Rede von Dr. Robert Habeck Jahresbericht zur deutschen Einheit

Robert Habeck
19.10.2023

Dr. Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz:

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Müller, der Tagesordnungspunkt heißt ja „Bericht zum Stand der Deutschen Einheit“ und nicht „Bericht zum Stand der Strompreisbremse“. Aber ich freue mich – so habe ich Sie verstanden –, dass Sie sich dafür aussprechen, einen Brückenstrompreis einzuführen. Das würde den Kollegen in Ihrer Heimatstadt helfen. Danke schön für die Unterstützung der Union.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Sepp Müller [CDU/CSU]: Machen! Ins Machen kommen!)

Sie haben – wenn man das alles sezieren würde, würde man die ganze Redezeit damit verplempern – sehr viel durcheinandergeworfen. Aber einen Punkt haben Sie gut rausgearbeitet, und ich würde ihn gerne verstärken. Ich komme gleich dazu.

Wenn man sich die ökonomischen Daten anschaut, entwickelt sich der Stand der deutschen Einheit gut – Carsten Schneider hat es in seiner Rede dargestellt. Das ist nicht das Verdienst von einer Bundesregierung; das ist das Verdienst von kontinuierlicher Arbeit über viele Jahre.

In Zahlen ausgedrückt: Von 1991 bis 2022 ist der Unterschied im BIP je Einwohner kleiner geworden. 1991 haben die ostdeutschen Länder 43 Prozent des BIP je Einwohner der westdeutschen Länder erwirtschaftet. Dieser Anteil ist bis 2022 auf 79 Prozent gestiegen. Die Arbeitsproduktivität ist zwischen 2000 und 2020 von 69 Prozent auf 86 Prozent und das verfügbare Einkommen ist zwischen 1991 und 2021 von 60 Prozent auf 89 Prozent des westdeutschen Niveaus gestiegen. Hundert Prozent sind natürlich noch nicht erreicht. Die Arbeitslosenquote ist heute in Brandenburg, in Thüringen, in Sachsen geringer als in Nordrhein-Westfalen.

Wie ist das passiert? Nun, durch politische Programme, wirtschaftspolitische Programme und wirtschaftspolitische Entscheidungen, die wir noch einmal verstärkt haben. Deswegen habe ich mich in dieser Debatte zu Wort gemeldet, um deutlich zu machen, dass der Auftrag, die deutsche Einheit ökonomisch voranzubringen, weiter verschärft wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wir haben die Mittel für die GRW, also die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, im Haushalt gehalten und verstärkt. Das ist deswegen interessant, weil von den 650 Millionen Euro GRW-Mitteln 75 bis 80 Prozent nach Ostdeutschland gehen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gerald Ullrich [FDP])

Wir haben weiterhin ein GRW-Sonderprogramm aufgelegt, das sich an die Standorte Leuna, Schwedt und Rostock richtet, um dort die Transformation vorzunehmen. Leuna wird wahrscheinlich der erste Ort sein, wo dann Sustainable Aviation Fuel, also nachhaltiges Flugbenzin, produziert werden wird.

Wir haben weiterhin dafür gesorgt, dass Industrieansiedlungen vor allem auch nach Ostdeutschland kommen. Die Stichworte sind schon auf Zuruf gefallen: Intel, Infineon, TSMC, die Kathodenfabrik in Schwarzheide, die Standorte Leuna, Schwedt in der Transformation hin zu Wasserstoff.

Warum ist das so wichtig, und warum ist das so interessant? Und das ist, würde ich sagen, fast der einzige Punkt, Herr Müller, den Sie richtig getroffen haben.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Na, na, na!)

Wenn man sich die Einkommensunterschiede anschaut, dann muss man inzwischen sagen, dass der Ost-West-Gegensatz fast weniger entscheidend ist als gegensätzliche Verhältnisse in den unterschiedlichen Regionen. Sehr viele Regionen in Ostdeutschland haben zwar Beschäftigung, aber mangelnde Industrieinfrastruktur, und aufgrund der mangelnden Industrieinfrastruktur fehlen dann auch tariflich geschützte, gute Löhne und Einkommen.

Deswegen ist es so wichtig, nicht nur allgemein auf den Osten zu schauen, sondern gezielte Industriepolitik für Ostdeutschland zu machen, mit der Erwartung, dass dann tariflich geschützte, gute Löhne auch in Ostdeutschland stark werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Sepp Müller [CDU/CSU])

Insofern ist die häufig diskutierte Arbeit für diese Industrieansiedlung auch ein Beitrag zur deutschen Einheit. – Sehr geehrte Damen und Herren, so viel zur wirtschaftlichen Entwicklung zwischen Ost- und Westdeutschland und zur politischen Strategie der Bundesregierung mit dem klaren Bekenntnis, sie voranzubringen.

Erlauben Sie mir noch einen Satz oder einen Gedanken, der darüber hinausgeht. Ich habe es eben schon gesagt: Die deutsche Einheit ist vielleicht, wenn man genau hinschaut, weniger ein Spannungsfeld zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland, sondern zwischen verschiedenen Regionen. Und so sollten wir auch auf das Land insgesamt schauen.

Wir erleben, dass die innere Einheit des Landes bis zum Zerreißen gespannt ist. Was ist der politische Auftrag aus der deutschen Einheit? Den würde ich gerne für die politische Debatte in diesem Land insgesamt verallgemeinern: Wir haben unterschiedliche Geschichten, wir haben unterschiedliche historische Erfahrungen, Leute haben unterschiedlich studiert oder auch gar nicht studiert. Das ist aber nicht das letzte Wort; das ist der Handlungsauftrag. Die Idee hinter der deutschen Einheit, hinter den Berichten ist, aus Gegensätzen, aus Unterschieden nicht Feindschaften und Gräben werden zu lassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen sind dieser Bericht und diese Debatte zur deutschen Einheit ein Auftrag, an der Einheit zu arbeiten und in einer Debatte zueinanderzukommen, die Lösungen herstellt und nicht Gräben aufreißt.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat der Abgeordnete Leif-Erik Holm für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)