Rede von Markus Kurth Kehrtwende in der Arbeitsmarktpolitik

19.01.2018

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es immer wieder interessant, dass man Parallelen zwischen der FDP und der Linkspartei feststellen kann.

(Johannes Vogel [FDP]: Was?)

Erstens geht es dabei um die Flucht vor der Verantwortung. Sie beide wollen nicht regieren. Sie beide ziehen es vor, aus der Ecke des Plenarsaals zu krakeelen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Auch eine interessante Auffassung!)

Kolleginnen und Kollegen von der FDP, eine Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung, wenn die Rücklage gefüllt ist, hätten wir vereinbaren können. Wir hatten auch schon eine Zielsetzung im Hinblick auf die Gesamtsozialversicherungsbeiträge vereinbart. All das hätten Sie haben können, wenn Sie nicht Angst bekommen hätten und vor der Verantwortung geflohen wären.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – ­Michael Theurer [FDP]: Stimmen Sie doch zu! Sie müssen nur zustimmen!)

Von der Linken kennen wir es ja schon seit vielen, vielen Jahren, dass Sie die Verantwortung scheuen. Ich muss an dieser Stelle sagen: Wer vor den Souverän tritt und sagt: „Ich möchte eine Stimme für mein politisches Angebot“, der muss auch in schwieriger Lage den Stier bei den Hörnern packen und Verantwortung übernehmen.

(Michael Theurer [FDP]: Wer ist denn hier der Stier?)

Dafür sind wir hier.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Theurer [FDP]: Sie müssen doch nur zustimmen! Ganz einfach!)

Der zweite Punkt, an dem es Parallelen zwischen Ihnen gibt, ist die geradezu groteske Überzeichnung des Sozialstaats, natürlich in unterschiedlicher Richtung. Sie von der FDP sehen den Sozialstaat bzw. die Sozialversicherungen ausschließlich als Kostgänger der Wirtschaft, als Kostenbelastung und nicht als Einrichtungen, die Chancen für die Menschen und damit die Voraussetzungen für Freiheit schaffen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wo wird dies deutlicher als bei der Arbeitslosenversicherung, bei der wir, gerade angesichts der Digitalisierung, Weiterentwicklungsbedarfe haben? Darauf gehe ich gleich noch ein.

Bei der Linken gibt es eine groteske Überzeichnung und Vereinseitigung des Sozialstaatsbegriffs, da Sie den Sozialstaat vorwiegend als gigantische Alimentationsmaschine verstehen. Die Debatte um die von Ihnen geforderte Mindestsicherung in Höhe von 1 500 Euro

(Niema Movassat [DIE LINKE]: Es sind 1 050!)

– nach Berichtigung des Druckfehlers sollen es jetzt nur noch 1 050 Euro sein – ist in gewisser Weise sehr erhellend. Man wundert sich über Ihre Forderung nach 1 500 Euro nämlich gar nicht.

(Niema Movassat [DIE LINKE]: 1 050!)

Ich würde mich auch nicht wundern, wenn Sie da die Zahl 2  000 hingeschrieben hätten. Wir sind von Ihnen nämlich gewohnt, dass bei den Zahlen, die Sie in Ihre Anträge schreiben, die Skala nach oben offen ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das ist Polemik, Herr Kollege!)

Das wirft ein bezeichnendes Licht auf Ihre Überzeichnung des Sozialstaatsbegriffs.

Jetzt möchte ich auf die Aufgabe der Arbeitslosenversicherung eingehen.

(Zuruf von der FDP: Sie können doch einfach zustimmen!)

Wir müssen, bevor wir über die Kosten reden, eine Aufgabenkritik vornehmen. Sie müsste eigentlich länger ausfallen, als mir an Redezeit noch zur Verfügung steht.

(Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Wie schade!)

Ich möchte das Beispiel der Digitalisierung aufgreifen. Digitalisierung ist nämlich verbunden mit der immer schnelleren Entwertung des Wissens von Beschäftigten. Ausbildungsinhalte verändern sich immer schneller. Es besteht ein kontinuierlicher Weiterbildungsbedarf. Wem beim Thema Digitalisierung, Herr Theurer, nichts anderes einfällt als eine Steuer- und Beitragssatzsenkung, der hat den Prozess mit seinen ganzen tiefgreifenden Umbrüchen überhaupt nicht verstanden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Theurer [FDP]: Das ist eine unzulässige Verkürzung! – Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Immer diese Belehrungen!)

Was wir brauchen – in diesem Punkt muss die Arbeitslosenversicherung weiterentwickelt werden –, ist zum Beispiel ein Anspruch auf Weiterbildung schon während der Beschäftigung und nicht erst wenn der Fall der Arbeitslosigkeit eingetreten ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Gerade bei älteren Beschäftigten in kleinen Betrieben besteht ein enormer Nachholbedarf. Insgesamt ist der Umfang der betrieblichen Weiterbildung Gott sei Dank angestiegen; aber gerade dort, wo einfache Tätigkeiten durch die Digitalisierung in Zukunft ersetzt zu werden drohen – manchmal ist es auch gut, dass monotone Tätigkeiten ersetzt werden –, haben wir einen Bedarf an präventiver Weiterbildung und haben Vorsorge zu schaffen. Die Arbeitslosenversicherung in diesem Sinne fit zu machen, das würde zu einer umfassenden ganzheitlichen Betrachtung gehören. Dafür stehen wir als Bündnis 90/Die Grünen und werden dafür kämpfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das hätten wir auch gerne in einer Regierung getan.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)