. Bei Truppenbesuchen im Ausland merkt man das besonders. Mir fallen die Treibstoffexpertinnen und ‑experten in Jordanien ein, die die Kampfjets des Anti-Daesh-Einsatzes betanken. Sie geben sich in Al-Azraq quasi die Klinke in die Hand. Sie machen ihre Arbeit mit Leidenschaft, sind mit hundert Prozent bei der Sache. Aber als junger Mensch mit vielen Chancen will man vielleicht auch dann, wenn der Auftrag einen erfüllt, nicht mehrmals hintereinander die Hälfte des Jahres in der Wüste Jordaniens verbringen. Auch das Verständnis von Freundinnen und Freunden und der Familie zu Hause hält sich irgendwann in Grenzen. Das Gleiche gilt für alle – einige hatten es schon angesprochen –, die nun sehr intensiv in die Ausbildung der ukrainischen Streitkräfte eingebunden sind.

Jetzt wird es auch für uns hier im Parlament etwas ungemütlich. Denn ein Grund für die teilweise angespannten Lagen liegt auch darin, dass wir als Politik, wenn ich das mal so verallgemeinern darf, insbesondere unseren internationalen Partnern gegenüber gerne viel versprechen. Sie werden in der Bundeswehr aber niemanden finden – Soldatin bzw. Soldat oder Zivilistin bzw. Zivilist –, der oder die Ihnen sagt: Das geht nicht. – Die Bundeswehrangehörigen dienen diesem Land, und zwar bis über die eigenen Schmerzgrenzen hinaus. Das sehen wir im Parlament. Das haben wir klar vor Augen, und dafür sind wir ihnen jeden Tag aufs Neue dankbar.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Was wir aber nicht unterschätzen dürfen, ist: Nach dem Dienen kommt die Abstimmung mit den Füßen. Denn wenn Soldatinnen und Soldaten entscheiden müssen, ob sie bleiben oder gehen, ob sie sich noch einmal länger verpflichten lassen, ob sie Berufssoldatinnen und Berufssoldaten werden möchten, dann spielen auch Überlastungserfahrungen eine wichtige Rolle. Es ist unsere Verantwortung, für eine gute Balance zwischen den notwendigen Einsätzen und einer vertretbaren Belastung der eingesetzten Kräfte auch und gerade im Einzelfall zu achten. Ich möchte alle in der Truppe, die sich von dem, was ich gesagt habe, jetzt angesprochen fühlen, ermutigen: Reichen Sie Ihre Eingaben weiter bei der Wehrbeauftragten ein! Zu uns Abgeordneten gibt es keinen Dienstweg. In diesem Sinne lese ich auch den Bericht der Wehrbeauftragten: Wir packen das jetzt an – endlich zusammen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas:

Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Alexander Müller.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)