Rede von Charlotte Schneidewind-Hartnagel Kitas und Rechte von Kindern

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19.06.2020

Charlotte Schneidewind-Hartnagel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit Mitte März ist für Kinder nichts mehr normal. Viele der Schutzmaßnahmen im Rahmen der Pandemiebekämpfung wie Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen, Schul-, Kita- und Spielplatzschließungen haben massive Auswirkungen auf Kinder und ihre Rechte. Inzwischen haben die Einschränkungen familiäre Krisen verschärft, und die Gefahr von häuslicher und sexualisierter Gewalt gegen Kinder ist gestiegen. Die Rückmeldungen von Jugendämtern und erstes Zahlenmaterial haben dies bereits bestätigt.

Die Bedingungen unter dem Infektionsschutz haben Problemlagen verschärft; aber Infektionsschutz darf Kinderschutz nicht hintenanstellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE])

Kein Kind kann sich alleine schützen. Kinder haben ein Recht darauf, dass wir sie schützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD])

Kinder haben auch das Recht auf Bildung, und das beginnt schon im frühkindlichen Bereich. Bereits vor Corona waren die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen eng an die Einkommen ihrer Eltern gekoppelt. Inzwischen hat jeder Tag ohne Kita und ohne Schule diese Bildungsungerechtigkeit vergrößert und Zukunftschancen von Kindern erheblich beeinträchtigt. Das wird weitergehen, trotz aller Öffnungen. Erste Schulen schließen aufgrund von Coronainfektionen bereits wieder ihre Türen. Und machen wir uns nichts vor: Das wird uns auch noch nach dem Sommer begleiten und die Bildungschancen von Kindern mit schlechteren Startbedingungen weiter einschränken.

Zwar sind Kinder vergleichsweise seltener und schwächer von einer Covid-19-Infektion betroffen; aber die Coronaabwehrmaßnahmen können negative Auswirkungen auf ihre seelische und körperliche Gesundheit haben und damit auf ihre Entwicklungschancen. Die Perspektive von Kindern, ihre Interessen und Bedürfnisse kamen während der Pandemiebekämpfung kaum vor. Und: Die Kinder wurden nicht gefragt. Wir reden hier sehr viel über Kinder, aber wir müssen dahin kommen, auch mit den Kindern zu sprechen

(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Stimmt!)

und vor allem mit ihren Interessensvertreterinnen und ‑vertretern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Um dem Wohl und den Rechten von rund 13 Millionen Kindern und Jugendlichen in Deutschland gerecht zu werden und ihnen einen höheren Stellenwert einzuräumen, kann ein Kindergipfel als Aufbruchssignal dienen. Und dieses Signal ist dringend notwendig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die in der UN-Kinderrechtskonvention verbrieften Rechte müssen auch in Coronazeiten eingehalten werden. Wir müssen Schutz und Bedürfnisse von Kindern immer von vornherein mitdenken. Kinder haben ein Recht auf Schutz vor häuslicher und sexualisierter Gewalt. Die Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe brauchen jetzt unsere volle Unterstützung.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen verhindern, dass Kinder vom digitalen Lernen ausgeschlossen werden, und in allen Familien müssen Internetzugang, Laptops und Tablets zur Verfügung stehen. Kinder haben ein Recht auf Bildung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE])

Wir brauchen einen Gerechtigkeitspakt für faire Bildungschancen, der bereits im frühkindlichen Bereich ansetzen muss, und wir brauchen pädagogische Präsenzangebote für Kinder mit besonderem Unterstützungsbedarf und besonders aus verletzlichen Familien.

Wir brauchen ein Coronaelterngeld für berufstätige Eltern, die ihre Kinder zu Hause betreuen müssen. Die Erweiterung der Entschädigung für Verdienstausfälle von sechs auf zehn Wochen ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Dass es keine Lohnfortzahlung für Arbeit im Homeoffice bei gleichzeitiger Kinderbetreuung gibt, zeugt von einer unglaublichen Realitätsferne. Homeoffice ist niemals eine Betreuungsoption.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Grigorios Aggelidis [FDP] und Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE])

Es macht für das Familienleben einen großen Unterschied, ob Kinder die Einschränkungen durch den Infektionsschutz in einem Einfamilienhaus mit Garten am Waldrand erleben oder in einer Zweizimmerwohnung in einer Hochhaussiedlung bei geschlossenen Spielplätzen. Und genauso wenig, wie das Leben von Erwachsenen nur aus Arbeit besteht, besteht das Leben von Kindern nur aus Schule und Hausaufgaben. Kinder haben ein Recht auf Spiel, Bewegung und Erholung, um gesund bleiben zu können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Grigorios Aggelidis [FDP] und Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE])

Es macht für Kinder einen großen Unterschied, ob ihre Familien in prekäre Einkommenssituationen geraten oder ob sie finanziell abgesichert sind, und es macht einen großen Unterschied, ob Kinder das sogenannte Homeschooling in einer – auch sogenannten – bildungsfernen Familie erleben oder in einem bildungsaffinen Umfeld. Da ist Chancengleichheit weit entfernt.

Zusammengefasst heißt das: Die Situation unter Coronabedingungen ist nicht für jedes Kind gleich. Aber alle Kinder haben gleiche Rechte, und wir sind diejenigen, die allen gleichermaßen zu ihren Rechten verhelfen müssen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb lassen Sie uns endlich starke Kinderrechte in unserem Grundgesetz verankern!

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE])

Vizepräsidentin Petra Pau:

Meinen Respekt! Es gelingt ganz wenigen Kolleginnen und Kollegen, bei der ersten Rede in der Zeit zu bleiben.

(Beifall)

Das Wort hat der Kollege Maik Beermann für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)