Lamya Kaddor
29.09.2023

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete des Hohen Hauses! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Als Abgeordnete aus NRW ist mir schmerzlich bewusst, dass die Organisierte Kriminalität ein überaus ernstzunehmendes Thema ist, und auf dieses Problem muss der Rechtsstaat mit voller Durchsetzungskraft reagieren; denn Sicherheit ist das Grundversprechen des Staates. Wir alle haben ein Recht darauf, uns im öffentlichen Raum sicher fühlen zu dürfen. Dieses Recht wird auch durch Organisierte Kriminalität infrage gestellt. Darauf braucht es eindeutige Antworten.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ihr Antrag hat gute Ansatzpunkte. Allerdings macht er es sich an vielen Stellen zu leicht.

(Moritz Oppelt [CDU/CSU]: Wieso?)

Das Problem mit der Organisierten Kriminalität beginnt mit dem Begriff „Clankriminalität“.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, ja!)

– Ja, ja, dann hören Sie doch gut zu. – Er trägt mehr zur Verwirrung als zur Klärung bei. Eine einheitliche Definition gibt es – und da schließe ich mich übrigens Ihrer Kritik an – noch immer nicht. Gemeint ist offenbar eine Form von Kriminalität, die mit bestimmten Herkünften verbunden ist. Nicht gemeint sind hier offenbar russisch-, italienisch- oder deutschstämmige, sondern kurdisch-, arabisch- oder türkischstämmige Täter/-innen. Lassen Sie uns doch einfach stattdessen das benennen, worum es eigentlich geht: Bandenkriminalität, Netzwerkkriminalität, Organisierte Kriminalität.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Außerdem taugt der wichtige Kampf gegen die Organisierte Kriminalität auch nicht für eine Vermischung mit der integrationspolitischen Debatte, die wir ebenfalls in diesem Hause führen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Moritz Oppelt [CDU/CSU]: Das haben Sie doch gemacht! Das waren doch Ihre Redner! Frau Schierenbeck war das!)

In Ihrem Antrag suggerieren Sie ein Integrationsdefizit, wenn jemand mit Migrationshintergrund kriminell wird. Das ist allerdings in den meisten Fällen nicht so. Es handelt sich um kriminelle Personen, die etablierte Netzwerke benutzen, um Straftaten zu begehen. Die kennen sich bestens aus. Man könnte also sagen: Nicht ihr Integrationsdefizit macht sie zu Straftätern, sondern ihre überaus gute Kenntnis von Organisierter Kriminalität macht sie zu Straftätern.

(Dr. Malte Kaufmann [AfD]: Okay!)

Liebe Union, Sie wollen, dass die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlegt, in dem geregelt wird, dass Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft, die an Organisierter Kriminalität mitgewirkt haben, die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt bekommen. Das ist doch kein seriöser Vorschlag, und das wissen Sie auch.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wer eine doppelte Staatsbürgerschaft hat, könnte im Falle der Strafverfolgung doch schnell gegen Deutschland votieren und seine doppelte Staatsbürgerschaft einfach aufgeben.

(Moritz Oppelt [CDU/CSU]: Ja!)

Außerdem wissen Sie sicher, dass der Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft an hohe verfassungsrechtliche Voraussetzungen geknüpft ist. Mit dieser Pseudolösung erreichen Sie absolut nichts für die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität. Aber Sie haben wieder mal in den Raum gestellt, dass eigentlich nur Menschen, die ausländisch sind oder auch längst heimisch geworden sind, zu dieser Netzwerkkriminalität fähig sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Moritz Oppelt [CDU/CSU]: Gar nicht! Doppelte Staatsangehörige sind Deutsche!)

Jedenfalls sprechen Sie in Ihrem Antrag nur über diese Gruppe, und das ist gefährlich, meine Damen und Herren.

(Moritz Oppelt [CDU/CSU]: Die Gruppe ist gefährlich!)

Es werden derzeit Delikte als OK gezählt, die geradezu hanebüchen sind. Fährt jemand mit einem entsprechenden Nachnamen beispielsweise ohne Führerschein, fließt das Vergehen in die Statistik zur sogenannten Clankriminalität ein. Sie stellen in Ihrem Antrag auch einen Zusammenhang zwischen patriarchaler Familienstruktur und Kindeswohlgefährdung her und fordern Maßnahmen, die bis zur Entziehung der elterlichen Sorge gehen. Fällt Ihnen denn gar nichts auf? Der schwammige Begriff der Clankriminalität fügt diesem Instrumentarium nichts außer einer doppelten, gefährlich populistisch-rassistischen Fußnote hinzu.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie erwähnen zwar nicht, welche Herkünfte die sogenannten Clans haben – na immerhin; das haben Sie gelernt –; aber nach der Lektüre Ihres Antrags, der übrigens an keiner Stelle mit aussagekräftigen Statistiken arbeitet, ist klar: Die sogenannte Clankriminalität hat nur etwas mit Ausländern oder einer ausländischen Identität zu tun. In Ihrer Logik gibt es also keine deutsch-deutsche Clankriminalität.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Die hat es in Deutschland vorher nicht gegeben! In 1 000 Jahren hat es die nicht gegeben!)

Es ist also wieder einmal der böse Ausländer mit patriarchalem Erziehungsstil, der Frau und Kinder unterdrückt und Straftaten im kleinen wie im großen Sinne verübt.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das sind orientalische Organisationen!)

– Warum schreien Sie denn? Ich rede mit denen, nicht mit Ihnen.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Aber ich rede mit Ihnen!)

Selbst wenn dem so wäre, kann es keine Lösung sein, das Problem wortwörtlich auszubürgern und dann einfach weg- oder gar abzuschieben.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Denn die Organisierte Kriminalität funktioniert über starke soziale Netzwerke, und das erfordert auch entsprechende Lösungen. Aber Sie setzen allein auf Repression statt auf Prävention und Integration.

Die Debatten dieser Woche – und darum geht es ja hier auch – sorgen dafür, dass unser Diskurs immer weiter nach rechts verschoben wird. Sie sehen ja, wie sehr sich die AfD hier rechts außen über diese Debatte freut; Herr Baumann hat es ja gerade demonstriert.

(Moritz Oppelt [CDU/CSU]: Nein! Der war doch sauer!)

Sie servieren ihnen hier das Ganze auf dem Silbertablett. Vielen Dank!

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Moritz Oppelt [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Der war doch total wütend! Der wurde sogar ermahnt von der Präsidentin, so sauer war er!)

Ganz bewusst vermischen Sie diese Ausländerthemen und zündeln. Sie reden derart abfällig über Geflüchtete, dass man sich schämen muss. Ich erspare uns die Beispiele – der Herr Merz ist ja weg; sonst hätte er es sich wieder anhören müssen –, weil man rassistische Ressentiments ja besser nicht wiederholen sollte. Aber damit nicht genug: Sie unterscheiden indirekt sogar zwischen guten und schlechten Geflüchteten. Kein Wort in dieser gesamten Debatte über Geflüchtete und darüber, dass wir über 1,2 Millionen geflüchtete Ukrainer/-innen aufgenommen haben, die auch mit dafür sorgen, dass unsere Kommunen rufen. Das wird gar nicht erwähnt.

(Zuruf von der AfD: Um die geht es doch gar nicht! – Dr. Malte Kaufmann [AfD]: Sprechen Sie mal zur Clankriminalität!)

Und dem setzen Sie noch eins obendrauf, in dem Sie nun auch deutsche Menschen mit südländischen Wurzeln kriminalisieren. Für Sie gibt es anscheinend keine deutsche – ich sage es in Ihren Worten – Clankriminalität.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Gibt es auch nicht!)

Und das macht Ihren Antrag doch so durchschaubar.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Die gibt es nicht! Hat es nie gegeben!)

– Die gibt es nicht. Ja, genau.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Die hat es in 1 000 Jahren nicht gegeben! Clans sind orientalisch!)

Sehr geehrte Damen und Herren, die Organisierte Kriminalität muss bekämpft werden. Doch Scheinlösungen, die Sie, liebe Union, hier vorschlagen, werden dabei nicht weiterhelfen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns den Diskurs versachlichen. Lassen Sie uns über das eigentliche Problem sprechen, nämlich Organisierte Kriminalität. Aber vergessen Sie dabei bitte nicht die Binde vor den Augen der Justitia, die uns hier eine Mahnerin ist: Kriminalität ist nicht zu ethnisieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD und des Abg. Manuel Höferlin [FDP])

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Für die Unionsfraktion hat das Wort die Kollegin Nina Warken.

(Beifall bei der CDU/CSU)