Rede von Claudia Roth Klimabedingte Migration, Flucht und Vertreibung

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13.12.2019

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Klimakrise führt zu einschneidenden Veränderungen in der Welt, schon heute und auch bei uns. Vor allem aber ist die Klimakrise eine Krise der globalen Gerechtigkeit. In erster Linie trifft sie nämlich den globalen Süden und damit just jene Regionen des Planeten, die historisch betrachtet am allerwenigsten zur Erderwärmung beigetragen haben. Dort wiederum sind besonders die Menschen betroffen, die die geringsten Möglichkeiten haben, sich zu schützen oder anzupassen: Frauen, Kinder, Alte und Minderheiten.

Millionen von Menschen erleben so tagtäglich die Zerstörung ihrer Gegenwart. Klimakrise bedeutet für sie Wüstenbildung, Dürre oder Überschwemmung, Versalzung der Böden. Klimakrise bedeutet die Verknappung ohnehin knapper Ressourcen und damit die Intensivierung gewaltsamer Konflikte. Klimakrise bedeutet die Verletzung grundlegender Menschenrechte. Klimakrise bedeutet aber auch den unermesslichen Verlust von sicherem Zuhause, von Heimat, bedeutet Migration, Flucht und Vertreibung.

(Zuruf des Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD])

In der Tat werden innerstaatlich schon heute mehr Menschen durch die Folgen der Klimakrise vertrieben als durch Gewalt und Konflikte. Dennoch fristet klimabedingte Vertreibung in internationalen Debatten allenfalls ein Nischendasein. Das wollen wir ändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Roland Hartwig [AfD]: Das befürchten wir auch!)

In unserem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es also um mehr als um aktuelle Emissionswerte. Es geht um historische Verantwortung, um moralische und völkerrechtliche Verpflichtung.

(Dr. Roland Hartwig [AfD]: Was für ein Unfug!)

Es geht um internationale Klimafinanzierung. Und, ja, dabei geht es natürlich auch um den Ausgleich von Schäden und von Verlusten. Umso beunruhigender die Nachrichten, die uns aus Madrid erreichen, über die anhaltende Blockadehaltung der Industrienationen. Vor allem aber geht es uns im Antrag um vier zentrale Punkte.

Erstens. Natürlich hat es oberste Priorität, die Klimakrise einzudämmen und dazu beizutragen, dass Menschen ihre Heimat erst gar nicht verlassen müssen.

Zweitens. Selbst wenn wir die Klimaziele von Paris doch erreichen, werden Menschen mit Klimaveränderungen konfrontiert sein: an ihren Küsten, auf ihren Äckern, in ihren Wäldern. Denjenigen, die nicht bleiben können, muss eine selbstbestimmte und frühzeitige, eine legale und würdevolle Migration möglich sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Andreas Bleck [AfD]: Aber nicht in die EU! Wir haben Klimanotstand!)

Dazu gibt es bislang vor allem regionale Ansätze, und es gibt Konventionen. Die sollten wir viel stärker unterstützen, weiterentwickeln und verbindlich machen. Denn natürlich will der Fischer auf den Bahamas, will die Kaffeebäuerin aus Benin nicht nach Bamberg ins AnkER-Zentrum. Wenn sie denn schon umsiedeln müssen,

(Dr. Roland Hartwig [AfD]: Müssen?)

wollen sie das innerhalb ihres Landes, innerhalb ihrer Regionen tun und erwarten dabei zu Recht auch unsere Unterstützung als Hauptmitverursacher der Klimakrise.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Welche Klimakrise?)

Drittens wird es, wie schon heute, auch zu Situationen plötzlicher Flucht kommen, beispielsweise nach Naturkatastrophen, die von der Klimakrise vermehrt, beschleunigt und intensiviert werden. Die meisten davon Betroffenen fallen dabei nicht in den Geltungsbereich der Genfer Flüchtlingskonvention,

(Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Das ist unfassbar!)

sondern in eine völkerrechtliche Schutzlücke, die wir dringend schließen müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Roland Hartwig [AfD]: Wer sind eigentlich „wir“?)

Auch dazu machen wir Vorschläge, wie zum Beispiel die Ausweitung des subsidiären Schutzes auf Katastrophenvertriebene.

Schließlich viertens. Wie gehen wir eigentlich damit um, wenn absehbar ist, dass es zwar noch eine Bevölkerung von Tuvalu geben wird, den flachen Inselstaat aber bald nicht mehr?

(Zuruf des Abg. Andreas Bleck [AfD])

Was bedeutet das Verschwinden des gesamten Territoriums von Kiribati für die Staatsbürgerschaft der Betroffenen? Wie garantieren wir also die Menschenrechte derer, die womöglich bald kein Herkunftsland mehr haben werden?

(Andreas Bleck [AfD]: Seit wann hat ein Land das Recht auf Land und Territorium?)

Unter anderem greifen wir auf, was auch der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung empfiehlt, nämlich die Idee eines Klimapasses, der den Betroffenen ermöglichen würde, selbstbestimmt und frühzeitig über ihre notwendige Migration zu entscheiden und staatsbürgergleiche Rechte im aufnehmenden Land zu erhalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, erlauben Sie mir abschließend eine Bitte. In unserem Antrag sprechen wir Phänomene an, die leicht verhetzbar sind. Das Unvermeidbare aber werden wir nicht vermeiden, indem wir uns deshalb der überfälligen Debatte verweigern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Roland Hartwig [AfD]: Die Sonne wird weiterscheinen!)

Lassen Sie uns vielmehr ernsthaft diskutieren und auf komplexe Fragen nicht die einfachen, sondern die relevanten Antworten erarbeiten – gemeinsam.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Markus Frohnmaier [AfD]: Wie denn? – Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Über Spanien lacht die Sonne, über Deutschland die ganze Welt!)

Lassen Sie uns den Einsatz gegen die Klimakrise

(Andreas Bleck [AfD]: Hören Sie mit Ihrem Klimaschamanismus auf!)

nicht als Kampf zwischen links und rechts verstehen, sondern als völkerrechtliche Verpflichtung und Frage des Überlebens.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Andreas Bleck [AfD]: Das ist doch alles grüner Klimavoodoo!)

Lassen Sie uns vor allem eines anerkennen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Der Umgang mit Migration und Flucht wird gerade in Zeiten der Klimakrise zu einem ethischen Prüfstein für uns alle. Die bisherige Politik, gerade auch die europäische, ist an diesem Prüfstein gescheitert.

(Beifall des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE])

Politik aber ist wie die Klimakrise: menschengemacht. Und Menschengemachtes lässt sich wandeln.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat der Kollege Volkmar Klein für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)