Rede von Lamya Kaddor Kriminalität in Bahnhöfen und Zügen

Lamya Kaddor
01.03.2023

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Öffentliche Orte müssen sicher sein. Bahnhöfe sind aber noch oft Orte, an denen man oder frau sich ungern aufhalten – mit einsamen Nischen, schummriger Beleuchtung, schlechten Gerüchen. Bahnhöfe sind zudem Orte, zu denen jeder Zutritt hat. Dort begegnen sich Professorinnen und Professoren, Schulabbrecherinnen und Schulabbrecher, Jugendliche aus gutem Haus, aber auch kriegstraumatisierte Flüchtlinge.

(Manuel Höferlin [FDP]: Auch Rechtsradikale!)

Auf dem Bahnhof prallen fremde Welten aufeinander. Gesellschaftliche sowie soziale Unterschiede in den Lebenswelten kreuzen sich auf den Bahnsteigen und in den Bahnhofshallen – unterschiedlichste Dialekte und Sprachen, Jung und Alt, mit und ohne Beeinträchtigungen. Menschen aus aller Welt wollen ihre Reise antreten.

Öffentliche Orte, an denen sich Menschen mit unterschiedlichsten Biografien ohne große monetäre oder soziale Hürden begegnen, weisen immer ein höheres Risiko für Konflikte und gewalttätige Auseinandersetzung auf. Das gilt für Bahnhöfe und Züge oder für urbane Vergnügungsviertel – im Sommer für Freibäder und im Winter für Silvesterfeuerwerk auf offener Straße. Aggressoren an diesen Orten sind oft jüngere Männer aus prekären Verhältnissen mit ungünstigen Perspektiven und individuellen Vorbelastungen.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Und Migrationshintergrund!)

Tragischerweise betrifft das vielfach Menschen, die freiwillig oder aus der Not heraus nach Deutschland eingewandert sind. Viele müssen sich um ihre sozialen Probleme kümmern und sich kulturell erst einmal zurechtfinden in einem neuen Land.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Manche sind schon hier geboren!)

Andere Jugendliche geraten meist auch aus sozioökonomischen Gründen auf die schiefe Bahn und werden kriminell.

Jeder Verletzte, jede Verletzte, jeder Tote, jede Tote ist natürlich immer einer zu viel. Hier haben wir als Gesellschaft und Politik eine große Herausforderung vor uns. Ausgrenzung, der Versuch, Kriminalität zu ethnisieren, selbst hier im Hohen Haus, sind Teil des Problems und nicht der Lösung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Seit Jahren beschwören Sie von der AfD die Formel vom bösen Migranten, der unsere Gesellschaft ausnutzt, ausschließlich gewaltbereit ist und wegen seines Glaubens oder seiner Herkunft oder was auch immer hier nichts zu suchen hat. Darauf setzen Sie von der AfD in altbekannter Manier. Das kennen wir, das langweilt uns – und doch sehen wir, wie brandgefährlich das ist, meine Damen und Herren.

Um Gewalt an Bahnhöfen oder in Zügen anzugehen, gibt es zwei Wege: akute Krisenprävention und langfristige Präventionsmaßnahmen. Für die unmittelbare Intervention müssen Überwachungs- und Personalstrukturen in den Sicherheitsbereichen gestärkt und der Sozialraum Bahnhof aufgewertet werden. Technische Mittel zur Überwachung von Bahnhöfen können die Sicherheit erhöhen.

(Zuruf des Abg Dr. Harald Weyel [AfD])

Aber für die Auswertung braucht es mehr geschultes Personal, und da sind wir dran. Wir wollen Sicherheitsbehörden, die zielgerichtet und gut abgestimmt arbeiten. Und wir werden die Investitionen in das Schienennetz hochfahren.

Für langfristige Prävention brauchen wir mehr gegenseitigen Respekt und Empowerment für marginalisierte Gruppen. Und das geht nur mit langfristigen strukturellen Förderungen von bereits guten, erfolgreichen Präventions- und Resozialisierungprojekten. Dazu gehört auch der Kampf gegen die rechtspopulistische, menschenverachtende, rassistische Agenda,

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Ja, ja! Ganz ruhig!)

die die AfD hier von Sitzungswoche zu Sitzungswoche – heute ja mal wieder – mit ihren Anträgen untermauert. Und auch da sind wir übrigens daran – ich komme zum Ende –: mit dem Demokratiefördergesetz, der Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes und dem Engagement für zügige und faire Asylverfahren.

Also: Schreiben Sie am besten jetzt schon Ihre Anträge. Substanzieller oder gar in irgendeiner Weise origineller als die bisherigen werden sie jedenfalls nicht.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin Kaddor. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Martina Renner, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)