Rede von Lamya Kaddor Kriminalität

Lamya Kaddor
14.12.2022

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Neulich saß ich im Taxi. Der Fahrer stellte sich mir als Deutscher mit türkischen Wurzeln vor. Er kam auf die AfD zu sprechen und meinte, in manchen Punkten hätten sie ja durchaus recht. Worauf ich ihm entgegnete: Stimmt. Und deutsche Kolonialisten haben damals Eisenbahnlinien gebaut, nicht wahr?

So verhält es sich auch mit diesem Antrag: Es gibt Straftaten mit Messern, und es gibt Antisemitismus unter Muslimen. Das ist richtig. Dennoch ist der Antrag sinnlos.

Wir haben gerade eine Aktuelle Stunde zur größten bundesweiten Razzia gegen die gefährliche Reichsbürgerszene abgehalten. Und was kommt dazu aus Ihren Reihen? Lächerlichmachung und Relativierung.

Nun legen Sie mit großer Verve diesen Sinnlos-Antrag vor. Wie immer geht es Ihnen damit offenkundig um das Ablenken von rechter Gewalt, für die Sie hier im Parlament die ideologische Vorfeldorganisation sind. Statt sich mit Antisemitismus in den eigenen Reihen und bei der eigenen Klientel zu beschäftigen, wird wie eh und je gehetzt. Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin: „Burkas, Kopftuchmädchen, alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse …“ Wir alle haben das Weidel-Zitat in den Ohren. Heute bewertet die Abgeordnete die Razzia gegen die demokratiegefährdenden Umsturzpläne der Reichsbürger mit den Worten, es handele sich um einen – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin – „Rollator-Putsch“. Anscheinend hat die AfD die nächste soziale Gruppe zur Ausgrenzung gefunden, nämlich Menschen höheren Alters. Nein, das ist nicht lustig.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Otto Schily sagt: Skurrile Spinner! – Gegenruf des Abg. Marcel Emmerich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt hör mit Schily auf!)

– Ja, Otto Schily, ja, ja, genau. – Diese Diskriminierung betrifft Millionen von Menschen in unserem Land, und Sie schämen sich nicht einmal dafür.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Antisemitismus unter Muslimen, ob eingewandert oder nicht, ist inzwischen ein hinlänglich bekanntes Problem. Ich selbst habe dagegen vor Jahren schon Präventionskurse erarbeitet und durchgeführt. Die letzten, die es braucht, um auf diese Relevanz hinzuweisen, sind AfD-Politikerinnen und -Politiker mit rassistischen Hintergedanken. Sie zeigen auf Muslime, aber solange Sie die drei Finger nicht erkennen, die auf Sie zurückzeigen, erübrigt sich jeder sachliche Austausch, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Bernd Baumann [AfD])

Was die Messerkriminalität betrifft. Erste Schritte zur Transparenz wurden geschaffen. Das BKA erhebt neuerdings Daten speziell zu Angriffen mit Messern. Das haben wir ja gehört. Ich verweise hier auf den jüngsten Sicherheitsbericht aus Baden-Württemberg, den Sie natürlich nur verkürzt heranziehen. Dort steht – ich zitiere –:

Die Gewaltkriminalität im Zusammenhang mit dem Tatmittel Messer nimmt um rund zehn Prozent auf einen Fünfjahrestiefstwert ab.

(Zuruf des Abg. Martin Hess [AfD])

Ich kann auch eine Studie der Professoren Brettel und Rettenberger sowie der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Rausch und Hatton aus Rheinland-Pfalz anführen. Dort steht – Zitat –:

Die Ergebnisse zeigen, dass es keinen statistisch signifikanten Unterschied zwischen Messerkriminalität und schwerer Gewaltkriminalität insgesamt hinsichtlich der untersuchten Variablen, insbesondere hinsichtlich der Staatsangehörigkeit, gibt. Auch ein massiver Anstieg der Messergewalt von 2013 auf 2018 konnte nicht nachgewiesen werden. … Die vorliegenden Ergebnisse lassen zusammenfassend deshalb nicht auf einen unmittelbaren kriminalpolitischen Handlungsbedarf schließen.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das ist doch Blödsinn! – Gegenruf des Abg. Manuel Höferlin [FDP]: Sie wollen Daten, aber wenn sie Ihnen nicht passen, dann so!)

Wie man zum x-ten Mal sieht, meine Damen und Herren: Es ist und bleibt vergebens, sich inhaltlich mit AfD-Anträgen zu befassen.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)