07.09.2023

Helge Limburg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 561 Tagen herrscht ein offener, brutaler Angriffskrieg in der Ukraine. Vor 561 Tagen hat Russland sein friedliches Nachbarland, die Ukraine, ganz offen überfallen. Bereits seit 2014 herrscht de facto Krieg im Osten der Ukraine, und bereits seit 2014 werden dort durch die russische Armee und gedungene Söldner brutale Kriegsverbrechen begangen. Der Angriff auf den Markt von Kostjantyniwka war das jüngste in einer ganzen Reihe von grausamen Kriegsverbrechen; es wird leider nicht das letzte gewesen sein. Deswegen war und ist es richtig, dass diese Koalition den Generalbundesanwalt von Beginn an mit ausreichend Personal- und Sachmitteln ausgestattet hat, um Ermittlungen – gemeinsam mit den internationalen Partnern, gemeinsam mit der Ukraine – durchführen zu können, um die Beweissicherung zu starten und letztlich die spätere Strafverfolgung zu ermöglichen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Sonja Eichwede [SPD])

Ich bin sehr, sehr froh, dass in dieser Frage Konsens unter den demokratischen Fraktionen in diesem Hause herrscht.

Meine Damen und Herren, wir werden – nicht nur, aber natürlich auch – wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine das Völkerstrafgesetzbuch modernisieren und Strafbarkeitslücken endlich schließen. Erst heute Morgen – ich habe leider nicht persönlich dabei sein können – hat hier in diesem Haus auf Initiative meines Kollegen Robin Wagener eine Veranstaltung zur Verschleppung von Kindern aus der Ukraine stattgefunden. Ich finde es richtig und wichtig, dass wir uns auch insbesondere unter diesem Aspekt das Völkerstrafgesetzbuch noch einmal anschauen: Wie können wir diejenigen, die diese grausamen Verbrechen begehen, die Kinder verschleppen und in russische Familien zwangsadoptieren, wie können wir alle, die daran beteiligt sind, ausreichend bestrafen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und der Abg. Clara Bünger [DIE LINKE])

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schon gesagt worden: Die Haushaltslage ist angespannt, und sie ist – ich kann es Ihnen nicht ersparen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union – in der Tat noch angespannter, als sie sein müsste, weil der frühere CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer 243 Millionen Euro durch seine vorzeitige Unterzeichnung der Mautverträge einfach so verpulvert hat. Mit 243 Millionen Euro könnten wir die Digitalisierungsmittel des Bundes für die Länder, die Justiz, mehr als verdoppeln. Wir könnten 3 240-mal die European Lawyers in Lesvos finanziell unterstützen, die nicht nur Migrantinnen und Migranten unterstützen, beraten und verteidigen, sondern die damit letztlich unsere europäischen Werte, unseren europäischen Rechtsstaat dort auf Lesbos und anderswo verteidigen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Sonja Eichwede [SPD] und Clara Bünger [DIE LINKE])

Wir könnten – die Kollegin Winkelmeier-Becker hat den Pakt für den Rechtsstaat angesprochen – mit 243 Millionen Euro mehr als 1 800 Richter- und Staatsanwaltsstellen für die Länder finanzieren.

(Dr. Martin Plum [CDU/CSU]: Das will der Minister nicht mehr!)

Wir könnten 405 Jahre lang HateAid fördern. Dass diese Millionen im Bundeshaushalt fehlen, ist die politische Verantwortung, das Versagen der CSU; das muss hier mal so klar festgestellt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, es ist gesagt worden: Hass und Hetze im Internet nehmen immer mehr zu. Und es ist bezeichnend, welche Partei – der Abgeordnete Peterka, der gerade geredet hat – hier als einzige HateAid kritisiert und offensiv angreift. Es ist völlig klar, dass die Partei, die Hass und Hetze zu ihrem Geschäftsmodell macht, nicht möchte, dass wir die Menschen, die von Hass und Hetze bedroht sind, dabei unterstützen, ihre Rechte in einem Rechtsstaat auch mit rechtsstaatlichen Mitteln durchzusetzen.

(Stephan Brandner [AfD]: Ach, Herr Limburg! Die gelebte Hass und Hetze steht doch am Rednerpult!)

Es war richtig, dass wir HateAid unterstützt haben, und wir werden in den Haushaltsberatungen dazu kommen müssen, dass wir dies auch in den kommenden Jahren tun. Dafür steht auch die grüne Fraktion, und ich bin froh, dass darüber Konsens in der Koalition herrscht, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Irgendwo mal Konsens, das finde ich gut!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, manche Vorhaben der Rechtspolitik kosten nichts oder nur wenig Geld, sind deswegen aber nicht weniger wichtig. Es ist zu Recht angesprochen worden: Die Modernisierung des Namensrechts wird von vielen Menschen in diesem Land herbeigesehnt. Wir werden mit der Verantwortungsgemeinschaft und mit der Reform des Abstammungsrechtes das Familienrecht modernisieren. Und da geht es eben nicht, Herr Kollege Krings, in allererster Linie darum, verschiedene Lebensentwürfe auszuüben. Nein, es ist ein geradezu konservatives Projekt, dass wir sicherstellen wollen, dass jedes Kind in diesem Land von Anfang an ein Recht auf zwei Eltern hat; dass ein Kind, dessen leibliche Mutter bei der Geburt stirbt, nicht als Vollwaise dasteht, sondern dann wenigstens noch die Partnerin der Mutter als Mutter hat. Jedes Kind hat ein Recht auf zwei Eltern. Für das Kindeswohl wollen wir das Abstammungsrecht reformieren und modernisieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Clara Bünger [DIE LINKE])

Meine Damen und Herren, ich konnte heute Morgen in der „LTO“ lesen – Sie haben es ja auch gerade noch einmal wiederholt –, dass es in der CDU/CSU-Fraktion einen Brandbrief gibt, mit dem Sie versuchen wollen, jede Modernisierungsbemühung im Bereich der strafrechtlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs zu stoppen.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Also, weniger Kinderschutz heißt jetzt „modernisieren“! Das finde ich mutig!)

Meine Damen und Herren, nicht die Streichung von § 219a Strafgesetzbuch war ein Fehler. Nein, es war ein Fehler, dass der Rechtsstaat es jemals unter Strafe gestellt hat, dass Ärztinnen und Ärzte über ihre eigenen Methoden von Schwangerschaftsabbrüchen informieren dürfen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP und der Abg. Clara Bünger [DIE LINKE])

Es war ein Fehler, dass Frauenfeinde und sogenannte Lebensschützer in diesem Land Staatsanwälte und Gerichte für ihre finsteren Ziele instrumentalisieren und Ärztinnen und Ärzte vor Gericht zerren konnten.

(Beifall der Abg. Leni Breymaier [SPD])

Das alles war ein Fehler, und es ist richtig, dass dieser Paragraf weg ist.

Frau Winkelmeier-Becker, wir starten doch keinen Kulturkampf.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Doch! Das machen schon Sie! Angriff und Verteidigung!)

Den Kulturkampf starten diejenigen, die Ärzte im Internet denunzieren. Den Kulturkampf starten diejenigen, die Demonstrationen vor Beratungsstellen veranstalten, um Frauen unter Druck zu setzen. Diese Koalition wird auch das Problem der Gehsteigbelästigung endlich angehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie der Abg. Clara Bünger [DIE LINKE] – Zuruf der Abg. Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU])

Das sind Probleme, die es seit Jahren gibt, die Sie immer ignoriert haben. Die Frauen verdienen unsere Unterstützung. Die Ärztinnen und Ärzte verdienen Unterstützung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss.

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Ja, bitte.

Helge Limburg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ihre übereilten Strafrechtsverschärfungen der letzten Jahre haben den Gerichten und den Staatsanwälten viel unnötige Arbeit gemacht. Wir machen Rechtspolitik mit Maß und Mitte, mit Augenmaß und nicht mit dem Bauch, und das ist auch richtig so.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Da muss er selber schmunzeln!)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Nächster Redner ist Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)