Rede von Dr. Till Steffen Kommission zur Wahlrechtsreform und Parlamentsarbeit

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16.03.2022

Dr. Till Steffen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Seit 2002 ist die Größe des Deutschen Bundestages stetig gewachsen: von damals 603 Sitzen auf nunmehr 736 Abgeordnete. Nicht alle sind jetzt da; aber wir kennen natürlich das volle Haus, wie es sich hier präsentiert. Ein Zuwachs von fast einem Viertel: 133 zusätzliche Sitze. Allein dieser Zuwachs entspricht der Größe des Niedersächsischen Landtags.

Nur zur Erinnerung: Seit 2002 ist kein weiteres Bundesland hinzugekommen – auch kein kleines –, und auch die Bevölkerung ist seitdem nicht gewachsen. Bei dieser Zuwachsrate werden wir dann 2040 die 900er-Marke erreichen. Vielleicht geht das sogar noch schneller, wenn man den Berechnungen der Bertelsmann-Stiftung folgt. Meine Damen, meine Herren, wenn das das Ziel sein sollte: Man kann die direkte Demokratie auch anders erreichen.

(Beifall der Abg. Emilia Fester [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Der Zuwachs kostete mehrere Hundert Millionen Euro. Nicht nur die Abgeordnetendiäten, ihre Ausgaben für Mitarbeitende und Sachkosten, auch der Bau neuer Gebäude. Gerade ist für 70 Millionen Euro der Luisenblock West eingeweiht worden. Die Frage ist: Wie lange wollen wir noch so weitermachen? Wollen wir demnächst das Reichstagsgebäude vollständig mit Abgeordnetenbüros umzingeln und auch noch die große Wiese vor dem Reichstag bebauen?

Die Situation ist doch völlig absurd. Viele Abgeordnete haben immer noch keine Büros, weil die Umzüge immer noch laufen. Ich werde als Abgeordneter selbst ja nicht schlecht bezahlt; ich habe bislang aber noch nicht mal einen Platz, wo ich in Ruhe mein Notebook aufklappen kann.

(Stephan Brandner [AfD]: Oh!)

Das ist kein effektiver Einsatz staatlicher Mittel.

Die Ampel wird diesen jahrzehntelangen Reformstau nicht mehr hinnehmen. Angesichts der enormen Zukunftsausgaben und der Belastungen der letzten Zeit ist es schlichtweg untragbar, mit jeder Wahl die Kosten für den Bundestag weiter steigen zu lassen.

Wie kommt es überhaupt zu einer solchen Entwicklung? Das liegt daran, dass sich der Bundestag in der Vergangenheit selbst im Wege stand. Herr Heveling, Sie haben die Mechanismen dafür beschrieben. Das ist eine Reformunfähigkeit, die an eigennützigen Interessen scheitert.

Die Ampel als Zukunftskoalition wird dies ändern. Wir werden jetzt endlich unsere Hausaufgaben machen und dafür sorgen, dass der Bundestag nicht wieder so groß wird. Der Vorschlag von Grünen und FDP, der in der letzten Wahlperiode zusammen mit den Linken vorgelegt wurde, liegt auf dem Tisch. Durch die Verringerung der Zahl der Wahlkreise von 299 auf 250 würden wir die Überhangmandate effektiv vermeiden. Wer bessere Vorschläge hat, die zum Ziel führen, kann sie gerne vorlegen.

(Fabian Jacobi [AfD]: Haben wir in der letzten Wahlperiode doch schon zu Protokoll gegeben!)

Aber Ziel ist die Regelgröße von 598 Abgeordneten und ausdrücklich nicht die Größe des chinesischen Volkskongresses von 2 980 Abgeordneten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Daneben werden wir weitere wichtige Reformvorhaben angehen. Die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre ist überfällig. Demokratie lebt von der Gestaltung, der Einmischung und dem politischen Engagement der Bürgerinnen und Bürger.

(Zuruf des Abg. Fabian Jacobi [AfD])

Dazu gehören auch die Jugendlichen; denn sie tragen mit Kreativität, Flexibilität und Mut wesentlich zum gesellschaftlichen Wandel bei.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Es ist ein deutliches Signal an junge Menschen, dass sie von Zukunftsentscheidungen, von denen sie selbst am stärksten betroffen sind, nicht länger ausgeschlossen sind.

(Fabian Jacobi [AfD]: Wahlpflicht mit 16! Wie wäre es denn damit?)

Auch beim Thema Parität müssen wir weiter vorankommen. Zugegeben sind die letzten Gerichtsentscheidungen nicht gerade Mut machend

(Fabian Jacobi [AfD]: Das werden die Gerichte schon umsetzen, bis es passt!)

und meines Erachtens von manchen eher überkommenen Dogmen getragen.

(Beatrix von Storch [AfD]: Vom Verfassungsgericht getragen!)

Aber spätestens in der letzten Legislaturperiode – das geht in Richtung der AfD – müsste so manchem ein Licht aufgegangen sein, dass hier Handlungsbedarf besteht.

(Fabian Jacobi [AfD]: Ja! Verfassungsfeinde raus aus dem Parlament!)

Ich sehe hier Bewegung auch bei politischen Kräften, die sich bisher mit Händen und Füßen gewehrt haben.

Ich bin überzeugt, dass dieses Thema nicht nur ein Frauenthema ist.

(Beatrix von Storch [AfD]: Auch ein Transthema, oder was?)

Deswegen, liebe Mitmänner: Wir profitieren alle davon, wenn Frauen und Männer gemeinsam um Lösungen ringen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Politik als Boys Club, das brauchen auch wir Männer nicht.

(Fabian Jacobi [AfD]: Jawohl! Antifeminismus!)

Meine Fraktion wird sich deshalb mit aller Kraft dafür einsetzen, einen Weg aufzuzeigen, der zu Parität im Deutschen Bundestag führt.

Wir wollen noch in diesem Jahr die Änderung des Bundeswahlgesetzes beschließen. Das ist wichtig, um überhaupt die Option zu haben, an die Zahl der Wahlkreise heranzugehen. Deswegen haben wir einen strammen Zeitplan vorgesehen. Das erklärt auch unser Vorgehen bei der Einbringung. Denn das Wichtige kommt ja jetzt: Wir bilden aus guten Gründen diese Kommission, bevor wir bei all diesen Fragen zu einer Entscheidung hier im Deutschen Bundestag kommen. Wir wollen uns intensiv mit Sachverständigen beraten, und – das ist mir besonders wichtig – wir wollen das Gespräch mit Union und Linken suchen. Die beste Lösung für das Wahlrecht ist eine Veränderung, die breit getragen wird. Ich sage aber auch: Die schlechteste Lösung ist es, wenn wir das Bundeswahlgesetz so lassen, wie es ist.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Um diese Reform zu erreichen, müssen alle Fraktionen zu Bewegung bereit sein. Wenn die Interessen einer Regionalpartei auf 100 Prozent gesetzt werden, wird das nicht klappen.

Ich bin überzeugt: Eine gemeinsame Reform des Wahlrechts, die zu einer wirksamen Verkleinerung des Bundestages führt, kann gelingen. Packen wir’s an!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)