Rede von Maria Klein-Schmeink Kranken- und Pflegeversicherung
Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen hier im Hause! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir haben jetzt in der Krise, in der Coronapandemie, erlebt, wie leistungsfähig unser Gesundheitssystem ist. Dass es so leistungsfähig ist, hat im Kern mit der langen, langen Tradition der solidarischen gesetzlichen Krankenversicherung zu tun.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Jeder, der was anderes hier als Bild erzeugen will, muss sich mit dieser Tatsache auseinandersetzen: Nirgendwo sonst weltweit habe ich einen so großen und so umfangreichen Anspruch auf gute Leistungen, auf qualitätsgeprüfte und gesicherte Leistungen, und zwar unabhängig davon, in welcher sozialen Lage ich bin, welches Einkommen ich bekomme und ob ich behindert bin oder andere große Bedarfe mitbringe. Unbesehen von der Person ist zumindest idealiter der Anspruch da, gut versorgt zu werden. Das ist ein hohes Gut, das wir schützen müssen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Und wir müssen auch darauf achten, dass dieses Prinzip nicht beschädigt wird.
Gucken wir uns die Zahlen an: Mehr als 73 Millionen Menschen in Deutschland sind gesetzlich versichert; gerade mal 9 Millionen sind privat versichert, davon die Hälfte wiederum Beamte, die eben mit Beihilfe plus einer besonderen Form der privaten Versicherung abgesichert sind.
(Zuruf des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Niemand weltweit würde auf die Idee kommen, dass man ausgerechnet diejenigen, die über hohe Einkommen verfügen und die in der Regel aufgrund ihres sozialen Status auch geringere Gesundheitsrisiken haben, außerhalb dieses solidarischen und so leistungsfähigen Systems versichert. Ich glaube, dieser Tatsache muss man sich stellen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)
Und dieser Tatsache muss man sich auch deshalb stellen, weil wir wissen, dass wir in mehrerlei Hinsicht unter Druck sind:
Wir sind erstens unter Druck, weil wir nach dem Ende dieser Wahlperiode mit mindestens 16 Milliarden Euro Deckungslücke zwischen den Einnahmen und den Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in die nächste Wahlperiode starten werden.
Zweitens. Wir haben viele, viele Privatversicherte, die eben nicht in der günstigen Situation als Beamte sind und mit den Bedingungen der privaten Krankenversicherung keinesfalls gut fahren. Es ist nämlich ein Märchen, wenn man sagt, das sei eine bessere Absicherung, damit sei eine bessere Versorgung verbunden. Vielmehr haben wir im Gegenteil viele, viele Gruppen, die am Anfang so schlechte Tarife für sich gewählt haben – oft, ohne das zu wissen –, dass wesentliche gesundheitliche Risiken nicht abgesichert sind.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wer weiß denn, dass zum Beispiel Rehamaßnahmen in sehr, sehr vielen Tarifen nicht inkludiert sind? Wer weiß das? Und wer weiß als junger Mensch, wenn er eine private Krankenversicherung wählt, dass er, wenn er vielleicht eine psychische Erkrankung bekommt und einen längeren Rehaaufenthalt nötig hat oder vielleicht nach der Implantation einer künstlichen Hüfte einen langen Rehaaufenthalt braucht, auf all diese Dinge in den allermeisten Tarifen der privaten Krankenversicherung keinen wirklichen, rechtlich verbrieften Anspruch hat?
(Dr. Achim Kessler [DIE LINKE]: Aber das interessiert die FDP nicht!)
Das sind doch die Themen, denen wir uns stellen müssen, auch aufgrund unserer Fürsorgepflicht. Denn auch für die 9 Millionen Privatversicherten sind diese Themen natürlich von Bedeutung, und denen müssen wir uns zuwenden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Helin Evrim Sommer [DIE LINKE])
Wenn wir uns gleichzeitig anschauen, wie viel Nebenwirkung dieses Nebeneinander von privat und gesetzlich hat, dann können wir rational nicht begründen, wieso wir diese Wege gehen. Vielmehr brauchen wir Mechanismen wie beispielsweise die Beitragsbemessungsgrenze, die Versicherungspflichtgrenze. All diese Mechanismen brauchen wir ja, um das Nebeneinander der verschiedenen Risikosortierungen, die sich da ergeben, überhaupt irgendwie tragfähig zu machen. Auch das ist was Anachronistisches. Das würden wir uns freiwillig neu nie wählen. Das muss man doch ganz klar sehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Jetzt sind wir doch alle in der Verpflichtung, zu schauen: Wie bekommen wir ein zukunftsfähiges, tragfähiges und solidarisches System erhalten und auf die neuen Anforderungen eingestellt, die sich uns stellen? Wir haben das Problem der demografischen Entwicklung. Wir werden erleben, dass sich in den nächsten zehn Jahren die Anzahl der Hochbetagten verdoppelt. Die Folgekosten daraus werden wir zu stemmen haben; da brauchen wir Antworten.
Wir brauchen aber gleichzeitig auch die Antwort darauf, wie wir mit dem Umstand umgehen, dass es ein Nebeneinander gibt zwischen Erwerbstätigen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die sich den Belastungen stellen, und großen Gruppen, die andere Einkommensarten haben, aber nicht in die solidarische Finanzierung einzahlen müssen. Das sind doch Fragen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Da sind wir überhaupt nicht gut beraten, in alte ideologische Scharmützel zu verfallen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielmehr müssen wir schauen: Wie kriegen wir ein gemeinsames System hin, mit dem wir solidarisch die Risiken aus Gesundheit und Pflege absichern, mit dem wir dafür Sorge tragen, dass es dabei gerecht zugeht, und das wir bezahlbar halten? Das ist doch der Spagat, den wir hinzukriegen haben, und das ist das, was wir auch einer guten Versorgung schulden.
Gerade weil wir wissen, dass wir uns zum Beispiel lange ausgeruht haben und nicht dafür gesorgt haben, dass bestimmte Beschäftigtengruppen im Gesundheitswesen adäquat bezahlt werden, und weil wir sehen und jetzt ja so deutlich und schmerzlich erleben, dass wir einen riesigen Fachkräftemangel haben, brauchen wir finanzielle Möglichkeiten. Die können wir darüber heben, dass wir wirklich Sorge dafür tragen, dass alle in die solidarische Finanzierung einbezogen sind und damit auch die Kosten stemmen, die sich notwendigerweise ergeben.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollegin Klein-Schmeink, achten Sie bitte auf die Zeit.
Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Damit stellen wir zusätzlich sicher, dass alle Zugang zu einer guten Versorgung haben.
Danke schön.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Abgeordnete Petra Nicolaisen das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)