Rede von Kai Gehring Kooperationsverbot in der Bildung aufheben

22.11.2017

Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal vielen Dank an die Linksfraktion, das Thema Kooperationsverbot so frühzeitig in der neuen Wahlperiode aufzusetzen.

(Sören Pellmann [DIE LINKE]: Bitte schön!)

Seit 2006 ist es dem Bund untersagt, Schulen direkt zu unterstützen. Unser Grundgesetz verunmöglicht leider, dass Bildungseinrichtungen vor Ort vom Bund flächendeckend mitfinanziert werden können. Dieses Kooperationsverbot haben uns CDU, CSU und SPD im Rahmen der Föderalismusreform I eingebrockt. Das war ein Rückschritt für ein kreatives Land der Dichter und Denker. Es war ein Fehler der damaligen Großen Koalition. Wir Grüne kämpfen seit elf Jahren dafür, ihn zu korrigieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unser Ziel ist eine Ermöglichungsverfassung, die mehr Kooperationskultur zwischen Bund und Ländern im Bereich Bildung bringt. Das wäre ein Weg zu mehr Chancengerechtigkeit für alle Schülerinnen und Schüler, egal woher jemand kommt und wo jemand wohnt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Kooperationsverbot hat ganz konfuse Regeln für die Bund-Länder-Zusammenarbeit bei Bildung gebracht. Die Nachmittagsbetreuung von Kindergartenkindern darf der Bund mitfinanzieren, die von Schulkindern nicht. Für die energetische Sanierung von Schultoiletten sind Bundesgelder möglich, nicht aber, wenn eine Kommune dabei die Klodeckel austauscht. Das ist absurd, das ärgert Eltern, und das schreit nach einer Erneuerung unseres Bildungsföderalismus. Die Menschen wollen beste Bedingungen für gute Bildung – bundesweit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Einige hier im Saal waren so wie ich schon 2006 bei den Debatten zur Föderalismusreform I dabei. Wir Grüne im Bundestag haben uns dem Kooperationsverbot damals widersetzt. Heute sieht man leider, dass die damaligen Befürchtungen eingetreten sind. Das Fundament einer Bildungsrepublik bröckelt, wenn es in Schulen reinregnet, wenn Lehrkräfte fehlen und die Qualität auseinanderklafft.

Enorme Steuerüberschüsse im Bund, zugleich unterfinanzierte Bildungseinrichtungen vor Ort – das ist für eine der stärksten Volkswirtschaften weltweit ein absurder Befund und zukunftsvergessen. Gute Bildung für alle ist so wichtig, dass sie gesamtstaatliche Verantwortung braucht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Das machen die Länder, Herr Kollege!)

Einzelne Ministerpräsidenten favorisieren, dass der Bund mehr Umsatzsteuerpunkte an die Länder abgibt. Das überzeugt mich nicht; denn so wäre nicht garantiert, dass die Mittel in den Schulen vor Ort ankommen. Geld allein schafft auch keine Kooperationskultur, sondern es sind vor allem gemeinsame Vorhaben und Vereinbarungen.

Der bundesweite Schub für Ganztagsschulen kam erst in Gang, als SPD und Grüne mit den Ländern 2003 das Ganztagsschulprogramm aufgelegt haben; und das war gut so.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Wir wollen diese Kooperation zwischen Bund und Ländern im Idealfall mit einer Reform des Artikel 91b neu entfachen; denn es braucht gemeinsame Antworten auf bundesweite Herausforderungen wie Bildungsgerechtigkeit, Inklusion, Integration und Digitalisierung.

Das Kooperationsverbot von 2006 hat sich als praxisfern erwiesen. 2009, 2014 und 2017 wurde es jeweils halbherzig gelockert, erst für die Hilfe bei Naturkatastrophen und Konjunkturpakete, dann für die Wissenschaftszusammenarbeit, zuletzt für die Förderung der Bildungsinfrastruktur nur in finanzschwachen Kommunen. Dass für Schulen nach wie vor keine flächendeckende Unterstützung des Bundes möglich ist, steht der Chancengleichheit und der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse entgegen. Der nächste Schritt muss daher die restlose Abschaffung dieser Kooperationshürde sein, um den Weg für kluge Bund-Länder-Vereinbarungen freizumachen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Für eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat muss man weiter trommeln, weil das schlichtweg vernünftig ist. In den Jamaika-Sondierungsgesprächen waren die FDP und wir Grüne im Übrigen sehr nahe daran, diese Hürde zu kippen.

(Dr. Marco Buschmann [FDP]: Mit Ausnahme von Herrn Kretschmann!)

Denn CDU und CSU mussten erkennen, dass es alles andere als trivial ist, einen guten Weg zu finden, den im Oktober 2016 verkündeten DigitalPakt Schule in der Fläche umzusetzen.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Hört! Hört!)

Das Platzenlassen der Sondierungen durch die FDP hat uns einer Riesenchance beraubt, die Union bei dieser Frage zu bewegen, und das bedauern wir.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Wir werden nun leider nicht erfahren, ob SPD und Linke der Vorlage einer Jamaika-Koalition zur Änderung der Verfassung zugestimmt hätten.

(Dr. Marco Buschmann [FDP]: Herr Kretschmann hätte das immer verhindert! Die CSU war dagegen! Was erzählen Sie?)

Ich halte das jedoch für denkbar, weil es vielen hier um die Sache geht. Daher sage ich für uns Grüne im Bundestag: Wir waren und wir bleiben gesprächsbereit, wenn es um das restlose Kippen der Kooperationshürde geht. Nicht nur wir wollen eine Ermöglichungsverfassung für bessere Bildung.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege Gehring, diese Gespräche müssen Sie jetzt bitte in anderen Gremien fortsetzen und einen Punkt setzen.

Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Deshalb sage ich im letzten Satz: Im ganzen Land wäre der Beifall groß, wenn das Kooperationsverbot endlich in Gänze fiele. Lassen Sie uns daran beharrlich weiterackern, meinetwegen gerne überfraktionell.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)